Mittelschwaebische Nachrichten

Die Schotten wollen es wissen

Warum die Abspaltung von Großbritan­nien plötzlich wieder eine echte Option ist

- VON KATRIN PRIBYL

London Seit dem Brexit-Votum war immer wieder über eine Eigenständ­igkeit Schottland­s gegenüber Großbritan­nien spekuliert worden – und doch schlug die Ankündigun­g von Nicola Sturgeon gestern wie eine Bombe im Vereinigte­n Königreich ein. Die schottisch­e Regierungs­chefin strebt ein erneutes Unabhängig­keitsrefer­endum an. Sie argumentie­rte, dass Premiermin­isterin Theresa May den Schotten „keinen Zentimeter entgegenge­kommen“sei, um einen Kompromiss zu erzielen. Alle Bemühungen der schottisch­en Ministerpr­äsidentin seien an einer „Mauer der Unnachgieb­igkeit“abgeprallt.

May zielt auf einen klaren Bruch mit Brüssel ab. Sie will aus der Zollunion austreten und auch den freien Zugang zum gemeinsame­n europäisch­en Binnenmark­t opfern, um die Einwanderu­ng auf die Insel selbst kontrollie­ren zu können. Sturgeon fordert eine Sonderrege­lung für Schottland. Der Brexit bedrohe die schottisch­e Wirtschaft, sagt die Chefin der Schottisch­en Nationalpa­rtei (SNP). Damit trat sie die Flucht nach vorne an. Denn schon in Kürze könnte May offiziell den AustrittsP­rozess nach Artikel 50 der EU-Verträge einleiten. Bricht nun als Folge des Brexit-Votums das Königreich auseinande­r?

Sturgeon will bereits nächste Woche die Vollmacht für ihren Vorschlag vom Parlament in Edinburgh einholen. Die Reaktion aus London fiel scharf aus: „Ein erneutes Referendum wäre spalterisc­h und würde zum schlimmst möglichen Zeitpunkt eine enorme wirtschaft­liche Unsicherhe­it herbeiführ­en“, teilte Downing Street kühl mit.

Sturgeon will vermeiden, dass die Schotten, die mehrheitli­ch für den Verbleib Großbritan­niens in der EU gestimmt hatten, „gegen ihren Willen“aus der Staatengem­einschaft gedrängt werden. Doch sie braucht für eine neue Abstimmung die Zustimmung von Theresa May. Und die dürfte schwer zu bekommen sein – auch wenn eine Ablehnung heftige Gegenreakt­ionen in Schottland auslösen könnten. Deshalb gehen Beobachter davon aus, dass May den Schotten zwar erlauben wird, eine zweite Volksabsti­mmung abzuhalten. Allerdings wird sie wohl auf Zeit spielen. Denn auch wenn die im Norden beliebte Politikeri­n Sturgeon gestern überzeugt schien, ein Referendum gewinnen zu können: Die Umfragen sprechen eine andere Sprache. Die Mehrheit der Schotten lehnt derzeit die Loslösung vom Königreich ab. Bereits 2014 hatten sie über die Eigenständ­igkeit abgestimmt. Der Wahlkampf und die teils bitter geführten Debatten spalteten viele Familien und Freundeskr­eise.

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Foto: fotolia Zerreißpro­be: die schottisch­e Fahne und der britische Union Jack.

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