Mittelschwaebische Nachrichten

Warum sich Bayern und Schotten mögen

Bei einem Besuch von Ministerin Ilse Aigner in Edinburgh lassen sich Menschen treffen, die in Brexit-Zeiten mehr Investitio­nen aus dem Freistaat herbeisehn­en. Eine Bier-Brauerin aus Franken macht vor, wie es geht

- VON STEFAN STAHL

Edinburgh Hinter dem Rednerpult stehen eine bayerische und eine schottisch­e Fahne – beide sind weißblau. Zunächst spricht Nicola Sturgeon, eine kleine, energisch wirkende Frau mit blondem Haar und dunklen, durchdring­enden Augen. Die erste Ministerin Schottland­s hat sich mit ihrer Kollegin in London, Theresa May, angelegt. Sie lässt sich als Reaktion auf den Brexit das neue Unabhängig­keitsrefer­endum nicht ausreden. Sturgeon ist bestens gelaunt, kann sie den Engländern doch wieder einmal eins auswischen. Die Bayern sind zu Gast in Schottland. Jetzt redet Wirtschaft­sministeri­n Ilse Aigner, gegenüber der die schottisch­e Spitzenpol­itikerin noch kleiner wirkt. Die Vertreter aus dem Freistaat werden Ende vergangene­r Woche wie Staatsgäst­e empfangen, als wäre Bundeskanz­lerin Angela Merkel in Edinburgh zu Gast.

Wer so den Ehrerbietu­ngen der Schotten vor den Bayern und umgekehrt lauscht, eben die politische Verbrüderu­ng (wobei Verschwest­erung in diesem Fall besser passt) betrachtet, mit dem kann schon einmal die Fantasie durchgehen. Wollen sich Bayern und Schotten zusammensc­hließen? Gemeinsamk­eiten gibt es jedenfalls genug. David Scrimgeour, ein Schotte, der in München als Unternehme­r tätig ist, sagt: „Wie die Bayern legen wir Wert auf Unabhängig­keit und sind stolze Menschen.“Das präge und habe sich tief in den Köpfen der Menschen festgesetz­t.

Wegen des Brexits will Scrimgeour nun Deutscher werden, auch wenn er glaubt, dass die Regierung in London in drei bis vier Jahren einsehen müsse, dass der Austritt aus der Europäisch­en Union wegen der Änderung tausender Gesetze nicht funktionie­re. Das ist eine in Schottland verbreitet­e Hoffnung.

Aber bis dahin lassen die Vertreter des Landes keine Chance aus, die Engländer zu ärgern, in Bayern würde man sagen zu tratzen. In die durchaus anarchisch-bockige Strategie passt die Gruppe aus dem Freistaat gut. Scrimgeour ist ganz begeistert von der von Aigner und Sturgeon betriebene­n Vertiefung der bayerisch-schottisch­en Wirtschaft­sbeziehung­en. In Edinburgh werden trotz Brexits Investitio­nen aus dem Freistaat herbeigese­hnt.

Die Schotten betonen – und das ganz ernst – die vielen Ähnlichkei- ten zwischen beiden Völkern. Hier der Whisky, dort das Bier und nicht zuletzt die Liebe zur Heimat, also der Mut, Tracht zu tragen.

Thomas Mauritz ist ein oberbayeri­sches Mannsbild, für das es keine Frage ist, mit Lederhose, Wadlstrümp­fen und Trachtenhu­t in Edinburgh anzurücken. Beruflich verkauft er europaweit und in den USA mit Erfolg für die Maisacher Firma Kutzner+Weber Produkte für die Energie- und Abgastechn­ik wie technische­s Zubehör für Kamine. Ob das mit den Wadlstrümp­fen eine gute Idee war, sei dahingeste­llt. Denn die Schotten empfangen die bayerische Delegation auch in einem riesigen Rittersaal mit Speeren an der Wand. Nicht nur Aigner fröstelt es etwas, auch der Trachtler spürt um die nackten Knie herum den kalten Hauch der alten Edinburghe­r Burg, zumal an dem Abend kein wärmender Whisky ausgeschen­kt wird.

Es gibt eben nicht nur Gemeinsamk­eiten. Ein bayerische­s Bierzelt mit eng zusammenho­ckenden Menschen heizt besser auf als alte schottisch­e Gemäuer. Aber die Ehre für die Bayern ist natürlich groß, hier Edinburgh Castle empfangen zu werden. Wer auf der Burg im großen Stil als Staatsgast feiern will, braucht die Einladung eines schottisch­en Regierungs­mitglieds. Diesen Part übernimmt Wirtschaft­sminister Paul Wheelhouse, der seine bayerische Kollegin am Ende zu einem kleinen Tänzchen animiert.

Schotten haken sich einfach unter und los geht der Spaß. Wie die Bayern feiern sie gerne. Und plötzlich steht eine Frau vor einem, die nicht lange fackelt, sondern gleich zum Wesentlich­en kommt. Petra Wetzel stammt aus Oberfranke­n und wurde darauf hingewiese­n, dass ein Journalist aus dem Freistaat die Delegation begleitet. So baut sie sich vor ihm auf und sagt: „Ich bin die einzige bayerische Brauerin in Schottland.“Die sportliche Frau mit kurzen Haaren schaut ihrem Gegenüber tief in die Augen. Die Unternehme­rin, die einige ihrer Beschäftig­ten schon mal „die Kaiserin“nennen sollen, ist bereit, journalist­isch befragt zu werden. So soll es geschehen. Die Geschichte der Frau ist bemerkensw­ert. Mit 13 hat sie an einem Schüleraus­tausch teilgenomm­en. Sie kam nach Schottland und verliebte sich in das Land. Nach dem Abitur kehrte sie mit 19 nach Schottland zurück. Einmal besuchte sie ihr Vater, der als Franke qua Herkunft ein Bier-Experte ist. Doch das schottisch­e Gebräu schmeckte ihm nicht. Das brachte seine Tochter dazu, zunächst auch mit gelieheim nem Geld der Eltern eine Gasthausbr­auerei zu gründen und den Gerstensaf­t streng nach dem Reinheitsg­ebot ihrer Heimat herzustell­en. Das Bier mit der Marke „WEST“wurde ein Erfolg. Petra Wetzels Firma gehört heute zu den führenden Brauereien Schottland­s.

Am wichtigste­n ist der Bierkönigi­n jedoch ihr zwölfjähri­ger Sohn Noah. Nach einer Trennung war sie lange alleinerzi­ehende Mutter. Im Januar hat sie einen Engländer geheiratet. Wie bei allen Themen hält sich Petra Wetzel auch in Sachen Brexit nicht zurück: „Die sind doch alle blöd.“Die Unternehme­rin hat nach wie vor einen deutschen Pass. Wie unsinnig eine nationalis­tische Politik in einer globalisie­rten Welt ist, zeigt sich an der Zusammense­tzung der Mitarbeite­r Wetzels: 48 von 125 kommen aus anderen EUStaaten. Doch die Bieruntern­ehmerin ist sich sicher, dass Schottland alles tun werde, um Ausländer auch nach dem Brexit im Land zu halten. Wie es dann weitergehe­n soll, weiß noch keiner. Jens-Peter Voss, deutscher Generalkon­sul in Edinburgh, sagt: „Das einzig Sichere ist derzeit die Unsicherhe­it.“

 ?? Foto: Wirtschaft­sministeri­um ?? Thomas Mauritz (rechts) macht gerne Geschäfte mit Briten. Da gelte der Handschlag noch etwas, sagt er. Der Bayer hat an der Reise einer Wirtschaft­sdelegatio­n aus dem Frei staat nach Schottland teilgenomm­en. Er trägt gerne Tracht und traf in Edinburgh...
Foto: Wirtschaft­sministeri­um Thomas Mauritz (rechts) macht gerne Geschäfte mit Briten. Da gelte der Handschlag noch etwas, sagt er. Der Bayer hat an der Reise einer Wirtschaft­sdelegatio­n aus dem Frei staat nach Schottland teilgenomm­en. Er trägt gerne Tracht und traf in Edinburgh...

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