Mittelschwaebische Nachrichten
„Gott ist musikalisch“
Katzeklo und so? Die „singende Herrentorte“kann viel mehr als Quatsch. Helge Schneider über Rebellion und Religion, Jazz und Politik
Ihre jetzt im April beginnende Tour heißt „240 Years of ‚Singende Herrentorte‘“. Demnach hat Ihr Vorfahr Helge Schneider I. mit Beethoven die Schulbank gedrückt. Wie kamen Sie Ihrem Urahn auf die Spur? Helge Schneider: Im Fußboden des Speichers waren Aufzeichnungen. Und zwar war da ein Mikrochip. Einer der ersten Mikrochips, noch aus Holz. Da hatte ich diese Information bezogen. Ich habe zu Hause Geräte, die auch Genanalysen machen. Durch die DNA, die an dem Holzstück war, konnte ich bestimmen, dass es ein Verwandter von mir war. Auf dem Chip waren auch Noten, die Beethoven später in seine Werke eingebaut hat. Zum Beispiel B und S.
Die Lieder, die Sie singen, sind meist sehr humorvoll. Hat Ihre Musik auch eine abgründige, dunkle Seite, die legendäre Traurigkeit des Clowns? Schneider: Bei mir ist das nicht. Wenn ich auftreten kann, bin ich einfach froh über mein Leben und meine Arbeit. Es gibt natürlich auch Sachen in der Welt, da kann man wirklich nicht froh drüber sein. Manche Menschen versuchen etwa, im Krieg zu überleben. Aber man kann auch trotz Kriegen in der Welt positive Energie entwickeln. Wenn es einem so gut geht wie mir, dann muss man sich einfach über das Leben freuen, dann kann man nicht depressiv sein. Das wäre anmaßend. Das heißt aber nicht, dass ich zu einer Gesellschaft gehöre, die sich in Feierlaune versetzt, weil Krieg ist.
Wollen Sie mit Ihrer Musik auch Zustände in unserer Gesellschaft zum Ausdruck bringen? Schneider: Das sind immer so Fragmente von Dingen, die mich vielleicht gerade bewegen. Andererseits lasse ich da immer schnell wieder die Finger von. Würde ich mir jetzt einen Politiker herauspicken, zum Beispiel den türkischen Präsidenten. Eigentlich ist er nicht der Rede wert, dass ich über ihn nachdenke. Kein Konterfei von so jemandem dürfte in unsere Welt. Es muss nicht sein, dass man immer wieder dieses Dilemma vor Augen geführt kriegt. Das macht es ja erst so groß. Ich bin der hundertprozentigen Überzeugung, dass Kunst viel mehr Kraft hat und viel politischer ist als Parteipolitik. Beethoven ist tausendmal politischer als Trump.
Inwiefern? Schneider: Indem er den Menschen mit seiner Musik ein Dach gibt. Genau wie die Musik Beethoven selbst ein Dach gegeben hat. Es ist nicht so, dass ich Musik erfinde, sondern sie ist einfach da. Ich habe die Chance, mit dem immer wieder Eingebläuten zu arbeiten. Was Beethoven geschaffen hat, ist nichts Menschliches mehr. Die Musik hat sich diesen Typen ausgewählt. Deshalb ist sie auch viel politischer als die von Menschen gemachte Politik…
Hätte aus Ihnen theoretisch auch ein klassischer Pianist werden können? Schneider: Das Talent dazu hätte ich schon, nur nicht den Ehrgeiz. Ich schaffe es nicht, sechs Stunden am Tag zu üben. Ich will zwischendurch auch mal was essen.
Wann wurden Sie mit dem Musikvirus infiziert? Schneider: Mit 14. Als ich meinen ersten Kontrabass gekauft hatte für 250 Mark. Damals spielte ich bereits in einer Rockband. Erst Cello und Klavier und dann entdeckte ich den Bass für mich.
Auf Ihrem aktuellen Album „Heart Attack No. 1“zeigen Sie keine Ehrfurcht vor den Klassikern. Ist Jazz für Sie ein veraltetes Genre, das es zu entstauben gilt – mit Humor? Schneider: Die Platte ist insofern sehr eigen, weil Pete York und ich in einem kleinen Raum musiziert haben. Und zwar so klein, dass Pete mit einem Besen und gar nicht mit Stöcken spielen musste, sonst wäre es viel zu laut gewesen. Ich hatte sonst nur ein Stereo-Tonband. Eine Hammondorgel bietet nicht viele Varianten. Da musste ich von vornherein merkwürdige Sounds entwickeln. Diese Platte ist ein Dokument für mich und auch schon wieder vorbei.
Keine Lust, diese Stücke live weiterzuentwickeln? Schneider: Auf keinen Fall. Es hat keinen Sinn, in Deutschland aufzutreten und plötzlich ein ernsthaftes englisches Jazz-Lied zu singen. Ich weiß, dass ich eine gute Stimme habe. Ich könnte genauso gut „The Lady Is A Tramp“oder „Come Fly With Me“singen aus dem Repertoire von Sinatra, den ich auch schon mal live gesehen habe. Aber ich bin kein Amerikaner. Es wäre albern, englische
Schlager zu singen, weil ich das nicht fühle. Was Leute wie Beyoncé singen, ist vom Thema her nichts anderes als trivialer Schlager. Genau wie Andrea Berg oder Helene Fischer. Nur weil es ein bisschen soulig dargeboten wird, gilt es als etwas ganz Großes. Das ist Quatsch. Ich bin lieber der bescheuerte Musiker, der offensichtlich auf sich was gibt und damit die Leute zum Lachen bringt.
Sie sagen, Sie seien immer vom Rebellentum der Jazzer fasziniert gewesen. Gegen was rebellieren Sie selbst? Schneider: Ich rebelliere gegen das Establishment. Ich sehe mich nach wie vor als Außenseiter. Das ist aber gut. Denn von außen kann man besser nach innen gucken. Als Insider ist man blind. Was das Rebellentum im Jazz angeht, ist das jetzt natürlich so gut wie gestorben. In den 50er und 60er Jahren war die Welt aber noch ganz anders, da musste man ja rebellieren.
Haben Sie gegen Ihre Eltern rebelliert?
Schneider: Ich weiß nicht, wogegen. Ich habe einfach irgendwas gemacht, was andere vielleicht als Rebellion ausgelegt haben. Aber es ist nicht die bewusste Rebellion, es ist die Annexion der Freiheit, die ich mir nehme. Ich zeige den Leuten, dass es auch so geht. Und dass das wahre Leben auch Improvisation ist. Was ich nicht haben kann, ist die Frage: „Was machen wir morgen und übermorgen?“Planungen sind nicht das Leben. Sie können von einer Sekunde zur anderen mit einem Unfall oder Cyberangriff hinfällig werden.
Ist alles, was Sie sich vom Leben erhofften, Wirklichkeit geworden? Schneider: Merkwürdigerweise habe ich mir im Leben nichts erhofft. Und deshalb ist auch gar nichts in Erfüllung gegangen. Aber ich habe ein tolles Leben. Ich glaube, ich bin gar nicht in mir drin, sondern ich sehe mein Leben von außen und denke: Mensch, das ist ja ein tolles, buntes Leben! Mit Ecken und Kanten, schlimmen und schönen Sachen.
Sind Sie eigentlich gläubig?
Schneider: Ich bin früher in die Kirche gegangen und wollte auch mal heilig sein. Ich wollte im Posaunenchor mitspielen und habe auch mal mein Cello mitgenommen. Das ging aber nicht, und dann war mir die Kirche plötzlich suspekt. Ab da war ich Atheist im Sinne von Kirchengänger. Das heißt aber nicht, dass ich nicht an Gott glaube.
Wie stellen Sie sich Gott vor?
Schneider: Er muss ganz alt sein. Vielleicht rasiert er sich, um nicht so alt zu wirken. Und er guckt nur. Er spricht durch die Musik von Beethoven. Diesen Gott gibt es wirklich, genau wie es uns angeblich auch gibt. Interview: Olaf Neumann