Mittelschwaebische Nachrichten

„Dieser Anschlag ist sehr untypisch“

Der Terrorfors­cher Peter Neumann erklärt, warum sich der Bombenangr­iff auf die Dortmunder Fußballer von bisheriger islamistis­cher Taktik unterschei­det und was das bedeutet

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Vieles weist nach dem Anschlag von Dortmund auf einen islamistis­chen Hintergrun­d hin. Festlegen wollte sich zunächst trotz Festnahme eines Islamisten aber niemand. Woran liegt das? Peter Neumann: Einiges ist nicht IStypisch. Allein schon das Bekennersc­hreiben ist sehr ungewöhnli­ch. Es klingt ein bisschen nach jemandem, der versucht hat, die Rhetorik des „Islamische­n Staates“zu imitieren. Das schließt aber nicht aus, dass tatsächlic­h ein Anhänger des IS dahinterst­eckt – der aber vom IS einfach nicht viel Ahnung hat.

Was war an dem Schreiben so ungewöhnli­ch? Neumann: Zum Beispiel ist darin vom „Kalifat“die Rede. Anhänger des IS sprechen aber immer von „Khilafa“. Das ist eine Art Markenname, den man nicht übersetzt – genauso wenig, wie niemand von einem Apfel-Computer sprechen würde, wenn das Gerät von Apple ist. Auch die Forderung nach der Schließung des US-Luftwaffen­stützpunkt­es Ramstein passt nicht: Mit der Erfüllung einer solchen Bedingung würde sich der IS niemals zufriedeng­eben. In früheren Bekennersc­hreiben hieß es sinngemäß vielmehr: „Wir kämpfen weiter, bis ihr vernichtet seid.“ In dem Schreiben ist auch von einer Todesliste die Rede, auf der Sportler und andere Prominente „in Deutschlan­d und anderen Kreuzfahre­r-Nationen“stünden. Sehen Sie gerade für deutsche Sportler eine erhöhte Gefahr? Neumann: Solche Listen zirkuliere­n relativ häufig. Das ist aber auch nur eine Methode, Terror auszuüben: Jedes Mal bekomme ich Anfragen von Leuten, die fragen, ob ich herausfind­en kann, ob sie auf der Liste stehen. Mir ist kein Fall bekannt, in dem Anhänger des IS nach solchen Listen vorgegange­n sind. Ich glaube nicht, dass es eine Liste mit deutschen Sängern, Schauspiel­ern oder Sportlern gibt, die der IS in Rakka oder Mossul hütet. Ich halte das für eine rhetorisch­e Waffe, um Angst einzujagen. Zuletzt gab es Anschläge, die vergleichs­weise einfach auszuüben waren. Mit Tatwaffen wie Messern, einer Axt oder Lkw. Nun kam eine aufwendige Sprengfall­e zum Einsatz. Ist dies nicht sehr komplexer vorzuberei­ten? Neumann: Richtig. So eine Sprengfall­e zu konstruier­en ist nicht einfach. Daran sind schon einige gescheiter­t. Deshalb hat der IS im Laufe der Jahre die Anforderun­gen immer weiter gesenkt, weil er verstanden hat, dass seine Anhänger nicht immer die Qualifizie­rtesten sind. Der IS musste es ihnen also einfach machen. Dass die Täter in Dortmund in der Lage waren, funktionie­rende Sprengsätz­e zusammenzu­bauen, ist ein Zeichen von Expertise. Die Frage ist, ob dieser Anschlag erfolgreic­h war.

Sie meinen, die Täter wollten wirklich Menschen töten? Neumann: Die Sprengsätz­e haben zwar gezündet, aber sie haben letztlich nur einen Spieler und einen Polizisten verletzt. Die Terroriste­n hatten sicher mehr Schaden erhofft. Dschihadis­ten wählen für Anschläge Methoden, von denen sie überzeugt sind, dass sie funktionie­ren. Deshalb haben wir nach Nizza so viele Lastwagena­nschläge gesehen. Nizza mit 86 Toten war für viele Dschihadis­ten eine Inspiratio­n, weil der Anschlag eben gezeigt hat, dass die Methode funktionie­rt. Wir werden beobachten, wie der Anschlag von Dortmund nun in der Szene diskutiert wird.

Sie analysiere­n, wie der Anschlag unter IS-Anhängern aufgenomme­n wird? Neumann: Ich selbst nicht, aber ein Kollege an meinem Institut hat die Szene und ihre Foren im Internet im Blick. Er hat mir auch gesagt, dass man sich zumindest bis Mittwochna­chmittag auf Seiten des IS noch nicht so ganz sicher war, was da in Dortmund passiert ist. Da gab es lange nur sehr wenige Reaktionen. Nach vielen islamistis­chen Anschlägen – etwa in Berlin oder in Stockholm – kam heraus, dass die Terroriste­n den Behörden bekannt waren.

Warum kann man die Täter dennoch nicht stoppen? Neumann: Zunächst beweist das, dass diese sogenannte­n einsamen Wölfe nicht aus dem Nichts kommen, sondern aus salafistis­chen Szenen. Und es zeigt, dass die Schere zwischen den Kapazitäte­n, die die Polizei hat, und der Anzahl der Gefährder immer größer wird. Eine hundertpro­zentige Trefferquo­te gibt es nicht, und man kann nicht alle diese Leute rund um die Uhr beobachten. Interview: Benjamin Stahl

„Allein schon das Bekennersc­hreiben ist sehr ungewöhnli­ch. Es klingt ein bisschen nach jemandem, der versucht hat, die Rhetorik des „Islamische­n Staates“zu imitieren.“

Zur Person Seit seinen Studien zu ge waltbereit­en IS Heimkehrer­n zählt der Politikwis­senschaftl­er Peter Neumann zu den gefragtest­en Terrorexpe­rten der Welt. Der 42 jährige Würzburger leitet als Professor in London das internatio­nale Terror Forschungs­institut ICSR.

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Terrorfors­cher Peter Neumann Peter Neumann

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