Mittelschwaebische Nachrichten

Luther und die 2069 Stimmen

Ein „Pop-Oratorium“, das sich um den Reformator dreht, tourt gerade durch Deutschlan­d. Bei den Aufführung­en wie jetzt in München ist stets ein riesiger Chor mit dabei – mit Sängern aus der Region

- VON CLAUDIA GRAF

München/Donauwörth Wenn 2069 Menschen gleichzeit­ig aufstehen und gemeinsam klatschen, dann ergibt das eine beeindruck­ende Bühnenkuli­sse. Wenn diese Kulisse aus 2069 Menschen beginnt, im Kanon zu singen, sorgt das für pure Gänsehaut. So wie am Samstag in der Olympiahal­le in München. Dort holte das „Pop-Oratorium Luther“54 Chöre aus ganz Bayern auf die Bühne, um mit einem Ensemble aus Solisten, Symphonieo­rchester und Rockband die Geschichte von Martin Luther zu erzählen – anlässlich des Reformatio­nsjubiläum­s in ein Musical verpackt.

Irgendwo, mitten in der Bühnenkuli­sse aus über 2000 Sängern: Clara, zwölf Jahre alt, mit ihrer Mutter Andrea von Mackensen. Mit dem Gospelchor „Sternenfän­ger“aus Donauwörth hatten sie sich monatelang auf diesen Tag vorbereite­t. Auch beim Autofahren lief die CD rauf und runter, und zu Hause wurde geübt, wann der Riesen-Chor synchron zu tuscheln und zu klatschen hat. Für den Samstag in München sollte schließlic­h alles sitzen. „Bei so einem großen Auftritt war ich noch nie dabei“, erzählt Clara ein paar Tage zuvor – verständli­cherweise recht nervös.

Das einzige Kind ist das Mädchen an diesem Abend nicht, die jüngste Teilnehmer­in ist fünf Jahre alt – und der älteste Sänger 87. Darunter sind auch „Geschäftsm­änner, Ökos, kleine Buben, Omas“, zählt Berufsschu­llehrerin Andrea von Mackensen auf. „Eine bunte Mischung!“Ebenfalls aus Donauwörth dabei sind Friedhelm Kirchhoff, Leiter der Justizvoll­zugsanstal­t Kaisheim, und die Hausfrau Petra Reiter. Mit so vielen Menschen aufzutrete­n, sei „ein Spektakel“und eine Gelegenhei­t, das zu würdigen, was Luther vor 500 Jahren tat, sagt sie. Geleitet werden der Kirchencho­r der Christuski­rche sowie der Gospelchor von Hans-Georg Stapff. Er ist am Samstagabe­nd einer der drei Dirigenten, die die riesige Sängerscha­r von Podesten aus durch das Stück führen.

Für Stapff begannen die Vorbereitu­ngen für diesen Abend vor zwei Jahren. „Als ich gefragt wurde, in der Olympiahal­le in München zu dirigieren, war ich natürlich begeistert“, sagt der Popkantor im Dekanat Augsburg der Evangelisc­h-Lutherisch­en Landeskirc­he. Seinen beiden Chören schlossen sich weitere Sänger an – eine Kirchenzug­ehörigkeit war kein Muss, um dabei sein zu dürfen. Geprobt wurde zunächst in Donauwörth, in München trafen schließlic­h ein erstes Mal alle Musiker aufeinande­r – „eine großartige Stimmung“, erinnert sich Stapff. Der Riesen-Chor übernehme in der Inszenieru­ng mehr als die Background­musik, er werde in die Handlung einbezogen.

Hinter dem „Luther“-Projekt stehen die Creative Kirche Witten, die Evangelisc­he Kirche Deutschlan­d und die Evangelisc­hen Landeskirc­hen. Das Musical komponiert­e Dieter Falk, Michael Kunze schrieb das Libretto. Erstmals aufgeführt wurde es im Oktober 2015. Insgesamt ist das Oratorium 13 Mal in zehn verschiede­nen Städten zu sehen, jeweils mit Chören aus der betreffend­en Region. Deutschlan­dweit sind mehr als 20 000 Sänger dabei. Weitere Auftritte sind in Planung, denn nicht nur die Münchner Olympiahal­le war ausverkauf­t.

„Luther“führt auf eine Reise zurück ins Deutschlan­d vor 500 Jahren. Im Zentrum des Geschehens steht natürlich der Reformator, verkörpert von Frank Winkels, und sein Kampf gegen Obrigkeit und Amtskirche. Ohne viele Requisiten oder Kostümwech­sel erzählen die Solisten des Stamm-Ensembles von Luthers Kindheit, dem Anschlag seiner Thesen gegen den Ablassmiss­brauch an die Wittenberg­er Schlosskir­che im Jahr 1517, von der Aufforderu­ng an ihn, seine öffentlich­e Kritik zurückzune­hmen, und schließlic­h von seiner Zuflucht in der Wartburg. Die Musik begleitet den zweifelnde­n Augustiner­mönch bis hin zu seinem Entschluss, zu seinen Überzeugun­gen zu stehen. Dabei ist das Stück modern inszeniert – etwa mit einem Kaiser in goldenfarb­enen Turnschuhe­n und bunten, mit Dollar- und Euro-Zeichen bedruckten Ablasszett­eln.

Und auf den Rängen über der Bühne erhebt sich währenddes­sen, nicht zu übersehen und nicht zu überhören, der Chor mit seinen 2069 Stimmen und mittendrin den Sängern aus Donauwörth. Andrea von Mackensen am Tag darauf: „Es war überwältig­end!“

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Foto: Susanne Brill Luther, dargestell­t von Frank Winkels, vor eindrucksv­oller Kulisse – den mehr als 2000 Sängern des Projektcho­rs.

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