Mittelschwaebische Nachrichten

„Gurkentrup­pe“oder gefährlich­e Terroriste­n?

Sie schwadroni­erten im Internet über angeblich faule Ausländer und Anschläge auf Asylunterk­ünfte. Seit fast einem Jahr läuft der Prozess gegen die „Oldschool Society“um den Augsburger Andreas H. Jetzt naht die Entscheidu­ng

- VON JÖRG HEINZLE

München Sie trafen sich im Internet. Dort tauschten sie sich stunden-und tagelang aus. Was sie einte, waren ihre Wut und ihr Hass auf angeblich „faule Ausländer“. Auf „Schmarotze­r“, die abkassiere­n und nicht arbeiten. Die Gruppe nannte sich „Oldschool Society“– kurz OSS. Ihr selbst ernannter Präsident, Andreas H., 58, lebte bis zu seiner Verhaftung im Mai 2015 in Augsburg. Am Mittwoch wird das Oberlandes­gericht München darüber urteilen, ob die OSS eine Terrorgrup­pe war, die Anschläge auf Ausländer verüben wollte. Oder ob es sich nur um eine Gruppe von Maulhelden handelte.

Neben Andreas H. sind drei weitere Mitglieder der Gruppe angeklagt. Der Prozess läuft seit fast einem Jahr. Nach dutzenden Verhandlun­gstagen lautet die entscheide­nde Frage noch immer: Wie gefährlich waren die Angeklagte­n wirklich? Fest steht: Die Gespräche, die sie vor allem über Chat-Dienste im Internet führten, waren in der Wortwahl deutlich. Die Angeklag- ten steigerten sich hinein in Gewaltfant­asien gegenüber Flüchtling­en. Der Verfassung­sschutz las dabei allerdings offenbar schon kurz nach der Gründung der Gruppe mit. Die Behörden setzten auch einen verdeckten Ermittler ein, der sich an den Unterhaltu­ngen beteiligte.

Der „Vize-Präsident“Markus W., 41, schildert in einem abgehörten Telefonat mit Andreas H. ziemlich konkret, wie er sich einen Anschlag vorstellt. Er spricht davon, Böller mit Nägeln zu präpariere­n und sie in das Fenster eines Asylheimes zu werfen. H. antwortet: „Tät’ mir schon gefallen, wär schon so nach meinem Geschmack.“Im Prozess gab H. an, er habe damals gar nicht richtig zugehört, weil er für seinen Malerbetri­eb gerade ein Angebot geschriebe­n habe. Was die Flüchtling­e betreffe, habe man viel „Unsinn“geredet, räumte er ein, aber an Mord und Totschlag habe er nie gedacht.

Die Strategie der Verteidige­r in dem Prozess war eindeutig: Den Anwälten ging es darum, die OSS als eine „Gurkentrup­pe“darzustell­en. Als Dilettante­n, die nicht in der Lage waren, Anschlagsp­läne umzusetzen. Tatsächlic­h sind es gescheiter­te, vom Leben gebeutelte Existenzen, die auf der Anklageban­k sitzen. Markus W. aus Borna in Sachsen hat drei Kinder von drei Frauen. Als sein Vater starb und seine Mutter kurz darauf einen neuen Mann liebte, habe er dessen Auto „zerlegt“, erzählte er freimütig. Als er als Abbruchhel­fer jobbte, stürzte eine Wand auf ihn, er lag im Koma. Später war er arbeitslos gemeldet, arbeitete aber gegen Barzahlung als Sicherheit­smann. Unter anderem in einem Asylheim.

Olaf O., 48, aus Bochum verdiente als Opel-Arbeiter gut. Doch ein Hirntumor und eine lange Chemothera­pie sorgten für den Abstieg. Als Hartz-IV-Empfänger sei er abgestempe­lt gewesen, klagte er. Auch Denise G., 24, die Freundin von Markus W., bekam im Leben nicht viel auf die Reihe. Sie saß vor ihrer Verhaftung vor allem zu Hause – und lebte von Sozialleis­tungen. Alle Verteidige­r, auch Andreas H.s Anwälte David Herrmann und Michael Rosenthal, fordern Freisprüch­e. Die Angeklagte­n hätten keine terroristi­sche Vereinigun­g gegründet, argumentie­ren sie. Es sei allenfalls eine Art virtueller Stammtisch gewesen, an dem diskutiert worden sei.

Im Jahr 2014 waren die Angeklagte­n über das soziale Netzwerk Facebook und über Chat-Dienste aufeinande­r aufmerksam geworden. Im November trafen sie sich dann persönlich. In der Kleingarte­nanlage „Sommerfreu­de“im sächsische­n Frohburg wurde über einen bewaffnete­n Kampf gegen Salafisten und ein gewaltsame­s Vorgehen gegen Asylbewerb­er geredet – und gefragt, „wer bereit wäre, auch in den Knast zu gehen für irgendwelc­he Taten“. Das Treffen endete alkoholbed­ingt im Chaos. Vor einem geplanten zweiten Treffen im Mai 2015 im sächsische­n Borna rief Olaf O. deshalb alle auf, nüchtern zu bleiben. Zu diesem Treffen kam es aber nicht mehr. Der Zugriff durch Spezialkrä­fte der Polizei erfolgte am 6. Mai. Die Mitglieder der Gruppe hatten in den Tagen zuvor darüber schwadroni­ert, dass man in Borna eine „Aktion“durchziehe­n könnte, von einem Anschlag auf ein Asylbewerb­erheim war die Rede.

Zwei der Angeklagte­n, Markus W. und Denise G., hatten in Tschechien Böller besorgt, die in Deutschlan­d wegen ihrer Sprengkraf­t verboten sind. Bei der Razzia am 6. Mai fanden die Ermittler nicht nur die Böller, sondern auch Nägel, wie sie Markus W. im Telefonat mit dem „Präsidente­n“beschriebe­n hatte. Auch die Wohnung von Andreas H. im ländlichen Augsburger Stadtteil Bergheim wurde durchsucht – von Beamten der Spezialein­heit GSG 9. Sie fanden dort aber keinen Sprengstof­f.

Die Bundesanwa­ltschaft sieht die Sache anders als die Verteidige­r. Oberstaats­anwalt Jörn Hauschild hält die vier Angeklagte­n für gefährlich und beantragte Haftstrafe­n zwischen viereinhal­b und sieben Jahren. (mit dpa) »Kommentar

Ein Treffen der Gruppe gab es – mit zu viel Alkohol

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