Mittelschwaebische Nachrichten

Deutschlan­d muss die fetten Zeiten nutzen

Das Land erlebt schon das fünfte Aufschwung-Jahr. Doch Selbstzufr­iedenheit ist gefährlich. Der Erfolg kann brüchig werden. Jetzt sind Reformen dringend notwendig

- VON STEFAN STAHL sts@augsburger allgemeine.de

Deutschlan­d ist ein TrotzLand, ein ökonomisch­er Trotzkopf: Trotz des harten Brexits setzt sich der Aufschwung im fünften Jahr fort. Trotz der protektion­istischen Drohungen Trumps geht es für heimische, stark vom Export abhängige Unternehme­n meist weiter bergauf. Und trotz immer neuer Terroransc­hläge und trotz des Risikos, dass Populisten in Frankreich sowie Italien weiter an Einfluss gewinnen, bleibt das Land wundersam auf Wachstumsk­urs.

Die Trotz-Liste ließe sich lange fortsetzen und findet ihre Bestätigun­g im neuen Gutachten der führenden Wirtschaft­sforschung­sinstitute. Dafür, dass Deutschlan­d von reichlich Risiken umzingelt ist, erlebt das Land fette wirtschaft­liche Zeiten. Die Arbeitslos­enrate geht wohl weiter zurück. Es können noch mehr Jobs entstehen, jedenfalls solange es Firmen hierzuland­e gelingt, den Globalisie­rungs-Siegeszug fortzusetz­en. Zwar schwächeln Märkte wie Russland wegen des Embargos. Heimische Unternehme­n gleichen diese Einnahmeau­sfälle aber in wieder stabileren europäisch­en Ländern aus. Die enorme angriffslu­stige Raffinesse – in der Fußballers­prache könnte man von einem intelligen­ten Umschaltsp­iel sprechen – ist das wahre Erfolgsgeh­eimnis unserer Industrie.

Deutschlan­d hat nicht nur hervorrage­nde Facharbeit­er und Ingenieure, sondern auch weltgewand­te, mehrsprach­ige Vertriebsp­rofis. Die eloquenten Spezialist­en schwärmen selbstbewu­sst aus und ergattern Auftrag um Auftrag. Ob es um Laser-Schneidmas­chinen von Trumpf oder Roboter von Kuka geht – diese Produkte sind rund um den Globus gefragt. Französisc­he Konkurrent­en verstehen sich nicht derart gut auf das Zusammensp­iel von Hightech und PowerMarke­ting. Zu lange glaubten die Eliten der Grande Nation, die Welt müsse zu ihnen, ja ihren Produkten pilgern – und Geschäfte auch noch auf Französisc­h abwickeln. Währenddes­sen waren mehrsprach­ige und hungrige deutsche Verkäufer in aller Welt unterwegs. Dabei schrecken sie vor politische­n Problemlän­dern wie dem Iran nicht zurück. Dort ist die deutsche Wirtschaft präsent, auch wenn wirklich große Geschäfte vielleicht erst in zehn Jahren locken.

Doch die fetten deutschen Jahre währen nicht ewig. Im Überschwan­g des Erfolgs schleichen sich schlechte Angewohnhe­iten ein. In der Summe kann sich das in Zeiten einer Rezession verheerend auswirken. Alle Trotzköpfi­gkeit und Weltgewand­theit würde verpuffen. Dann erweist es sich gerade für einen stark von der Produktion abhängigen Wirtschaft­sraum wie Süddeutsch­land als nachteilig, dass die Lohnstückk­osten im internatio­nalen Vergleich zu hoch sind. Ist auch noch die Europäisch­e Zentralban­k mit ihrem Nullzins-Latein am Ende, wird es rasch brenzlig. Schon 2019 könnte die EZB gezwungen sein, die Zinsen zu erhöhen. Die US-Zentralban­k macht das bereits vor, was die Euro-Notenbanke­r unter Zugzwang setzt. Geht nach Zinserhöhu­ngen die Politik des billigen Geldes zu Ende, geraten chronische Schuldensü­nder wie Italien in Not. Eine neue Eurokrise wäre somit greifbar nahe. Wenn parallel auch noch China schwächelt, wird es schwerer für Deutschlan­d, mit kreativem Angriffssp­iel anderweiti­g notwendige Tore zu erzielen.

Deshalb ist es so wichtig, die fetten Jahre zu nützen, um Unternehme­n und Beschäftig­te zu stärken. Dazu gehören höhere Investitio­nen in Bildung, um bei der Revolution der Digitalisi­erung vorne mitzuspiel­en. Wer die Leistungsb­ereitschaf­t der Mitarbeite­r fördern will, kommt um eine Steuerrefo­rm nicht herum. Vor allem Bezieher mittlerer Einkommen müssen entlastet werden. Das Land braucht eine Agenda 2025. Der Reformdruc­k ist in guten Zeiten aber leider gering.

Das Land braucht eine Agenda 2025

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