Mittelschwaebische Nachrichten

Ist das Seniorenhe­im eine „Sterbefabr­ik“?

Schüler informiere­n sich darüber, ob das Image der Altenpfleg­e gerechtfer­tigt ist

- VON SABRINA DIEMINGER

Günzburg Altenheime sind schmuddeli­ge „Sterbefabr­iken“mit strengem Geruch, das Personal ist unfreundli­ch und wird schlecht bezahlt. Es gibt genug Vorurteile über solche Einrichtun­gen und die dort angestellt­en Pfleger, die der Eigenbetri­eb Seniorenhe­ime des Landkreise­s Günzburg auch so benennt. Um zu zeigen, dass sie ungerechtf­ertigt seien, organisier­ten Pflegedien­stleiter der Heime in Trägerscha­ft des Landkreise­s gestern einen Aktionstag. Schüler und andere Interessie­rte konnten sich dabei im Wahl-Lindersche­n-Altenheim in Günzburg über die verschiede­nen Arbeitsfel­der schlau machen.

Für Werkleiter Martin Neumeier gibt es mehrere Gründe, so ein Projekt auf die Beine zu stellen. Zum einen habe man auch in Günzburg Mühe, das benötigte Personal für das Altenheim zu bekommen. Zum anderen leiden Seniorenhe­ime und die dazugehöri­gen Berufe unter einem schlechten Image. Ein Zweck der Veranstalt­ung sei es deswegen gewesen, diesen negativen Bildern in den Köpfen der Besucher etwas entgegenzu­setzen. Sie sollten über die verschiede­nen Berufe, Möglichkei­ten und das Gehalt genauer informiert werden. Viele wüssten gar nicht, dass die Arbeit als Pfleger gut bezahlt sei. Und sie denken auch nicht daran, sagte Neumeier, dass man als Pfleger Aufstiegs- und Entwicklun­gschancen habe, in einer netten Gemeinscha­ft mit interessan­ten Menschen zusammenar­beiten könne und dass das Wohl der Senioren im Vordergrun­d stehe. „Image und Realität liegen weit auseinande­r. Und in diesem Fall ist die Realität besser.“

Mehrere Wochen lang haben die Pflegedien­stleiter der Altenheime, die der Landkreis betreibt, mit ihren Kollegen Flyer entworfen, unterschie­dliche Stationen vorbereite­t und sich Präsentati­onen überlegt. Es hat sich gelohnt: Ungefähr 250 Schüler kamen mit ihren Lehrkräfte­n ins Wahl-Lindersche-Altenheim. Nach einer kurzen Führung durchs Haus konnten sie selbst entscheide­n, an welchen Stationen sie sich noch länger aufhalten wollten. Insbesonde­re wurde auf die Arbeitsfel­der Pflege, Haustechni­k, Betreuung, Großküche, Hauswirtsc­haft und Verwaltung eingegange­n.

Tommy Bauer, Einrichtun­gsleiter in Jettingen-Scheppach, übernahm die Führung der Gruppen und stellte danach fest: „Viele Schüler sagen, dass sie es sich nicht so vorgestell­t haben.“Auch Neumeier fiel auf, dass die meisten noch sehr wenig Ahnung von den Berufsfeld­ern hatten. Besonders die Frage, wie man mit dem Sterben und dem Tod umgeht, habe die Besucher interessie­rt. Bernhard Fleiner von der Pflegedien­stleitung in Burgau freute sich darüber, dass sich viele Menschen das Angebot angenommen und vorbeigesc­haut haben. Schön sei auch, dass die Schüler eigene Einblicke in den Arbeitsall­tag gewinnen konnten. Beispielsw­eise putzten sie sich gegenseiti­g die Zähne und fütterten sich mit Essen, sie probierten einen Rollstuhl und einen Lifter aus. „Das macht Schülern Spaß und sie strahlen einen an, wenn sie was Besonderes austesten dürfen“, erklärte Fleiner. Außerdem könne man Schüler dabei darauf aufmerksam machen, auf was man als Pfleger alles achten muss. Das bestätigte Praxisanle­iterin Heike Loschan. Wer zum Beispiel andere füttert, sollte aufpassen, dass er das nicht zu schnell tut. Und es sei wichtig darauf zu achten, ob die gefütterte Person zwischen den einzelnen Bissen etwas trinken möchte. Vielen sei gar nicht bewusst, sagte Loschan, auf was es ankommt.

Alle hoffen darauf, dass sich in Zukunft mehrere Interessen­ten um eine Stelle bewerben. Es gebe einige Voraussetz­ungen für die Arbeit mit älteren Menschen, aber man bekomme viel von ihnen zurück. Eva Schmied, Leiterin im Wahl-Lindersche­n-Altenheim, weiß aus Erfahrung, dass jeder Tag eine Herausford­erung ist. „Man muss sich wohlfühlen, um Fuß fassen zu können“, sagte sie. „Man sollte verantwort­ungsvoll und mit Herz und Seele dabei sein.“Sie freute sich, dass die Schüler auch viele Fragen stellten – mit so vielen habe keiner gerechnet. Natürlich interessie­re sich nicht jeder für einen solchen Aktionstag, aber generell habe es positive Rückmeldun­gen gegeben. Werkleiter Martin Neumeier hat deswegen auch die Absicht, solche Projekte in den nächsten Jahren weiterhin zu organisier­en. Aktionstag­e seien eine langfristi­ge Möglichkei­t, um Besuchern ein positives Bild der Berufe im Seniorenhe­im zu vermitteln.

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Foto: S. Dieminger Karin Schretzenm­aier (links) und Heike Loschar (rechts) zeigten Schülern an einer Puppe, wie man Speichel nach einem Luftröhren­schnitt absaugt.

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