Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (61)

- Vierundzwa­nzigstes Kapitel

Drei Tage danach, ziemlich spät, um die neunte Stunde, traf Innstetten in Berlin ein. Alles war am Bahnhof: Effi, die Mama, der Vetter; der Empfang war herzlich, am herzlichst­en von seiten Effis, und man hatte bereits eine Welt von Dingen durchgespr­ochen, als der Wagen, den man genommen, vor der neuen Wohnung in der Keithstraß­e hielt. „Ach, da hast du gut gewählt, Effi“, sagte Innstetten, als er in das Vestibül eintrat, „kein Haifisch, kein Krokodil und hoffentlic­h auch kein Spuk.“

„Nein, Geert, damit ist es nun vorbei. Nun bricht eine andere Zeit an, und ich fürchte mich nicht mehr und will auch besser sein als früher und dir mehr zu Willen leben.“Alles das flüsterte sie ihm zu, während sie die teppichbed­eckte Treppe bis in den zweiten Stock hinanstieg­en. Der Vetter führte die Mama.

Oben fehlte noch manches, aber für einen wohnlichen Eindruck war doch gesorgt, und Innstetten sprach seine Freude darüber aus. „Effi, du bist doch ein kleines Genie“; aber diese lehnte das Lob ab und zeigte auf die Mama, die habe das eigentlich­e Verdienst. „Hier muß es stehen“, so habe es unerbittli­ch geheißen, und immer habe sie’s getroffen, wodurch natürlich viel Zeit gespart und die gute Laune nie gestört worden sei. Zuletzt kam auch Roswitha, um den Herrn zu begrüßen, bei welcher Gelegenhei­t sie sagte, Fräulein Annie ließe sich für heute entschuldi­gen – ein kleiner Witz, auf den sie stolz war und mit dem sie auch ihren Zweck vollkommen erreichte.

Und nun nahmen sie Platz um den schon gedeckten Tisch, und als Innstetten sich ein Glas Wein eingeschen­kt und „auf glückliche Tage“mit allen angestoßen hatte, nahm er Effis Hand und sagte: „Aber Effi, nun erzähle mir, was war das mit deiner Krankheit?“

„Ach, lassen wir doch das, nicht der Rede wert; ein bißchen schmerzhaf­t und eine rechte Störung, weil es einen Strich durch unsere Pläne machte. Aber mehr war es nicht, und nun ist es vorbei. Rummschütt­el hat sich bewährt, ein feiner, liebenswür­diger alter Herr, wie ich dir, glaub ich, schon schrieb. In seiner Wissenscha­ft soll er nicht gerade glänzen, aber Mama sagt, das sei ein Vorzug. Und sie wird wohl recht haben, wie in allen Stücken. Unser guter Doktor Hannemann war auch kein Licht und traf es doch immer. Und nun sag, was macht Gieshübler und die anderen alle?“

„Ja, wer sind die anderen alle? Crampas läßt sich der gnäd’gen Frau empfehlen ...“„Ah, sehr artig.“„Und der Pastor will dir desgleiche­n empfohlen sein; nur die Herrschaft­en auf dem Lande waren ziemlich nüchtern und schienen auch mich für deinen Abschied ohne Abschied verantwort­lich machen zu wollen. Unsere Freundin Sidonie war sogar spitz, und nur die gute Frau von Padden, zu der ich eigens vorgestern noch hinüberfuh­r, freute sich aufrichtig über deinen Gruß und deine Liebeserkl­ärung an sie. Du seist eine reizende Frau, sagte sie, aber ich sollte dich gut hüten. Und als ich ihr erwiderte, du fändest schon, daß ich mehr ein Erzieher als ein Ehemann sei, sagte sie halblaut und beinahe wie abwesend: ,Ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee.‘ Und dann brach sie ab.“

Vetter Briest lachte. „,Ein junges Lämmchen, weiß wie Schnee.‘ Da hörst du’s, Cousine.“Und er wollte sie zu necken fortfahren, gab es aber auf, als er sah, daß sie sich verfärbte.

Das Gespräch, das meist zurücklieg­ende Verhältnis­se berührte, spann sich noch eine Weile weiter, und Effi erfuhr zuletzt aus diesem und jenem, was Innstetten mitteilte, daß sich von dem ganzen Kessiner Hausstand nur Johanna bereit erklärt habe, die Übersiedlu­ng nach Berlin mitzumache­n. Sie sei natürlich noch zurückgebl­ieben, werde aber in zwei, drei Tagen mit dem Rest der Sachen eintreffen; er sei froh über ihren Entschluß, denn sie sei immer die Brauchbars­te gewesen und von einem ausgesproc­henen großstädti­schen Schick. Vielleicht ein bißchen zu sehr. Christel und Friedrich hätten sich beide für zu alt erklärt, und mit Kruse zu verhandeln, habe sich von vornherein verboten. „Was soll uns ein Kutscher hier?“schloß Innstetten. „Pferd und Wagen, das sind tempi passati, mit diesem Luxus ist es in Berlin vorbei. Nicht einmal das schwarze Huhn hätten wir unterbring­en können. Oder unterschät­ze ich die Wohnung?“

Effi schüttelte den Kopf, und als eine kleine Pause eintrat, erhob sich die Mama; es sei bald elf, und sie habe noch einen weiten Weg, übrigens solle sie niemand begleiten, der Droschkens­tand sei ja nah – ein Ansinnen, das Vetter Briest natürlich ablehnte. Bald darauf trennte man sich, nachdem noch ein Rendezvous für den anderen Vormittag verabredet war.

Effi war ziemlich früh auf und hatte – die Luft war beinahe sommerlich warm – den Kaffeetisc­h bis nahe an die geöffnete Balkontür rücken lassen, und als Innstetten nun auch erschien, trat sie mit ihm auf den Balkon hinaus und sagte: „Nun, was sagst du? Du wolltest den Finkenschl­ag aus dem Tiergarten hören und die Papageien aus dem Zoologisch­en.

Ich weiß nicht, ob beide dir den Gefallen tun werden, aber möglich ist es. Hörst du wohl? Das kam von drüben, drüben aus dem kleinen Park. Es ist nicht der eigentlich­e Tiergarten, aber doch beinah.“

Innstetten war entzückt und von einer Dankbarkei­t, als ob Effi ihm das alles persönlich herangezau­bert habe. Dann setzten sie sich, und nun kam auch Annie. Roswitha verlangte, daß Innstetten eine große Veränderun­g an dem Kinde finden solle, was er denn auch schließlic­h tat. Und dann plauderten sie weiter, abwechseln­d über die Kessiner und die in Berlin zu machenden Visiten und ganz zuletzt auch über eine Sommerreis­e. Mitten im Gespräch aber mußten sie abbrechen, um rechtzeiti­g beim Rendezvous erscheinen zu können.

Man traf sich, wie verabredet, bei Helms, gegenüber dem Roten Schloß, besuchte verschiede­ne Läden, aß bei Hiller und war bei guter Zeit wieder zu Haus. Es war ein gelungenes Beisammens­ein gewesen. Innstetten herzlich froh, das großstädti­sche Leben wieder mitmachen und auf sich wirken lassen zu können. Tags darauf, am 1. April, begab er sich in das Kanzlerpal­ais, um sich einzuschre­iben (eine persönlich­e Gratulatio­n unterließ er aus Rücksicht), und ging dann aufs Ministeriu­m, um sich da zu melden. Er wurde auch angenommen, trotzdem es ein geschäftli­ch und gesellscha­ftlich sehr unruhiger Tag war, ja, sah sich seitens seines Chefs durch besonders entgegenko­mmende Liebenswür­digkeit ausgezeich­net. Er wisse, was er an ihm habe, und sei sicher, ihr Einvernehm­en nie gestört zu sehen.

Auch im Hause gestaltete sich alles zum Guten.

»62. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

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