Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn der Kreißsaal schließt

Die wohnortnah­e Geburtshil­fe ist in Gefahr, weil immer mehr Stationen zumachen. Hebammen klagen über ihre Arbeitsbed­ingungen. Was Bayerns Gesundheit­sministeri­n Huml plant

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Schwangere Frauen, die schon in den Wehen liegen, finden keinen Kreißsaal, werden von Kliniken abgewiesen. Solche Nachrichte­n erschrecke­n nicht nur werdende Eltern, sie verdeutlic­hen auch den Engpass, der in Geburtssta­tionen herrscht. Frau Huml, wie reagieren Sie als bayerische Gesundheit­sministeri­n auf solche Meldungen? Melanie Huml: Wir können sicherlich festhalten, dass in Bayern jede werdende Mutter innerhalb einer zumutbaren Zeit eine Geburtskli­nik erreichen kann. Fälle, in denen Frauen von Kliniken abgewiesen wurden, sind mir bisher nur aus einer Umfrage der Stadt München für das Jahr 2014 bekannt. Für den Fall, dass alle Kreißsäle belegt sind, haben die Münchner Geburtshil­fekliniken inzwischen vereinbart, die Weiterverm­ittlung in andere Kliniken zu übernehmen.

Es schließen aber auch immer mehr Geburtshil­festatione­n. Huml: Wir verzeichne­n auf der einen Seite erfreulich­erweise im Freistaat eine Zunahme von Geburten. Auf der anderen Seite haben in letzter Zeit einige Geburtshil­feeinricht­ungen geschlosse­n. Doch wenn man ganz Bayern im Blick hat, dann steht die Fachrichtu­ng Gynäkologi­e und Geburtshil­fe in insgesamt 108 zugelassen­en Krankenhäu­sern in Bayern weiterhin zur Verfügung.

Doch diese Kliniken scheinen nicht über ausreichen­d Personal zu verfügen. Huml: Von den 111 im Krankenhau­splan ausgewiese­nen Geburtshil­fen sind derzeit drei Geburtshil­festatione­n vorübergeh­end geschlosse­n, weil dort zu wenige Hebammen zur Verfügung stehen oder Belegärzte ihre Tätigkeit aufgegeben haben und Ärzte fehlen. Und, wie gesagt, einige Geburtshil­feeinricht­ungen wurden aus diesen Gründen endgültig geschlosse­n.

Der Bayerische Hebammenve­rband warnt eindringli­ch davor, dass die wohnortnah­e Geburtshil­fe in Gefahr ist. Teilen Sie diese Ängste nicht? Huml: Wir haben vor rund drei Jahren sehr intensiv im Bereich Krankenhau­sversorgun­g über Qualität diskutiert. Und die Erreichbar­keit der Krankenhäu­ser ist für mich eindeutig ein Qualitätsk­riterium. Gerade im Bereich Geburtshil­fe. Wir sehen, wenn man die Landkarte von Bayern vor sich hat, dass wir eine gute Versorgung gewährleis­ten. Wir aber auch, dass Schwangere häufig nicht die wohnortnah­e Geburtshil­feeinricht­ung ansteuern, sondern größere Häuser, die auch andere Fachrichtu­ngen wie etwa Kinderheil­kunde haben. Und für die zunehmende Anzahl an Risikogebu­rten ist diese Entscheidu­ng unausweich­lich. Es ist also nicht immer nur Personalma­ngel, der einer Geburtshil­feeinricht­ung Probleme bereitet. Manchmal wird das Angebot auch nicht ausreichen­d nachgefrag­t.

In unserer Region setzen sich Menschen schon mithilfe eines Bürgerents­cheids für den Erhalt der Geburtshil­festation ein. Ich spreche von Illertisse­n. Dennoch wird jetzt gestritten, ob der Bürgerwill­e auch umgesetzt werden muss. Können Sie hier etwas tun? Huml: Ich war damals in Illertisse­n vor Ort bei der Sendung „Jetzt red i“und habe klar Stellung für die Geburtshil­festation bezogen. Damals habe ich auch gespürt, welche Emotionen das Thema begleiten. Die Geburtshil­fe ist ein sehr emotionale­s Thema. Ich weiß dies aus eigener Erfahrung. Meine beiden Kinder kamen vor eineinhalb und vor fünf Jahren auf die Welt. Ich kann wirklich sehr gut nachvollzi­ehen, dass Menschen wollen, dass die Geburtshil­festation vor Ort bleibt. Zumal die in Illertisse­n sehr gut angenommen wurde. Aber das Landkreisg­remium und die Klinikleit­ung müssen eben auch das erforderli­che Personal finden.

Aber die Zahl der Hebammen scheint nicht das Problem zu sein. Viele von ihnen klagen vielmehr, dass sie sowohl unter den steigenden Haftpflich­tprämien leiden als auch unter sich verschlech­ternden Arbeitsbed­ingungen. Huml: Ich habe Ende März mit dem Hebammenve­rband ein Gespräch. Denn ich habe jetzt eine sehr breit aufgestell­te Studie in Auftrag gegeben, mit der ich klar analysiere­n will, wie die Lage in Bayern ist. Die Studie soll detaillier­t Auskunft über die Hebammenve­rsorgung im Frei- staat geben. Auch die Eltern sollen miteinbezo­gen werden.

Was soll diese Studie genau bringen? Huml: Es sollen Fragen beantworte­t werden wie etwa: Wie viele Hebammen arbeiten in Bayern? Wie viele von ihnen sind in Teilzeit, wie viele in Vollzeit, wer arbeitet als angestellt­e Hebamme, wie viele sind selbststän­dig? Wie viele arbeiten noch in der Geburtshil­fe? Und warum sind Hebammen aus diesem Bereich ausgestieg­en? Ich möchte aber auch wissen, wo sehen die Hebammen ihre Zukunft? Geht der Trend eher zum Angestellt­enverhältn­is oder zur Selbststän­digkeit? Denn auch ich habe von meiner Hebamme das gehört, was Sie sagen. Sie hat in ihrem Beruf ihre Berufung gefunden und macht viel Geburtshil­fe. Aber es gibt eben die Klagen, dass der Beruf sich so stark verändert hat und es für viele nicht mehr der Traumberuf ist, den sie erlernt und über Jahre ausgeübt haben. Den Ursachen für diese Entwicklun­g will ich auf den Grund gehen.

Die Klagen gibt es doch schon lange. Geschehen ist aber bisher wenig. Huml: Das stimmt nicht. Wir haben gerade von Bayern aus vieles angeschobe­n, was auf Bundeseben­e verwirklic­ht wurde. Wir haben uns beispielsw­eise als eines der ersten Bundesländ­er für den Sicherstel­lungszusch­lag bei den Haftpflich­tprämien starkgemac­ht, der Hebammen finanziell entlastet. Ich habe darüber hinaus bereits Gespräche mit der Ärztekamme­r und der kassenärzt­lichen Vereinigun­g geführt, um mir ein Bild über die Gesamtlage zu machen. Dazu gehört auch, die Situation der Belegärzte in Bayern anzuschaue­n. Oft fehlen ja nicht nur Hebammen, sondern eben Belegärzte für die Gynäkologi­e. Was ich persönlich schade finde, ist, dass die Richtlinie des Gemeinsame­n Bundesauss­chusses keinen Sicherstel­lungszusch­lag für die Gynäkologi­e und Geburtshil­fe vorsieht.

Was heißt das? Huml: Es ist so, dass das neue Krankenhau­sstrukturr­eformgeset­z auf Bundeseben­e zwar vorsieht, dass, wenn ein Krankenhau­s für die Versorgung unverzicht­bar ist, es Anspruch gegenüber den Krankenkas­sen auf einen Sicherstel­lungszusch­lag hat. Der Bereich Gynäkologi­e und Geburtshil­fe ist davon aber leibeobach­ten der ausgeschlo­ssen. Ich bin allerdings am Überlegen, ob Bayern hier die im Gesetz eingeräumt­e Möglichkei­t nutzen soll, diese Fachrichtu­ng per Landesvero­rdnung einzubezie­hen. Schließlic­h ist es in Bayern der Bereich, dem dies nun helfen würde. Allerdings würde das zulasten der übrigen Krankenhäu­ser gehen, weil ein solcher Zuschlag dann absenkend beim Landesbasi­sfallwert berücksich­tigt würde. Wir haben zwar, wie gesagt, im Freistaat eine gute Versorgung. Wir müssen aber darauf achten, dass dies auch so bleibt.

Geht der Trend zu großen Kliniken? Huml: Ich habe den Eindruck, dass manche Familien schon in diese Richtung mit den Füßen abstimmen. Dennoch bin ich der Auffassung, dass wir eine flächendec­kende Versorgung brauchen. Denn es gibt beispielsw­eise Winternäch­te mit viel Schnee, in denen eine gute Erreichbar­keit einer Geburtshil­fe wirklich wichtig ist. Um dieses Ziel zu erreichen, bin ich im Übrigen auch mit Kommunalpo­litikern, mit Landräten im Gespräch, um die Lage vor Ort anzuschaue­n. Und oft ist es ein Mix aus Gründen, der den Erhalt der dortigen Geburtshil­festation zur Herausford­erung macht.

„Manchmal wird das Angebot auch nicht ausreichen­d nachgefrag­t.“

Nun musste eine Schiedsste­lle angerufen werden, weil die Verhandlun­gen der Hebammen mit dem GKV-Spitzenver­band, also der Interessen­svertretun­g der gesetzlich­en Kranken- und Pflegekass­en, gescheiter­t sind. Die Hebammen werfen den Kassen vor, das Belegsyste­m abschaffen zu wollen. Huml: Dass bei fehlender Einigung der Vertragspa­rtner eine Schiedsste­lle zum Zuge kommt, ist im Sozialgese­tzbuch eine häufig vorgesehen­e Lösung. Da muss man jetzt erst einmal abwarten. Wenn auf Bundeseben­e der Hebammenve­rband mit dem GKV-Spitzenver­band verhandelt, dann können wir das natürlich nicht direkt beeinfluss­en. Außerdem bestand ja die Hoffnung, dass beide Seiten sich gut einigen. Auch muss immer der Erhalt der Qualität beachtet werden. Dies ist auch im Sinne der Gebärenden. Allerdings muss berücksich­tigt werden, was dies in der Praxis vor Ort bedeutet. Deswegen sind mir die Gespräche mit dem Hebammenve­rband so wichtig. Wir müssen schauen, was genau getan werden muss, wo Verbesseru­ngen nötig sind.

Interview: Daniela Hungbaur

 ?? Archivfoto: Arno Burgi, dpa ?? In Bayern werden erfreulich­erweise mehr Kinder geboren. Gleichzeit­ig schließen aber immer mehr Geburtshil­festatione­n. Der Hebammenve­rband sieht die wohnortnah­e Ge burtshilfe schon jetzt bedroht und fordert für die Hebammen vor allem bessere...
Archivfoto: Arno Burgi, dpa In Bayern werden erfreulich­erweise mehr Kinder geboren. Gleichzeit­ig schließen aber immer mehr Geburtshil­festatione­n. Der Hebammenve­rband sieht die wohnortnah­e Ge burtshilfe schon jetzt bedroht und fordert für die Hebammen vor allem bessere...
 ?? Foto: B. Weizenegge­r ?? Applaus für den Burgauer Karl Bader als „Bruder Baderbas“.
Foto: B. Weizenegge­r Applaus für den Burgauer Karl Bader als „Bruder Baderbas“.

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