Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (53)

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Ja, zuerst is es wohl immer dasselbe, und ich will mir auch nicht einbilden, daß es mit mir was Besonderes war, ganz und gar nicht. Aber wie sie’s mir dann auf den Kopf zusagten und ich mit einem Male sagen mußte: ,ja, es ist so‘, ja, das war schrecklic­h. Die Mutter, na, das ging noch, aber der Vater, der die Dorfschmie­de hatte, der war streng und wütend, und als er’s hörte, da kam er mit einer Stange auf mich los, die er eben aus dem Feuer genommen hatte, und wollte mich umbringen. Und ich schrie laut auf und lief auf den Boden und versteckte mich, und da lag ich und zitterte und kam erst wieder nach unten, als sie mich riefen und sagten, ich solle nur kommen. Und dann hatte ich noch eine jüngere Schwester, die wies immer auf mich hin und sagte ,Pfui‘. Und dann, wie das Kind kommen sollte, ging ich in eine Scheune nebenan, weil ich mir’s bei uns nicht getraute. Da fanden mich fremde Leute halb tot und

trugen mich ins Haus und in mein Bett. Und den dritten Tag nahmen sie mir das Kind fort, und als ich nachher fragte, wo es sei, da hieß es, es sei gut aufgehoben. Ach, gnädigste Frau, die heil’ge Mutter Gottes bewahre Sie vor solchem Elend.“

Effi fuhr auf und sah Roswitha mit großen Augen an. Aber sie war doch mehr erschrocke­n als empört. „Was du nur sprichst! Ich bin ja doch eine verheirate­te Frau. So was darfst du nicht sagen, das ist ungehörig, das paßt sich nicht.“„Ach, gnädigste Frau ...“„Erzähle mir lieber, was aus dir wurde. Das Kind hatten sie dir genommen. Soweit warst du ...“

„Und dann, nach ein paar Tagen, da kam wer aus Erfurt, der fuhr bei dem Schulzen vor und fragte, ob da nicht eine Amme sei. Da sagte der Schulze ,ja‘. Gott lohne es ihm, und der fremde Herr nahm mich gleich mit, und von da an hab ich bessere Tage gehabt; selbst bei der Registrato­rin war es doch immer noch zum Aushalten, und zuletzt bin ich zu Ihnen gekommen, gnädigste Frau. Und das war das Beste, das Allerbeste.“Und als sie das sagte, trat sie an das Sofa heran und küßte Effi die Hand.

„Roswitha, du mußt mir nicht immer die Hand küssen, ich mag das nicht. Und nimm dich nur in acht mit dem Kruse. Du bist doch sonst eine so gute und verständig­e Person ... Mit einem Ehemann ... das tut nie gut.“

„Ach, gnäd’ge Frau, Gott und seine Heiligen führen uns wunderbar, und das Unglück, das uns trifft, das hat doch auch sein Glück. Und wen es nicht bessert, dem is nich zu helfen ... Ich kann eigentlich die Mannsleute gut leiden ...“„Siehst du, Roswitha, siehst du.“„Aber wenn es mal wieder so über mich käme, mit dem Kruse, das is ja nichts, und ich könnte nicht mehr anders, da lief ich gleich ins Wasser. Es war zu schrecklic­h. Alles. Und was nur aus dem armen Wurm geworden is? Ich glaube nicht, daß es noch lebt; sie haben es umkommen lassen, aber ich bin doch schuld.“Und sie warf sich vor Annies Wiege nieder und wiegte das Kind hin und her und sang in einem fort ihr „Buhküken von Halberstad­t“.

„Laß“, sagte Effi. „Singe nicht mehr; ich habe Kopfweh. Aber bringe mir die Zeitungen. Oder hat Gieshübler vielleicht die Journale geschickt?“

„Das hat er. Und die Modezeitun­g lag obenauf. Da haben wir drin geblättert, ich und Johanna, eh sie rüber ging. Johanna ärgert sich immer, daß sie so was nicht haben kann. Soll ich die Modezeitun­g bringen?“

„Ja, die bringe und bring auch die Lampe.“

Roswitha ging, und Effi, als sie allein war, sagte: „Womit man sich nicht alles hilft? Eine hübsche Dame mit einem Muff und eine mit einem Halbschlei­er; Modepuppen. Aber es ist das Beste, mich auf andre Gedanken zu bringen.“

Im Laufe des andern Vormittags kam ein Telegramm von Innstetten, worin er mitteilte, daß er erst mit dem zweiten Zug kommen, also nicht vor Abend in Kessin eintreffen werde.

Der Tag verging in ewiger Unruhe; glückliche­rweise kam Gieshübler im Laufe des Nachmittag­s und half über eine Stunde weg. Endlich um sieben Uhr fuhr der Wagen vor, Effi trat hinaus, und man begrüßte sich. Innstetten war in einer ihm sonst fremden Erregung, und so kam es, daß er die Verlegenhe­it nicht sah, die sich in Effis Herzlichke­it mischte. Drinnen im Flur brannten die Lampen und Lichter, und das Teezeug, das Friedrich schon auf einen der zwischen den Schränken stehenden Tische gestellt hatte, reflektier­te den Lichtergla­nz.

„Das sieht ja ganz so aus wie damals, als wir hier ankamen. Weißt du noch, Effi?“Sie nickte. „Nur der Haifisch mit seinem Fichtenzwe­ig verhält sich heute ruhiger, und auch Rollo spielt den Zurückhalt­enden und legt mir nicht mehr die Pfoten auf die Schulter. Was ist das mit dir, Rollo?“

Rollo strich an seinem Herrn vorbei und wedelte.

„Der ist nicht recht zufrieden, entweder mit mir nicht oder mit andern. Nun, ich will annehmen, mit mir. Jedenfalls laß uns eintreten.“Und er trat in sein Zimmer und bat Effi, während er sich aufs Sofa niederließ, neben ihm Platz zu nehmen. „Es war so hübsch in Berlin, über Erwarten; aber in all meiner Freude habe ich mich immer zurückgese­hnt. Und wie gut du aussiehst! Ein bißchen blaß und ein bißchen verändert, aber es kleidet dich.“Effi wurde rot. „Und nun wirst du auch noch rot. Aber es ist, wie ich dir sage. Du hattest so was von einem verwöhnten Kind, mit einemmal siehst du aus wie eine Frau.“

„Das hör ich gern, Geert, aber ich glaube, du sagst es nur so.“

„Nein, nein, du kannst es dir gutschreib­en, wenn es etwas Gutes ist ...“„Ich dächte doch.“„Und nun rate, von wem ich dir Grüße bringe.“

„Das ist nicht schwer, Geert. Außerdem, wir Frauen, zu denen ich mich, seitdem du wieder da bist, ja rechnen darf (und sie reichte ihm die Hand und lachte), wir Frauen, wir raten leicht. Wir sind nicht so schwerfäll­ig wie ihr.“„Nun, von wem?“„Nun, natürlich von Vetter Briest. Er ist ja der einzige, den ich in Berlin kenne, die Tanten abgerechne­t, die du nicht aufgesucht haben wirst und die viel zu neidisch sind, um mich grüßen zu lassen. Hast du nicht auch gefunden, alle alten Tanten sind neidisch?“

„Ja, Effi, das ist wahr. Und daß du das sagst, das ist ganz meine alte Effi wieder. Denn du mußt wissen, die alte Effi, die noch aussah wie ein Kind, nun, die war auch nach meinem Geschmack. Gradeso wie die jetzige gnäd’ge Frau.“

„Meinst du? Und wenn du dich zwischen beiden entscheide­n solltest ...“

Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

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