Mittelschwaebische Nachrichten
Was Deutsche und Türken verbindet und trennt
Günzburger Ditib-Gemeinde versucht einen Brückenschlag, der wenige Hundert Meter entfernt torpediert wird
Günzburg Die Teestube der türkisch-islamischen Gemeinde Ditib in Günzburg war am Samstagnachmittag gut besucht. Schließlich ging es um Fußball: Ein Spiel der Süper Lig lief auf zwei Großbildschirmen. Da war auch der im selben Gebäude befindliche Friseur, der Haare und Bärte für wenig Geld stutzt, plötzlich beschäftigungslos. In einem Raum der Teestube hängen die deutsche und türkische Flagge – und drei eingerahmte Fotos. In der Mitte, groß, ist Staatsgründer Mustafa Kemal Atatürk abgebildet. Rechts daneben der aktuelle Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan. Und links – bereits vor seinem offiziellen Amtsantritt am gestrigen Sonntag – Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.
Mit dem Bilderwechsel von Joachim Gauck auf Steinmeier war die Günzburger Ditib-Gemeinde, der nach eigenen Angaben ungefähr 1200 Menschen angehören, schneller als die allermeisten deutschen Behörden. Die Türken wollen mit ihrer „Flaggenecke“das Signal aussenden, dass sie sich mit beiden Ländern verbunden fühlen. Der Ende November neu gewählte Ditib-Vorstand wirbt, auch angesichts der belasteten deutsch-türkischen Beziehungen, um Vertrauen. Vertreter von Stadt, Landkreis, Kirche und Polizei sind der Einladung gefolgt, sich über Ditib und die Verantwortlichen (Vorsitzender: Mustafa Özkanli) zu erkundigen und Förder- und Mitwirkungsmöglichkeiten wie Deutschkurse und das interkulturelle Frauencafé in Günzburg vorzustellen. Im achtköpfigen Vorstand sind auch zwei Frauen.
Normalerweise halten sich in dem Raum, in dem zuerst diskutiert und dann gemeinsam gegessen wurde, viele Jugendliche auf. Zwei stromlose elektronische Dartautomaten weisen auf den an sich anderen Verwendungszweck hin. Aber das hier ist kein Spiel. Die Ditib-Gemeinde will zeigen, was hinter den Mauern des Hauses in der Webergasse geschieht. In die Teestube könne jeder kommen, sagt Vorsitzender Özkanli – natürlich auch Nichtmitglieder, natürlich auch Deutsche.
Eine Eingangstür weiter und einige Stufen höher befinden sich die auf zwei Stockwerke verteilten Gebetsräume für Männer und Frauen. Der junge Imam Hasan Dikici zeigt, wie die Moslems zu einem Gebet gerufen werden.
Fast gebetsmühlenartig wiederholt Ditib-Sprecher Ertugrul Yalcin an diesem Nachmittag, dass er nicht über Politik sprechen möchte. Denn das sei, bekräftigen andere Vorstandsmitglieder, in den DitibRäumlichkeiten nicht erwünscht. Hier gebe es Erdogan-Befürworter wie -Gegner. Dass aus diesem Grund ein Streit eskaliere, wolle niemand, deshalb dieser Vorstandsbeschluss.
Wenige Hundert Meter davon entfernt interessiert das andere Türken in keiner Weise. Fast zeitgleich hat ein türkischer Unternehmer in Privaträume in der Bahnhofstraße den nationalkonservativen AKPAbgeordneten Mustafa Yeneroglu eingeladen – und laut Polizei weitere 50 Teilnehmer. In diesem Gesprächskreis wirbt der türkische Politiker für das Referendum am 16. April, das die Macht Präsident Erdogans vergrößern soll – jenem Mann, der Deutschland Nazimethoden vorgeworfen hat, weil Mitglieder seiner Regierung nicht überall in Deutschland auftreten durften; jenem Mann, der erst am Samstag wieder verlauten ließ, dass er die Einführung der Todesstrafe befürwortet. »Politik, Kommentar