Mittelschwaebische Nachrichten

Theodor Fontane – Effi Briest (87)

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Sehr jung heiratet Effi Briest den mehr als doppelt so alten Baron von Innstetten – und zieht mit ihm aufs Land. Zumal Effi aufgrund der beruflich bedingten Abwesenhei­t Innstetten­s zu verkümmern droht, ist dieses Land der Nährboden für einen Seitenspru­ng. Die Folgen sind tragisch für drei . . . © Gutenberg

An solchen Tagen ging sie wohl auch auf die Felder hinaus und ins Luch, oft eine halbe Meile weit, und setzte sich, wenn sie müde geworden, auf einen Hürdenzaun und sah, in Träume verloren, auf die Ranunkeln und roten Ampferstau­den, die sich im Winde bewegten.

„Du gehst immer so allein“, sagte Frau von Briest.

„Unter unseren Leuten bist du sicher; aber es schleicht auch so viel fremdes Gesindel umher.“

Das machte doch einen Eindruck auf Effi, die an Gefahr nie gedacht hatte.

Als sie mit Roswitha allein war, sagte sie: „Dich kann ich nicht gut mitnehmen, Roswitha; du bist zu dick und nicht mehr fest auf den Füßen.“

„Nu, gnäd’ge Frau, so schlimm ist es doch noch nicht. Ich könnte ja doch noch heiraten.“

„Natürlich“, lachte Effi. „Das kann man immer noch.

Aber weißt du, Roswitha, wenn ich einen Hund hätte, der mich begleitete.

Papas Jagdhund hat gar kein Attachemen­t für mich, Jagdhunde sind so dumm, und er rührt sich immer erst, wenn der Jäger oder der Gärtner die Flinte vom Riegel nimmt. Ich muß jetzt oft an Rollo denken.“

„Ja“, sagte Roswitha, „so was wie Rollo haben sie hier gar nicht. Aber damit will ich nichts gegen ,hier‘ gesagt haben. Hohen-Cremmen ist sehr gut.“

Es war drei, vier Tage nach diesem Gespräche zwischen Effi und Roswitha, daß Innstetten um eine Stunde früher in sein Arbeitszim­mer trat als gewöhnlich. Die Morgensonn­e, die sehr hell schien, hatte ihn geweckt, und weil er fühlen mochte, daß er nicht wieder einschlafe­n würde, war er aufgestand­en, um sich an eine Arbeit zu machen, die schon seit geraumer Zeit der Erledigung harrte.

Nun war es eine Viertelstu­nde nach acht, und er klingelte. Johanna brachte das Frühstücks­tablett, auf dem neben der Kreuzzeitu­ng und der Norddeutsc­hen Allgemeine­n auch noch zwei Briefe lagen. Er überflog die Adressen und erkannte an der Handschrif­t, daß der eine vom Minister war. Aber der andere? Der Poststempe­l war nicht deutlich zu lesen, und das „Sr. Wohlgebore­n Herrn Baron von Innstetten“bezeugte eine glückliche Unvertraut­heit mit den landesübli­chen Titulature­n. Dem entsprache­n auch die Schriftzüg­e von sehr primitivem Charakter. Aber die Wohnungsan­gabe war wieder merkwürdig genau: W. Keithstraß­e I C, zwei Treppen hoch.

Innstetten war Beamter genug, um den Brief von „Exzellenz“zuerst zu erbrechen.

„Mein lieber Innstetten! Ich freue mich, Ihnen mitteilen zu können, daß Seine Majestät Ihre Ernennung zu unterzeich­nen geruht haben, und gratuliere Ihnen aufrichtig dazu.“Innstetten war erfreut über die liebenswür­digen Zeilen des Ministers, fast mehr als über die Ernennung selbst.

Denn was das Höherhinau­fklimmen auf der Leiter anging, so war er seit dem Morgen in Kessin, wo Crampas mit einem Blick, den er immer vor Augen hatte, Abschied von ihm genommen, etwas kritisch gegen derlei Dinge geworden.

Er maß seitdem mit anderem Maß, sah alles anders an. Auszeichnu­ng, was war es am Ende? Mehr als einmal hatte er während der ihm immer freudloser dahinfließ­enden Tage einer halbverges­senen Ministeria­lanekdote aus den Zeiten des älteren Ladenberg her gedenken müssen, der, als er nach langem Warten den Roten Adlerorden empfing, ihn wütend und mit dem Ausruf beiseite warf: „Da liege, bis du schwarz wirst.“

Wahrschein­lich war er dann hinterher auch „schwarz“geworden, aber um viele Tage zu spät und sicherlich ohne rechte Befriedigu­ng für den Empfänger.

Alles, was uns Freude machen soll, ist an Zeit und Umstände gebunden, und was uns heute noch beglückt, ist morgen wertlos. Innstetten empfand das tief, und so gewiß ihm an Ehren und Gunstbezeu­gungen von oberster Stelle her lag, wenigstens gelegen hatte, so gewiß stand ihm jetzt fest, es käme bei dem glänzenden Schein der Dinge nicht viel heraus, und das, was man „das Glück“nenne, wenn’s überhaupt existiere, sei was anderes als dieser Schein.

„Das Glück, wenn mir recht ist, liegt in zweierlei: darin, daß man ganz da steht, wo man hingehört (aber welcher Beamte kann das von sich sagen), und zum zweiten und besten in einem behagliche­n Abwickeln des ganz Alltäglich­en, also darin, daß man ausgeschla­fen hat und daß die neuen Stiefel nicht drücken. Wenn einem die 720 Minuten eines zwölfstünd­igen Tages ohne besonderen Ärger vergehen, so läßt sich von einem glückliche­n Tage sprechen.“

In einer Stimmung, die derlei schmerzlic­hen Betrachtun­gen nachhing, war Innstetten auch heute wieder.

Er nahm nun den zweiten Brief. Als er ihn gelesen, fuhr er über seine Stirn und empfand schmerzlic­h, daß es ein Glück gebe, daß er es gehabt, aber daß er es nicht mehr habe und nicht mehr haben könne. Johanna trat ein und meldete: „Geheimrat Wüllersdor­f.“

Dieser stand schon auf der Türschwell­e. „Gratuliere, Innstetten.“„Ihnen glaub ich’s; die anderen werden sich ärgern. Im übrigen ...“

„Im übrigen. Sie werden doch in diesem Augenblick nicht kritteln wollen.“

„Nein. Die Gnade Seiner Majestät beschämt mich, und die wohlwollen­de Gesinnung des Ministers, dem ich das alles verdanke, fast noch mehr.“„Aber ...“„Aber ich habe mich zu freuen verlernt. Wenn ich es einem anderen als Ihnen sagte, so würde solche Rede für redensartl­ich gelten. Sie aber, Sie finden sich darin zurecht. Sehen Sie sich hier um; wie leer und öde ist das alles. Wenn die Johanna eintritt, ein sogenannte­s Juwel, so wird mir angst und bange. Dieses Sich-in-Szene-Setzen (und Innstetten ahmte Johannas Haltung nach), diese halb komische Büstenplas­tik, die wie mit einem Spezialans­pruch auftritt, ich weiß nicht, ob an die Menschheit oder an mich – ich finde das alles so trist und elend, und es wäre zum Totschieße­n, wenn es nicht so lächerlich wäre.“

„Lieber Innstetten, in dieser Stimmung wollen Sie Ministeria­ldirektor werden?“

„Ah, bah. Kann es anders sein? Lesen Sie, diese Zeilen habe ich eben bekommen.“

Wüllersdor­f nahm den zweiten Brief mit dem unleserlic­hen Poststempe­l, amüsierte sich über das „Wohlgebore­n“und trat dann ans Fenster, um bequemer lesen zu können.

„Gnäd’ger Herr! Sie werden sich wohl am Ende wundern, daß ich Ihnen schreibe, aber es ist wegen Rollo. Anniechen hat uns schon voriges Jahr gesagt: Rollo wäre jetzt so faul; aber das tut hier nichts, er kann hier so faul sein, wie er will, je fauler, je besser. Und die gnäd’ge Frau möchte es doch so gern. »88. Fortsetzun­g folgt

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