Mittelschwaebische Nachrichten
Faszination der alten Zöpfe
zu alten Geschichten
Der Mensch, so glaubte man bisher, sei versessen auf Neuigkeiten. In Wirklichkeit aber sehnt er sich nach alten Geschichten. Das hat jetzt ein Psychologenteam um Daniel Gilbert von der Harvard University Boston nachgewiesen.
Plötzlich verstehen wir, weshalb „Tatort“-Folgen im deutschen Fernsehen so erfolgreich sind. Sie halten sich an ein bewährtes Strickmuster, sodass die Entdeckung der Leiche, die falschen Verdächtigungen und die schließliche Verhaftung des Täters wie Bausteine einer uralten Geschichte wirken.
Geklärt ist nun auch die Faszination der alten Geschichten, die in jedem Wahlkampf aufgewärmt werden. Die Verheißung der Parteien, dass alles besser wird, wenn man sie wählt, versetzt uns in alte Märchen. Wir sollen uns fühlen wie der gestiefelte Kater, Schneewittchen und Dornröschen vor ihrem Aufstieg zu königlichem Glanz.
Ungeklärt bleibt allerdings, ob ein treuloser Ehemann besonderes Amüsement auslöst, wenn er seiner Frau nach regelmäßiger abendlicher Abwesenheit immer wieder die alten Geschichten „Freund getroffen“oder „ständig Überstunden“erzählt. Um an so viel Unschuld zu glauben, müsste man auf der griechischen Insel Chios leben. Von ihren Bewohnern sagt Friedrich Christian Avé-Lallemant in seiner Publikation „Das Deutsche Gaunerthum“(1862), „daß innerhalb 700 Jahren kein Ehebruch bey ihnen sey erhört worden / auch nicht / daß unter solcher Zeit eine Jungfrau / außerhalb deß Ehestands/ ihr Jungfrauschafft sollte verlohren haben“.