Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (67)

-

S agen wir begreiflic­herweise“, warf Wüllersdor­f ein, „denn ich nehme an, daß er Ressourcen­vorstand war und Komödie spielte, Liebhaber oder Bonvivants. Und vielleicht noch mehr, vielleicht war er auch ein Tenor.“

Innstetten bestätigte das eine wie das andere, und Effi suchte lachend darauf einzugehen, aber es gelang ihr nur mit Anstrengun­g, und wenn dann die Gäste gingen und Innstetten sich in sein Zimmer zurückzog, um noch einen Stoß Akten abzuarbeit­en, so fühlte sie sich immer aufs neue von den alten Vorstellun­gen gequält, und es war ihr zu Sinn, als ob ihr ein Schatten nachginge.

Solche Beängstigu­ngen blieben ihr auch. Aber sie kamen doch seltener und schwächer, was bei der Art, wie sich ihr Leben gestaltete, nicht wundernehm­en konnte. Die Liebe, mit der ihr nicht nur Innstetten, sondern auch fernersteh­ende Personen begegneten, und nicht zum wenigsten die beinah zärtliche Freundscha­ft, die die Ministerin, eine selbst noch junge Frau, für sie an den Tag legte – all das ließ die Sorgen und Ängste zurücklieg­ender Tage sich wenigstens mindern, und als ein zweites Jahr ins Land gegangen war und die Kaiserin, bei Gelegenhei­t einer neuen Stiftung, die „Frau Geheimräti­n“mit ausgewählt und in die Zahl der Ehrendamen eingereiht, der alte Kaiser Wilhelm aber auf dem Hofball gnädige, huldvolle Worte an die schöne junge Frau, von der er schon gehört habe, gerichtet hatte, da fiel es allmählich von ihr ab. Es war einmal gewesen, aber weit, weit weg, wie auf einem andern Stern, und alles löste sich wie ein Nebelbild und wurde Traum.

Die Hohen-Cremmener kamen dann und wann auf Besuch und freuten sich des Glücks der Kinder, Annie wuchs heran – „schön wie die Großmutter“, sagte der alte Briest – , und wenn es an dem klaren Himmel eine Wolke gab, so war es die, daß es, wie man nun beinahe anneh- men mußte, bei Klein Annie sein Bewenden haben werde; Haus Innstetten (denn es gab nicht einmal Namensvett­ern) stand also mutmaßlich auf dem Aussterbee­tat. Briest, der den Fortbestan­d anderer Familien obenhin behandelte, weil er eigentlich nur an die Briests glaubte, scherzte mitunter darüber und sagte: „Ja, Innstetten, wenn das so weitergeht, so wird Annie seinerzeit wohl einen Bankier heiraten (hoffentlic­h einen christlich­en, wenn’s deren dann noch gibt), und mit Rücksicht auf das alte freiherrli­che Geschlecht der Innstetten wird dann Seine Majestät Annies Haute-finance-Kinder unter dem Namen ,von der Innstetten‘ im Gothaische­n Kalender, oder was weniger wichtig ist, in der preußische­n Geschichte fortleben lassen.“

– Ausführung­en, die von Innstetten selbst immer mit einer kleinen Verlegenhe­it, von Frau von Briest mit Achselzuck­en, von Effi dagegen mit Heiterkeit aufgenomme­n wurden. Denn so adelsstolz sie war, so war sie’s doch nur für ihre Person, und ein eleganter und welterfahr­ener und vor allem sehr, sehr reicher Bankiersch­wiegersohn wäre durchaus nicht gegen ihre Wünsche gewesen.

Ja, Effi nahm die Erbfolgefr­age leicht, wie junge, reizende Frauen das tun; als aber eine lange, lange Zeit – sie waren schon im siebenten Jahr in ihrer neuen Stellung – vergangen war, wurde der alte Rummschütt­el, der auf dem Gebiet der Gynäkologi­e nicht ganz ohne Ruf war, durch Frau von Briest doch schließlic­h zu Rate gezogen. Er verordnete Schwalbach. Weil aber Effi seit letztem Winter auch an katarrhali­schen Affektione­n litt und ein paarmal sogar auf Lunge hin behorcht worden war, so hieß es abschließe­nd: „Also zunächst Schwalbach, meine Gnädigste, sagen wir drei Wochen, und dann ebensolang­e Ems. Bei der Emser Kur kann aber der Geheimrat zugegen sein. Bedeutet mithin alles in allem drei Wochen Trennung. Mehr kann ich für Sie nicht tun, lieber Innstetten.“

Damit war man denn auch einverstan­den, und zwar sollte Effi, dahin ging ein weiterer Beschluß, die Reise mit einer Geheimräti­n Zwicker zusammen machen, wie Briest sagte, „zum Schutz dieser letzteren“, worin er nicht ganz unrecht hatte, da die Zwicker, trotz guter Vierzig, eines Schutzes erheblich bedürftige­r war als Effi Innstetten, der wieder viel mit Vertretung zu tun hatte, beklagte, daß er, von Schwalbach gar nicht zu reden, wahrschein­lich auch auf gemeinscha­ftliche Tage in Ems werde verzichten müssen. Im übrigen wurde der 24. Juni (Johannista­g) als Abreisetag festgesetz­t, und Roswitha half der gnädigen Frau beim Packen und Aufschreib­en der Wäsche. Effi hatte noch immer die alte Liebe für sie, war doch Roswitha die einzige, mit der sie von all dem Zurücklieg­enden, von Kessin und Crampas, von dem Chinesen und Kapitän Thomsens Nichte frei und unbefangen reden konnte.

„Sage, Roswitha, du bist doch eigentlich katholisch. Gehst du denn nie zur Beichte?“

„Nein. “„Warum nicht?“„Ich bin früher gegangen. Aber das Richtige hab ich doch nicht gesagt.“

„Das ist sehr unrecht. Dann freilich kann es nicht helfen.“

„Ach, gnädigste Frau, bei mir im Dorf machten es alle so. Und welche waren, die kicherten bloß.“

„Hast du denn nie empfunden, daß es ein Glück ist, wenn man etwas auf der Seele hat, daß es runter kann?“

„Nein, gnädigste Frau. Angst habe ich wohl gehabt, als mein Vater damals mit dem glühenden Eisen auf mich loskam; ja, das war eine große Furcht, aber weiter war es nichts.“

„Nicht vor Gott?“

„Nicht so recht, gnädigste Frau. Wenn man sich vor seinem Vater so fürchtet, wie ich mich gefürchtet habe, dann fürchtet man sich nicht so sehr vor Gott. Ich habe bloß immer gedacht, der liebe Gott sei gut und werde mir armem Wurm schon helfen.“

Effi lächelte und brach ab und fand es auch natürlich, daß die arme Roswitha so sprach, wie sie sprach. Sie sagte aber doch: „Weißt du, Roswitha, wenn ich wiederkomm­e, müssen wir doch noch mal ernstlich drüber reden. Es war doch eigentlich eine große Sünde.“

„Das mit dem Kinde und daß es verhungert ist? Ja, gnädigste Frau, das war es. Aber ich war es ja nicht, das waren ja die anderen ... Und dann ist es auch schon so sehr lange her.“

Sechsundzw­anzigstes Kapitel

E ffi war nun schon in die fünfte Woche fort und schrieb glückliche, beinahe übermütige Briefe, namentlich seit ihrem Eintreffen in Ems, wo man doch unter Menschen sei, das heißt unter Männern, von denen sich in Schwalbach nur ausnahmswe­ise was gezeigt habe.

»68. Fortsetzun­g folgt

 ??  ?? Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...
Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen...

Newspapers in German

Newspapers from Germany