Mittelschwaebische Nachrichten
Hausärzte im Rentenalter
Aktuelle Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung belegen dramatische Lücken, die sich bei der Versorgung durch Allgemeinmediziner auf dem Land abzeichnen. Warum oft kein Nachfolger gefunden wird
Günzburg/Krumbach Mirjam Kiermasz hat eine Aufgabe, um die sie nicht jeder beneiden dürfte. Sie koordiniert für den nördlichen Bereich des Landkreises Günzburg die Bereitschaftsdienste. Die sollen künftig auf eine breitere Basis gestellt werden. An großräumigere „PoolLösungen“ist – aus der schieren Personalmisere heraus – gedacht. Im Augenblick hat die Günzburger Koordinatorin „52 aktive Dienstteilnehmer“. In drei Jahren werden es nur noch 34 Kollegen sein, die jünger als 62 Jahre sind und damit zu Diensten verpflichtet werden können.
Dass es an Jungen vor allem in ländlichen Regionen fehlt, belegen aktuelle Zahlen der Kassenärztlichen Vereinigung Bayerns (KVB). Den Freistaat hat sie in 204 Regionen eingeteilt und unter anderem festgehalten, wie alt die dort prakti- zierenden Allgemeinärzte sind. Zwei dieser sogenannten Planungsbereiche (Leipheim/Günzburg und Krumbach) machen den Landkreis Günzburg aus. Ob im Süden oder im Norden: In beiden Teilen liegt das durchschnittliche Alter der Hausärzte leicht oder sogar deutlich über dem bayernweiten Schnitt von 54,9 Jahren (siehe Infokasten).
Kiermasz kennt einige Kollegen, die sich seit längerem mit dem Ge- danken tragen, ihre Praxis für immer abzusperren. Ein Nachfolger ist nicht in Sicht. Öffentlich äußert die Schließungsabsicht lange vor dem Tag X aber in aller Regel niemand. Denn ab diesem Zeitpunkt, wissen die Praktiker, werden Patienten versuchen, zu einem anderen Arzt zu wechseln, weil sie sich auch in Zukunft medizinisch gut versorgt sehen wollen. Am ehesten kommen noch die jungen Patienten unter, die finanziell als attraktive Kundschaft gelten. Aufwand und Ertrag stehen in einem für den Mediziner noch lohnenden Verhältnis.
Dr. Steffen Gass wundert sich nicht über die Situation. Der Günzburger Dermatologe ist einer der beiden regionalen Vorstandsbeauftragten der KVB für Schwaben. Zwar konnte letztens in der Region eine Praxis an einen Nachfolger überführt werden. Doch das sei keine Selbstverständlichkeit mehr. In der jüngeren Vergangenheit sind „auch bei uns zwei bis drei Arztpraxen nicht wiederbesetzt worden. Das ist die Realität.“Bayernweite Zahlen untermauern dies. Im vergangenen Jahr haben von den 414 Hausärzten, die ihre Praxistätigkeit aufgegeben haben, 87 niemanden mehr gefunden, der weitermacht. Das teilt KVB-Sprecherin Birgit Grain auf Nachfrage mit. Etwa jede fünfte dieser Arztpraxen verschwand also für immer.
Die Kassenärztliche Vereinigung versucht dem entgegenzusteuern. An der Technischen Universität München hat sie 2009 den ersten Stiftungslehrstuhl für Allgemeinmedizin eingerichtet. Diese medizinische Disziplin führte bis dahin im wissenschaftlichen Lehrbetrieb ein Schattendasein. Medizinstudierende, die einen Praktikumsplatz bei einem Landarzt bekommen, werden seit dreieinhalb Jahren mit 300 Euro monatlich unterstützt – und mit einer Fahrtkostenerstattung. „Land in Sicht“heißt dieses Förderprogramm. Mancherorts bemühen sich Kommunen dann zusätzlich um den Medizinernachwuchs und bieten in der Zeit des Aufenthalts beispielsweise kostengünstigen Wohnraum an. Das könnte sich später als lohnende Investition erweisen.
Das alles aber reicht nicht an die Wurzel des Problems, die für Gass unter anderem in einem Vergütungssystem liegt, „das den Fleißigen bestraft“. Die Risikobereitschaft bei jungen Medizinern sei gesunken. Das macht der Günzburger Facharzt an der Zahl angestellter Ärzte fest, die sich in Bayern binnen weniger Jahre verzehnfacht habe – auf 4000. Außerdem mangele es an der Attraktivität des Arztberufes grundsätzlich, sagt Gass. „Von all denjenigen, die Humanmedizin studieren, sind später tatsächlich nur 60 Prozent in der Patientenversorgung tätig. Der große Rest geht etwa in die Industrie.“»Kommentar