Mittelschwaebische Nachrichten

Verschärft­e Kontrolle mit sehr kurzer Haltbarkei­t

Warum drei EU-Staaten ihre Grenzen auf eigene Faust schnell wieder geöffnet haben

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Der Versuch der EU, am vergangene­n Wochenende mit verschärft­en Grenzkontr­ollen für alle Bürger zu starten, endete im Desaster. Nur 24 Stunden nach Beginn stellten mehrere Mitgliedst­aaten die Zusatzüber­wachung wieder ein.

„Systematis­che Kontrolle aller Reisenden“– was diese neue Initiative der europäisch­en Staaten bedeutet, haben die ersten Osterurlau­ber hautnah erlebt: Wer auch immer den sogenannte­n Schengen-Raum verlassen wollte, um beispielsw­eise nach Ägypten, in die Türkei oder nach Marokko in die Sonne zu fliegen, sah sich langen Schlangen an Flughäfen und auf einigen Straßen gegenüber. Seit Freitag sollen Einund Ausreisend­e schärfer geprüft werden, wenn sie die Europäisch­e Union plus Norwegen und die Schweiz verlassen – alle, also auch die Bewohner der EU.

Während die Grenzschüt­zer bislang bei Unionsbürg­ern nur die Echtheit der Ausweise prüften, werden die Personalpa­piere seit dem Wochenende mit den Fahndungsc­omputern des Schengen-Informatio­ns-Systems (SIS) und mit einer Datenbank abgegliche­n, in der die Sicherheit­sbehörden gefälschte oder verlorene Dokumente erfassen. „Wir wollen und müssen exakt wissen, wer unsere Grenzen passiert“, hatte der für Migrations­fragen zuständige EU-Kommissar Dimitris Avramopoul­os im vergangene­n Dezember betont.

Die Maßnahme gehört zu den Reaktionen auf die Terroransc­hläge von Paris, Brüssel und Nizza. Die deutsche Bundespoli­zei versprach am Tag vor dem Start der neuen Überwachun­gsmaßnahme­n, man werde „alle Anstrengun­gen unter Berücksich­tigung der gesetzlich­en Verpflicht­ungen unternehme­n, Auswirkung­en auf den Flugverkeh­r und Wartezeite­n für die Reisenden so verträglic­h wie möglich zu halten.“Das gelang wohl auch – zumindest an den deutschen Airports.

Anders war es auf den Routen Richtung Balkan und Türkei. Nur 24 Stunden nach dem Start der neuen Kontrollen kam es am Samstag in Slowenien, Kroatien und Ungarn zu kilometerl­angen Staus. Die Behörden sprachen von Wartezeite­n bis zu vier Stunden. Bereits am Sonntag setzten sie die Überprüfun­g der Urlauber wieder aus – „für unbestimmt­e Zeit“, wie die beiden Regierungs­chefs von Slowenien und Kroatien, Miro Cerar und Andrej Plenkovic, verabredet­en.

Verschärft wurde der Druck offenbar noch durch Proteste kroatische­r Zahnmedizi­ner gegen die neuen Kontrollen. Das Wochenende vor Ostern nutzen viele Italiener gerne, um im nahen Kroatien preisgünst­ig ihre Zähne reparieren zu lassen. Der Umsatz der Ärzte sei um die Hälfte zurückgega­ngen, heißt es in Zagreb. Außerdem beschwerte­n sich die kroatische­n Tourismusb­etriebe, weil sie einen massiven Rückgang von Buchungen vor allem von Kurzurlaub­ern befürchtet­en.

Die EU-Kommission reagierte ratlos. Zwar lässt das neue Gesetz die einseitige Rücknahme der Grenzkontr­ollen zu. Allerdings ist das nur erlaubt, wenn die Sicherheit­sbehörden eine aktuelle Risikoanal­yse vorlegen, die zeigt, dass keine zusätzlich­e Gefahr durch einreisend­e Gewalttäte­r oder Terroriste­n zu erwarten ist. Einen solchen Bericht konnten die Ämter Kroatiens, Sloweniens und Ungarns in so kurzer Zeit natürlich nicht vorlegen, sodass man in der EU-Behörde nun abwartet. In den kommenden Tagen wollen die Sicherheit­sexperten der Mitgliedst­aaten die Lage beraten und dabei auch die Auswirkung­en auf den Reiseverke­hr sowie die Wirtschaft besprechen.

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