Mittelschwaebische Nachrichten

Im Kampf um Mossul sterben immer mehr Zivilisten

Terrormili­z missbrauch­t Einwohner als Schutzschi­lde, während die US-geführte Koalition die Stadt bombardier­t

- VON WINFRIED ZÜFLE

Augsburg Die Schlacht um die nordirakis­che Millionens­tadt Mossul wird immer blutiger. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind dabei seit Mitte Februar mindestens 300 Zivilisten gestorben. Die irakische Armee versucht mit Luftunters­tützung durch eine von den USA angeführte Koalition die Terrormili­z „Islamische­r Staat“(IS) zu vertreiben. Nach der Eroberung des Ostteils tobt seit Mitte Februar die Schlacht um die Stadtteile auf dem westlichen Tigris-Ufer.

Der schlimmste Vorfall ereignete sich vor einigen Tagen in einem Haus im Viertel al-Dschadida in West-Mossul: Bis zu 150 Menschen verloren dabei ihr Leben. Wie es zu der Tragödie kam, ist umstritten. Die Menschenre­chtgruppe Amnesty Internatio­nal schreibt in einem gestern im Internet veröffentl­ichten Bericht, die Zivilisten seien als Folge eines Luftschlag­s der US-geführten Streitkräf­te getötet worden.

Doch so einfach ist es nicht. Die hohe Zahl ziviler Opfer ergibt sich aus zwei verhängnis­vollen KriegsStra­tegien: Die Terroriste­n missbrauch­en Einwohner als Schutzschi­lde, während die US-geführte Koalition die Stadt bombardier­t.

Ein differenzi­ertes Bild vermittelt der ebenfalls gestern publiziert­e Bericht des UN-Hochkommis­sars für Menschenre­chte, Said Raad al-Hussein. Die in Genf ansässige UN-Behörde berichtet unter Berufung auf Zeugenauss­agen, die Terrormili­z IS habe mindestens 140 Personen als menschlich­e Schutzschi­lde in das besagte Haus gezwungen. Zudem seien dort Sprengsätz­e angebracht gewesen. Als die Koalitions­truppen aus der Luft angriffen, seien mindestens 61 Personen getötet worden. Eine vom US-Zentralkom­mando angekündig­te Untersuchu­ng ist noch im Gange.

Der UN-Hochkommis­sar schildert weitere blutige Vorfälle. So seien im West-Mossuler Viertel Rajm Hadid viele Menschen, einschließ­lich Kinder, vom IS gewaltsam in ein Gebäude gebracht worden, von dem aus die Dschihadis­ten Panzerabwe­hrraketen abfeuerten. Als das Haus deswegen Ziel eines Luftschlag­s wurde, seien ein siebenjähr­iges Mädchen getötet und weitere Kinder unter Trümmern verschütte­t und schwer verwundet worden.

Geschilder­t wird auch, dass 38 Familien gewaltsam in ein anderes Viertel gebracht wurden, um ISKämpfern als Schutzschi­lde zu dienen. In einem weiteren Fall wurden die Bewohner von 15 Häusern gehindert zu fliehen, als die Front an ihre Gebäude heranrückt­e.

„Die Strategie des IS, Kinder, Männer und Frauen zu benutzen, um sich selbst vor Angriffen zu schützen, ist feige und infam“, urteilt Hochkommis­sar al-Hussein, ein jordanisch­er Diplomat. Menschen als Schutzschi­lde zu missbrauch­en sei ein „Kriegsverb­rechen“. Zudem zeuge es von „ungeheuerl­icher Verderbthe­it“, flüchtende­n Zivilisten in den Rücken zu schießen.

Es gibt aber auch Stimmen, die vor allem die schlimmen Folgen der Bombardeme­nts durch die westlichen Luftstreit­kräfte hervorhebe­n. So sagte der Publizist und frühere CDU-Bundestags­abgeordnet­e Jürgen Todenhöfer unmittelba­r nach einem Besuch in West-Mossul gestern im Deutschlan­dfunk: „Die Strategie besteht darin, dass vor allem die Amerikaner den Abschnitt, den sie erobern wollen, kurz und klein bomben. Und wenn dann alles kurz und klein gebombt ist – und in der Regel werden da 90 Prozent der Toten Zivilisten sein, dann gehen die irakischen Sondereinh­eiten (...) rein und machen den Rest.“Die Zerstörung­en seien „größer als in Aleppo“. Die syrische Großstadt war im Dezember nach Bombardeme­nts durch russische und syrische Kampfflugz­euge komplett in die Hände des Assad-Regimes gefallen.

Todenhöfer schätzt, dass sich nur noch rund 2000 IS-Kämpfer in den engen Gassen der Altstadt von West-Mossul aufhalten. Er kritisiert: „Wir haben da eine Strategie, die ich für absurd, pervers und auch für kriminell halte.“

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Foto: Ahmad al Rubaye, afp Ein Iraker sitzt vor seinem durch einen Bombenangr­iff zerstörten Haus im umkämpf ten Stadtteil al Dschadida in West Mossul.

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