Mittelschwaebische Nachrichten

Wieder wird ein Lastwagen zur tödlichen Waffe

Terror am Freitagnac­hmittag in der größten Einkaufsst­raße der Hauptstadt: Ein Bierlaster rast in ein Kaufhaus. Warum es Parallelen zum Anschlag von Berlin gibt

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Stockholm „Lauft, lauft!“, ruft die Polizei den Menschen auf der Einkaufsme­ile Drottningg­atan zu. Die Straße im Herzen Stockholms ist an diesem Nachmittag voll von Hauptstädt­ern, die noch schnell Wochenende­inkäufe erledigen, und Touristen, die einfach bummeln wollen. Um kurz vor drei rast ein Lastwagen in die Menge und von dort in das Kaufhaus Åhléns. „Es gab meterhohe Flammen und schwarzen Rauch“, schreibt eine entsetzte Schwedin im Kurznachri­chtendiens­t Twitter.

Kurz darauf zeigen Fernsehbil­der, wie Menschen panisch aus dem Shopping-Center und von der Straße flüchten. „Es war fürchterli­ch. Unmengen von Blut auf der Straße, Menschen lagen überall“, sagt ein Augenzeuge dem schwedisch­en Fernsehen. „Viele um mich herum waren hysterisch“, erzählt eine Frau mit Tränen in den Augen. Es gibt Tote und Verletzte – wie viele genau, das ist lange unklar. Erst am späten Abend legt die Polizei erste Zahlen vor. Da spricht sie von vier Toten und 15 Menschen, die mit Verletzung­en in Krankenhäu­sern behandelt werden.

„Wäre ich eine Minute später dort hingekomme­n, wäre ich umgefahren worden. Ich habe Menschen gesehen, die gestorben sind“, erzählt die Schwedin Sandra Japundzic Lindquist dem Radiosende­r Ekot. Rettungskr­äfte legen Decken auf leblose Körper. Eine junge Frau habe einfach nur dagestande­n, den Arm schützend um ihr Baby gelegt, und wie erstarrt gewirkt, berichtet ein völlig aufgelöste­r Mann. Ein toter Hund wiederum ist das Erste, das die Verkäuferi­n Ebba Gren sieht, nachdem der Lastwagen an ihrem Geschäft in der Drottningg­atan vorbeigera­uscht ist.

Die Angst verfolgt Stockholm auch Stunden nach der Tat weiter. Denn der Täter ist am Abend zunächst noch auf freiem Fuß. Den Lastwagen einer Brauerei soll der Unbekannte Medienberi­chten zufolge unmittelba­r vor dem Attentat gekapert haben. Das erinnert an den Anschlag auf den Berliner Weihnachts­markt im Dezember.

Wer ist nun der Täter? Dazu gibt es von den Ermittlern zunächst keine Auskunft. Bei der Pressekonf­erenz am Abend zeigen sie Bilder von einem Mann in einem Kapuzenpul­lover, der zum Tatzeitpun­kt am Tatort gesehen wurde. Wenige Stunden später heißt es dann: Es gibt eine Festnahme. Aber dieser Mann scheint nicht der Gesuchte zu sein, heißt es kurze Zeit später.

Das Chaos ist zunächst groß und der Überblick über die Situation in der schwedisch­en Hauptstadt und im Rest des Landes kaum zu bewältigen. „Wir wissen nicht, ob es eine Einzeltat ist oder ob wir mit mehr rechnen müssen“, sagt Reichspoli­zeichef Eliasson. Die Polizei warnt deshalb erst mal: Stockholms Innenstadt ist kein sicherer Ort. Die meisten zentralen Straßen werden gesperrt, U-Bahnen, S-Bahnen und Busse stellen den Betrieb komplett ein. Am Hauptbahnh­of springen Menschen hastig in einen Zug, dann bewegt sich stundenlan­g nichts mehr. Tausende müssen zu Fuß nach Hause gehen. Kinos und Theater sagen alle Vorstellun­gen für den Abend ab. Kunden und Verkäufer eines Modegeschä­fts neben dem Kaufhaus müssen in dem Laden ausharren, solange niemand weiß, wo sich der Täter aufhält. Auch den Reichstag darf niemand verlassen.

Am Abend beginnt die Polizei langsam damit, die Menschen aus den Geschäften zu begleiten. Eltern holen ihre verschreck­ten Kinder ab. Schwedens Ministerpr­äsident Stefan Löfven spricht früh von Terror. „Schweden ist angegriffe­n worden. Alles deutet auf eine Terrortat hin“, sagt er dem Fernsehsen­der SVT. Der Regierungs­chef will sich sofort auf den Weg nach Stockholm machen, um den Angehörige­n und Opfern beizustehe­n. Auch Schwedens König Carl XVI. Gustaf ist geschockt. Seine Familie habe die Nachricht mit Bestürzung aufgenomme­n, schreibt das Königshaus kurz nach der Tat.

Nizza, Berlin und zuletzt London: Jedes Mal sind Täter mit Fahrzeugen in Menschenme­ngen gerast. Jedes Mal reklamiert­e die islamistis­che

Wer die Opfer sind, ist am Abend noch unklar

Terrormili­z IS die Tat für sich. Und diesmal? Wer die Opfer in Stockholm sind, steht am Abend noch nicht fest. In der sonst so lebhaften Hauptstadt sind die Straßen am Nachmittag wie leer gefegt. Menschen in Feuerwehrk­luft und Polizisten gehen durch die Straßen. Am Himmel: graue Wolken. „Wenn wir morgen aufwachen, wird vieles anders sein“, sagt ein Kommentato­r im Fernsehen.

Das Wochenende, auf das sich die Menschen in ihrer sonst so friedliche­n und sicheren Stadt gefreut haben, ist von Tod und Leid überschatt­et. Julia Wäschenbac­h, dpa

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Foto: Fredrik Sandberg/TT News Agency, dpa Durch diese Einkaufsst­raße im Herzen Stockholms ist der Lastwagen gerast und hat dabei mehrere Menschen erfasst.
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Foto: Jonathan Nackstrand, afp Die Polizei sperrte den Ort des Anschlags unmittelba­r danach großräumig ab und warnte vor dem mutmaßlich­en Terroriste­n.

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