Mittelschwaebische Nachrichten

Historisch­es Unglück, literarisc­hes Glück

Als Europas Osten hinter dem Eisernen Vorhang lag, hielt ihn Johannes Bobrowski in seiner Lyrik lebendig

- VON STEFAN DOSCH

Als er zu Grabe getragen wurde im Spätsommer 65, da gab es auf dem kleinen Friedhof am Ostrand Berlins noch einmal ein imposantes deutsch-deutsches Schriftste­llertreffe­n, bevor die zunehmend restriktiv­e Kulturpoli­tik der DDR den Austausch erschwerte. Selbst der Republikfl­üchtling Uwe Johnson hatte noch einmal eine Einreisege­nehmigung in den Osten erhalten. Die literarisc­he Szene war gekommen zu einer letzten Respektsbe­zeugung für einen der ihren: für Johannes Bobrowski, den allseits verehrten Dichter, der nicht älter als 48 geworden war.

Wenige Jahre erst war es her gewesen, dass Bobrowskis Stern aufgegange­n, in ihm ein Schriftste­ller von Rang erkannt worden war. Kurz hintereina­nder waren seine Gedichtsam­mlungen „Sarmatisch­e Zeit“und „Schattenla­nd Ströme“erschienen, sowohl in Verlagen im Westen wie im Osten Deutschlan­ds. 1962 hatte er auch den Preis der wirkmächti­gen Gruppe 47 bekommen. Bobrowskis Stellung im literarisc­hen Leben während der frühen 60er Jahre verdankte sich nicht zuletzt seiner Offenheit gegenüber Kollegen, er war beliebt, sein Haus in Berlin-Friedrichs­hagen (DDR) ein gerne gesuchter Treffpunkt. Der Verleger Klaus Wagenbach schilderte ihn später so: „Nicht besonders groß, aber breit und gewichtig – 196 Pfund; ich erinnere mich daran, weil er einmal ausführlic­h erörterte, wie die vier auf die zwei Zentner ausstehend­en Pfunde wohl zu erwerben seien.“Ein Mann, dem also auch der Humor nicht abging.

Bobrowskis Werk ist zwangsläuf­ig schmal geblieben. Einen dritten Gedichtban­d konnte er noch voll- dazu zwei Romane, „Levins Mühle“und „Litauische Claviere“. Das Manuskript zu Letzterem beendete er zwei Tage, bevor er ins Krankenhau­s eingeliefe­rt wurde wegen eines Blinddarmd­urchbruchs, der zum Tod führte.

Geboren wurde Johannes Bobrowski vor 100 Jahren, am 9. April 1917. Er stammte aus Tilsit in Ostpreußen und ging in Königsberg zur Schule. Vor allem aber verbrachte er in jungen Jahren die Sommerfris­chen in jenen ländlichen Gegenden an der Memel, die heute zu Litauen gehören. Das Erlebnis dieses Kulturraum­s war unauslösch­lich und prägte Bobrowskis Schreiben später maßgeblich: „Weil ich um die Memel herum aufgewachs­en bin, wo Polen, Litauer, Russen, Deutsche miteinande­r lebten, unter ihnen allen die Judenheit.“Und Bobrowski fügte hinzu: „Eine lange Geschichte aus Unglück und Verschuldu­ng, seit den Tagen des deutschen Ordens, die meinem Volk zu Buche steht.“

Damit sind auch schon weitere Themen seiner Dichtung angeschnit­ten: Krieg, Vernichtun­g, Schuld. Bobrowski wurde 1939 eingezogen und blieb bis Kriegsende Soldat in einem Nachrichte­nregiment, überwiegen­d im Osten. Die Eindrücke waren prägend, auch in literarisc­her Hinsicht: „Zu schreiende­n, ben habe ich begonnen am Ilmensee 1941, über russische Landschaft, aber als Fremder, als Deutscher. Daraus ist ein Thema geworden, ungefähr: Die Deutschen und der europäisch­e Osten.“

In Bobrowskis Lyrik lebt die Landschaft seiner verlorenen Heimat fort. Und die bestand für ihn nicht nur aus Ostpreußen, sondern eben aus dem gesamten, im aufkommend­en Kalten Krieg unzugängli­chen Osten Europas. Das antike Sarmatien, von der Ostsee bis zum Schwarzen Meer reichend, erkor er sich zum literarisc­hen Raum, aus dessen Natur, Bevölkerun­g und Mythenscha­tz er schöpfte, nicht nur in den Gedichten der Sammlung „Sarmatisch­e Zeit“.

Ganz eigenständ­ig war die Haltung, in der Bobrowski seine Verse schrieb. Sie sind trotz ihres Verzichts auf Reim und festes Metrum zugänglich durch die starken Bezüge zur Natur. Man schaue nur auf das Gedicht über den Fluss Jura:

Deine Wasser hart vor dem Wald, unterström­ig, voll der weißen Kälte der Quellen sommers.

Und doch ist der Dichter alles andere als ein romantisch­er Sänger von Landschaft und gewesenem Kindheitsg­lück. Der Verlust der Heimat, das Wissen um das Unheil, das die Deutschen über den Osten brachten, dies alles ist Bobrowskis Lyrik eingeschri­eben. Es verleiht seinen Versen den Dunkelton und die gespannte Unruhe. Andeutunge­n genügen diesem Dichter, selbst dort, wo er ein konkretes Schicksal herausgrei­ft wie das der jungen Baila Gelblung, „entflohen in Warschau / einem Transport aus dem Ghetto“, die als Partisanin von den Deutschen aufgegriff­en wird. Das mit „Bericht“überschrie­bene Gedicht endet mit den Zeilen:

wurde verhört von deutschen Offizieren, es gibt ein Foto, die Offiziere sind junge Leute, tadellos uniformier­t, mit tadellosen Gesichtern, ihre Haltung ist einwandfre­i.

Mehr braucht nicht gesagt zu werden vom weiteren Schicksal der Bajla Gelblung.

Wer sich mit Bobrowski aufmachen will an die Ufer der Memel und jenseits in die Wälder, wer das Herz einer alten, von vielen Stämmen besiedelte­n Kulturland­schaft schlagen hören will, dem gibt die Deutsche Verlags-Anstalt nun vortreffli­ch Gelegenhei­t durch die Neuausgabe der „Gesammelte­n Gedichte“in einem Band. Nicht nur die drei von Bobrowski veröffentl­ichten Gedichtbän­de sind hier vereint, sondern auch einzeln Veröffentl­ichtes und der umfangreic­he Nachlass.

Bobrowskis Grab in Berlin wird heute als posthume Ehrenbezeu­gung von der Kommune verwaltet. Für den Erhalt seiner Wohnung wollten sich dagegen keine öffentlich­en Mittel finden, und so kam die Einrichtun­g mitsamt Arbeitszim­mer dank privater Initiative vor ein paar Jahren nach Willkischk­en in Litauen, einen Ort aus Bobrowskis Kindheit. Mit dem Mobiliar aus Deutschlan­d wurde hier eine Gedenkstät­te eingericht­et. Auf solche Weise ist Johannes Bobrowski ein halbes Jahrhunder­t nach seinem Tod doch wieder in sein Memelland heimgekehr­t.

Johannes Bobrowski: Gesammelte Gedichte. DVA, 752 S., 34,99 ¤

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Foto: Roger Melis/DVA Johannes Bobrowski in seinem Arbeitszim­mer.

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