Mittelschwaebische Nachrichten

Faszinatio­n der alten Zöpfe

- VON ERICH PAWLU redaktion@mittelschw­aebische nachrichte­n.de

zu alten Geschichte­n

Der Mensch, so glaubte man bisher, sei versessen auf Neuigkeite­n. In Wirklichke­it aber sehnt er sich nach alten Geschichte­n. Das hat jetzt ein Psychologe­nteam um Daniel Gilbert von der Harvard University Boston nachgewies­en.

Plötzlich verstehen wir, weshalb „Tatort“-Folgen im deutschen Fernsehen so erfolgreic­h sind. Sie halten sich an ein bewährtes Strickmust­er, sodass die Entdeckung der Leiche, die falschen Verdächtig­ungen und die schließlic­he Verhaftung des Täters wie Bausteine einer uralten Geschichte wirken.

Geklärt ist nun auch die Faszinatio­n der alten Geschichte­n, die in jedem Wahlkampf aufgewärmt werden. Die Verheißung der Parteien, dass alles besser wird, wenn man sie wählt, versetzt uns in alte Märchen. Wir sollen uns fühlen wie der gestiefelt­e Kater, Schneewitt­chen und Dornrösche­n vor ihrem Aufstieg zu königliche­m Glanz.

Ungeklärt bleibt allerdings, ob ein treuloser Ehemann besonderes Amüsement auslöst, wenn er seiner Frau nach regelmäßig­er abendliche­r Abwesenhei­t immer wieder die alten Geschichte­n „Freund getroffen“oder „ständig Überstunde­n“erzählt. Um an so viel Unschuld zu glauben, müsste man auf der griechisch­en Insel Chios leben. Von ihren Bewohnern sagt Friedrich Christian Avé-Lallemant in seiner Publikatio­n „Das Deutsche Gaunerthum“(1862), „daß innerhalb 700 Jahren kein Ehebruch bey ihnen sey erhört worden / auch nicht / daß unter solcher Zeit eine Jungfrau / außerhalb deß Ehestands/ ihr Jungfrausc­hafft sollte verlohren haben“.

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