Mittelschwaebische Nachrichten
Jedes Jahr kommt die schlammige Flut
Schwere Überschwemmungen nehmen Hunderttausenden in Peru ihren Besitz – und zum Teil auch ihre Familien. Eine Frau überlebt. Sie wird zum Sinnbild der Katastrophe
Bogotá Wie ein Gespenst wirkt der Körper, der aus dem grauen Schlamm emporsteigt. Das Bild, das in diesen Tagen durchs Internet geht, lässt den Betrachter erschauern. Doch Evangelina Chamorro hat überlebt. Nicht einmal Knochenbrüche trug die Peruanerin davon, dafür aber einen Schock. Mehr als 50 Meter wurde sie von der Schlammlawine mitgerissen. Und mit ihr Steine, Felsbrocken, Holz, Metall und Menschen. Mindestens 75 Peruaner starben in der Schlammlawine.
Evangelina Chamorro ist ein bisschen verwirrt, aber ihr geht es den Umständen entsprechend gut. „Sie wird sich erholen, sie ist eine Kriegerin“, sagte die peruanische Gesundheitsministerin Patricia García, die ans Krankenbett Chamorros eilte. Ihr verzweifelter Kampf gegen die Fluten ist zum Sinnbild für die Katastrophe in Peru geworden. Rund 572 000 Menschen sind von den schweren Überschwemmungen betroffen, die in den vergangenen Tagen mehrere Städte heimgesucht haben.
Nahezu stündlich treffen neue Hiobsbotschaften ein: Mal ist es eine Brücke, die einstürzt, dann versagt die Trinkwasserversorgung, ganze Straßenzüge verschwinden im Wasser und ein neuer Erdrutsch kostet sieben Menschen das Leben. TVBilder zeigen, wie Menschen per Seilwinde aus ihren Häusern befreit werden, weil aus Straßen reißende Flüsse geworden sind. Die Zeitungen des Landes gehen davon aus, dass die Zahl der Toten steigen wird, wenn das Wasser und der Schlamm erst einmal abgeflossen sind.
Obendrein widersprechen sich die Behörden: Präsident Pedro Pablo Kuczynski rief am Samstagabend seine Landsleute zur Ruhe auf, dementierte Meldungen über einen Stopp der Trinkwasserlieferungen. Minuten zuvor hatte eine andere Behörde aber genau dies angekündigt. „Glauben Sie solche Meldungen nicht, das ist nicht wahr“, beschwor Kuczynski seine Landsleute. In ein paar Tagen will der Präsident eine Kommission vorstellen, die sich mit der Rekonstruktion der betroffenen Städte befasst. Allerdings sind bereits erneut heftige Regenfälle angesagt. Es könnte sein, dass sich der Albtraum noch weiter hinzieht.
Ist der Klimawandel oder ein Klimaphänomen schuld an den Wassermassen? Angesichts der katastrophalen Auswirkungen der Überschwemmungen flammt diese Debatte in Peru wieder auf. „El Niño costero“(der Küstenjunge) nennen Meteorologen das Phänomen, das alle Jahre wieder für heftige Regenfälle sorgt. Was ganz offensichtlich ist: Südamerika wird in jüngster Zeit immer härter von diesen Katastrophen getroffen. Starkregen werden stärker, Katastrophen katastrophaler. So schlimm wie diesmal sei es seit 1960 nicht mehr gewesen, berichten peruanische Medien.
Der betroffenen Bevölkerung ist es im Zweifelsfalle egal, ob der Klimawandel oder ein Klimaphänomen ihre Häuser, ihre Kinder oder ihre Dörfer hinweg gespült hat.
Eines steht jetzt schon fest: Länder wie Peru brauchen künftig größere, leistungsfähigere Abwassersysteme, um diese enormen Wassermassen aufzunehmen. Doch die Infrastruktur dafür fehlt. Europäische Länder besäßen das Fachwissen dazu, die Folgen der Überschwemmungen abzumildern. Das arme Peru kann so eine Mammutaufgabe bislang alleine nicht stemmen.
Extremwetter nehmen immer weiter zu