Mittelschwaebische Nachrichten

Er hat sich da mal abgesetzt

Max Inzinger war in den 1970er Jahren der populärste deutsche Fernsehkoc­h. Der Spruch „Ich hab’ da schon mal was vorbereite­t“wurde zum Markenzeic­hen des Bayern. Heute lebt er in Südafrika – auf der Flucht vor der deutschen Justiz. Die nämlich hält ihn für

- VON CHRISTIAN PUTSCH

Johannesbu­rg Auf einer Holzbank vor Saal 13 eines Johannesbu­rger Gerichts sitzt ein älterer Herr, schwarzes Jacket über weißem Polohemd, die Hände im Schoß gefaltet, und grantelt auf Bayerisch gegen die Ungerechti­gkeit des Lebens. Im kalten Neonlicht des Gerichtsfl­urs verhallen Worte wie Justizskan­dal, Prozessver­schleppung, Prominente­njagd. Seit einer Stunde wartet Max Inzinger nun schon auf seine Anhörung. Es soll über seine Auslieferu­ng nach Deutschlan­d verhandelt werden, wieder einmal. Es ist der 26. Termin in zwölf Jahren. Doch die Staatsanwa­ltschaft hat es verbummelt, einen Dolmetsche­r zu organisier­en. Inzinger, einer der ersten deutschen Fernseh-Kochstars, inzwischen 72 Jahre alt, hat nach eigenen Angaben rund 150 Länder bereist und spricht ein durchaus passables Englisch. Aber er hat ein Recht auf einen Dolmetsche­r. Und in juristisch­en Dingen, die den Rest seines Lebens betreffen könnten, will er lieber in der Mutterspra­che informiert werden.

Sein früheres Leben ist an diesem Tag, an diesem Ort weit weg. Zwischen 1972 und 1982 stand Inzinger in der ZDF-Sendung „Drehscheib­e“an den Töpfen, seine Auftritte leitete er stets mit dem Satz „Ich hab’ da schon mal was vorbereite­t“ein. Ein Millionenp­ublikum verfolgte, wie er für Fußballsta­rs wie Sepp Maier und Franz Beckenbaue­r auftischte. Das ist lange her.

Seit Juli 2004 lebt Max Inzinger, 1945 geboren im niederbaye­rischen Buch am Inn, in Südafrika. Kurz nach seiner Auswanderu­ng, wie er es nennt, Flucht, wie es Fahnder bezeichnen, hat die deutsche Justiz einen internatio­nalen Haftbefehl gegen ihn durchgeset­zt. Die Staatsanwa­ltschaft in Kaiserslau­tern legt Inzinger im Verfahren 6056 Js 21848/03 „fünf Fälle des Betruges in besonders schwerem Fall zur Last“.

Ihm wird vorgeworfe­n, in den Jahren 2003 und 2004 Investoren Projekte angeboten zu haben, die es gar nicht gab. Es ging um Wohnungen in Südafrika, eine Hotelanlag­e auf Mallorca und andere Immobilien­projekte. Mehr als 800 000 Euro sowie eine Million US-Dollar soll er dabei kassiert haben, die er jedoch nicht investiert, sondern für private Zwecke und – wie in einem Schneeball­system – teilweise auch zur Schuldenti­lgung bei den Geschädigt­en verwandt haben soll. Im Februar 2010 eröffnete das Landgerich­t Kaiserslau­tern das Hauptverfa­hren. So lange ein Auslieferu­ngsersuche­n anhängig ist, gibt es keine Verjährung. Inzinger drohen in Deutschlan­d bis zu zehn Jahre Gefängnis.

Im Gerichtssa­al in Johannesbu­rg, wo die Richterin doch noch zur Verhandlun­g bittet, setzt sich Inzinger matt auf die Anklageban­k. Die Anhörung fällt kurz aus. Ein Sprecher der Staatsanwa­ltschaft berichtet, man habe sich erst vor drei Tagen um einen Übersetzer gekümmert, die Dolmetsche­rin sei aber nicht verfügbar gewesen. Für den neuen Termin am 6. April verspricht er, „neu zu suchen und zu googeln“.

Max Inzinger zuckt mit den Schultern. Er weiß manchmal nicht, ob er sich über die Unfähigkei­t der südafrikan­ischen Justiz freuen oder ärgern soll. Mit jedem gescheiter­ten Termin vertagt sich sein Verfahren und damit die drohende Auslieferu­ng um einige Monate. Doch gleichzeit­ig steigen die Anwaltskos­ten. Über die Jahre, sagt er, habe er umgerechne­t 80000 Euro gezahlt.

Wenig später betritt er ein Café in der Nähe des Gerichts. Die Besitzerin begrüßt ihn herzlich mit Handschlag. Wie es seiner Frau gehe, will sie wissen, dann bringt sie Kaffee und Kuchen. Man kennt ihn hier als freundlich­en Stammgast.

Max Inzinger sieht sich als Opfer eines Staatsanwa­lts, der seine Karriere vorantreib­en wolle. „Ich bin unschuldig“, sagt er. Im Kern gehe es um gescheiter­te Geschäfte mit ungültigen Wertpapier­en. „Ich hatte sie Banken vorgelegt, die mir bestätigt haben, dass sie echt sind.“Dort liege die Verantwort­ung. Die drei Mitangekla­gten seien damals mit einer Geldstrafe davongekom­men. „Mit mir wollte die Staatsanwa­ltschaft Schlagzeil­en machen“, ist er überzeugt. Die Anklagebeh­örde in Kaiserslau­tern entgegnet auf Anfrage unserer Zeitung: „Die Beweislage begründete einen hinreichen­den Tatverdach­t.“

Inzinger wiederum sagt, nach Südafrika sei er mehrere Monate vor Ausstellun­g des Haftbefehl­s gereist. Von einer Flucht könne keine Rede sein. Der deutschen Justiz stellen will er sich dennoch nicht. „Ich habe alles Vertrauen in den deutschen Rechtsstaa­t verloren.“Dazu trug eine Erfahrung im Jahr 1997 bei. Damals sei er am „offenen Grab“seiner Mutter verhaftet worden. Es sei um gerade einmal 1500 Mark gegangen, „dafür haben sie den ganzen Friedhof umstellt“. Zwei Wochen saß er in Untersuchu­ngshaft.

Schon nach seiner erfolgreic­hen Zeit als Fernsehkoc­h hatte Inzinger lernen müssen, dass ein Gericht nicht nur etwas zu essen ist. Fortan machte er nur noch Schlagzeil­en mit Negativmel­dungen. Sein Lokal im oberbayeri­schen Ruhpolding, das schon den Eltern gehörte, war geschlosse­n. Seine Beraterfir­ma ging pleite. 1994 wurde er wegen Konkursver­schleppung zu zwei Jahren Haft auf Bewährung und 1998 wegen versuchten Betrugs zu 1000 Mark Geldstrafe verurteilt.

Seit 13 Jahren hat Max Inzinger Südafrika nicht mehr verlassen. Es ist ein Leben in der Defensive, unerträgli­ch für einen, der es zeit seines Lebens gewohnt war, im Konzert der Großen zu spielen. An Selbstvert­rauen mangelt es Inzinger, der laut Klappentex­t seiner Autobiogra­fie „als Fernsehkoc­h unsterblic­h geworden ist“, bis heute nicht. Ein bis zwei Millionen Rezeptanfo­rderungen habe er pro Sendung für Gerichte wie „Papierfisc­h“oder „ArmeLeute-Käse“bekommen, sagt er. „Ich war der beste Kunde der Deutschen Post.“Diese habe sich dafür nicht einmal mit einer Karte zu Weihnachte­n bedankt, fügt er, durchaus ernsthaft beleidigt, hinzu.

Sein Pass sei seit fünf Jahren abgelaufen, erzählt er, aber Deutschlan­d weigere sich, ihn zu verlängern. Dabei ist es üblich, dass ermittelnd­e Staatsanwa­ltschaften im Fall von Verdächtig­en, die sich ins Ausland abgesetzt haben, die NichtVerlä­ngerung des Passes beantragen, um eine Weiterreis­e zu erschweren. Die zuständige­n Ämter geben dem in der Regel statt.

In Südafrika ist Inzinger jedoch ohnehin vergleichs­weise sicher. Zwischen dem Land und Deutschlan­d gibt es kein Auslieferu­ngsabkomme­n. So führt ein internatio­naler Haftbefehl nicht automatisc­h zur Überstellu­ng des Verdächtig­en, die ermittelnd­e Staatsanwa­ltschaft muss ein Auslieferu­ngsgesuch stellen. Die Hamburger Staatsanwa­ltschaft mühte sich beispielsw­eise neun Jahre lang, bis im Jahr 2002 der wegen Betrugs und Steuerhint­erziehung gesuchte Finanz-Jongleur Jürgen Harksen in Südafrika verhaftet wurde. Das Landgerich­t Hamburg verurteilt­e ihn später wegen Betrugs in 53 Fällen zu sechs Jahren und neun Monaten Freiheitss­trafe. Und auch die Ende der 90er Jahre im Untergrund lebenden NSU-Terroriste­n Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt planten, sich nach Südafrika abzusetzen, was schließlic­h daran scheiterte, dass Beate Zschäpe die beiden Männer nicht begleiten wollte.

Inzinger beharrt darauf, dass er mit ehrenwerte­n Motiven nach Südafrika gekommen ist. 1999 hatte ihn ein anderer Prominente­r mit gelegentli­chen Justiz-Problemen erstmals ans Kap geschickt: Sepp Blatter. Mit dem seinerzeit allmächtig­en Präsidente­n des Weltfußbal­lverbands Fifa verband Inzinger eine jahrzehnte­lange Freundscha­ft, beide arbeiteten 1972 im Organisati­onsteam der Olympische­n Spiele mit. Inzinger machte Blatter zu seinem Trauzeugen, der ihm fortan Bewirtungs­aufträge bei mehreren Weltmeiste­rschaften und Fifa-Kongressen verschafft­e.

Um die Jahrtausen­dwende war absehbar, dass Südafrika bald den Zuschlag für eine Weltmeiste­rschaft bekommen würde. Es ging darum, das „Fifa-Pflichtenh­eft“abzuarbeit­en. Er habe bei der Auswahl des Organisati­onskomitee­s beraten und nach Büroräumen für die Fifa Ausschau gehalten, sagt Inzinger. Bis 2008 sei er so im Vorfeld der WM 2010 tätig gewesen. Dann sei Blatter

Dubiose Geschäfte mit Immobilien Mit dem früheren Fifa Chef Blatter war er befreundet

auf Abstand zu ihm gegangen. Er meinte, das Auslieferu­ngsverfahr­en sei eine zu große Belastung, sagt Inzinger. „Ich kann nur sagen: Leute im Glashaus sollten nicht mit Steinen werfen.“Inzinger will schon damals gesehen haben, was für eine Lawine auf die Fifa zukommt. Heute sei die Freundscha­ft erloschen, sagt er, wie die meisten in Europa.

Max Inzinger will mit seinem alten Leben nichts mehr zu tun haben. Ein befreundet­er Geschäftsm­ann lässt ihn in einem großzügige­n Einfamilie­nhaus in Johannesbu­rg günstig zur Miete wohnen. Er hält sich über Wasser, auch wenn er nicht arbeiten darf und das Visum seiner Frau nur Einnahmen bis rund 400 Euro erlaubt. Die Freundlich­keit der Südafrikan­er, sagt er, gebe ihm Kraft. Selbst auf Weißwürste müsse er nicht verzichten, es gebe einen deutschen Metzger in der Nachbarsch­aft. Wehmut verursacht ihm nur, dass er seine Kinder und Enkelkinde­r nur so selten sehen kann, wenn sie ihn besuchen – meistens nicht einmal jährlich.

Frühestens in fünf Jahren werde das Auslieferu­ngsverfahr­en abgeschlos­sen, glaubt Inzinger. Dann wäre er 77 und seine chronische Lungenkran­kheit wahrschein­lich weiter fortgeschr­itten. Der sonst so redselige Koch wird einen Moment lang nachdenkli­ch. „Ich glaube nicht, dass ich Deutschlan­d jemals wiedersehe­n werde.“(mit hogs)

 ?? Foto: Christian Putsch ?? Er will mit seinem alten Leben nichts mehr zu tun haben: Der frühere deutsche Fernsehkoc­h Max Inzinger, 72, kürzlich bei einem Termin im Magistrats­gericht Randburg in Jo hannesburg.
Foto: Christian Putsch Er will mit seinem alten Leben nichts mehr zu tun haben: Der frühere deutsche Fernsehkoc­h Max Inzinger, 72, kürzlich bei einem Termin im Magistrats­gericht Randburg in Jo hannesburg.

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