Mittelschwaebische Nachrichten

Um 2 Uhr ist der Tanz vorbei

In Diskotheke­n und Clubs gilt eine 70-stündige Tanzpause. Was Clubbetrei­ber und Besucher dazu sagen

- VON GERTRUD ADLASSNIG

Seifertsho­fen/Ichenhause­n Wenn die Glocken nach Rom fliegen, herrscht Stille im Land. Die Christenhe­it hält inne. Statt Trubel und Hektik heißt es nun Ruhe und Trauer. So gehen die praktizier­enden Christen in die Karwoche. Mit dem Gründonner­stag beginnt auch die Phase des Tanzverbot­es.

Ab Karfreitag 2 Uhr herrscht 70 Stunden lang Ruhe in den Diskotheke­n und Clubs. Tanzverbot­e an sogenannte­n stillen Tagen gibt es in der christlich­en Kultur seit Langem. Seit spätestens dem 18. Jahrhunder­t sind sie gesetzlich fixiert. Die heute bekannten stillen Tage wurden 1919 (Weimarer Verfassung) gesetzlich festgelegt.

Doch es ist kein ehernes Gesetz. Welche Tage vom Tanzverbot belegt sind und wann ein Tanzverbot beginnt, legen in der Bundesrepu­blik die Länder fest. In Bayern wurde das „Gesetz über den Schutz der Sonn- und Feiertage (Feiertagsg­esetz FTG)“letztmals 2013 geändert. Anstatt die stillen Tage jeweils um null Uhr beginnen zu lassen, wurde das Verbot auf zwei Uhr verschoben, um dem veränderte­n Tanzund Feiergebar­en Rechnung zu tragen. Doch an Karfreitag und Karsamstag herrscht absolute Ruhe. Das Verbot beschränkt sich zudem nicht allein auf das Tanzen, sondern auch auf Vergnügung­en aller Art, die dem Charakter des Tages zuwiderlau­fen.

Es darf deshalb in Gaststätte­n auch keine Musik gespielt werden. Sogar Konzerte sind reglementi­ert. Ihr Repertoire muss zum Ernst des Tages passen, um zugelassen zu werden. Gastronome­n, die sich nicht an das Tanzverbot halten, können mit hohen Geldstrafe­n belangt werden. Doch es ist letztlich immer eine Frage des politische­n Willens und den von ihm initiierte­n Kontrollen, wie streng die Einhaltung des Gesetzes überwacht wird.

Die beiden Wirte Horst Keller (Tanzlokal Keller in Seifertsho­fen) und Ari Sant Tastan (W3 in Ichenhause­n) sind sich einig. Das Verbot ist so in Ordnung. Mit ein paar stillen Tagen im Jahr kann man leben. Da bleibt noch Zeit genug zum Feiern. Aber nicht in Ordnung ist eine Ungleichbe­handlung der Veranstalt­er. Denn feiern an den stillen Tagen scheint nicht unmöglich zu sein. Es gibt im angrenzend­en Baden-Württember­g, wo noch strengere gesetzlich­e Bestimmung­en gelten als in Bayern, ganz offenbar eine höhere Toleranz gegenüber den Feierfans. Zudem können die Verbote über diverse Tricks ausgehebel­t werden.

In Seifertsho­fen und Ichenhause­n bleiben die Clubs zu

Ari Tastan erzählt, dass in manchen Diskotheke­n Kopfhörer verteilt werden, also offiziell keine Musik spielt, andere Wirte deklariere­n ihre Tanzverans­taltung als geschlosse­ne Gesellscha­ft. Das kommt für die beiden Gastgeber im Landkreis nicht infrage. In Seifertsho­fen und im W3 in Ichenhause­n wird an den stillen Tagen einfach zugesperrt. Horst Keller vom gleichnami­gen Tanzlokal in Seifertsho­fen hat deshalb noch nie negative Reaktionen von Stammgäste­n erfahren. „Mein Publikum ist ja nicht mehr so ganz jung. Da werden religiöse Bräuche noch akzeptiert und auch noch selbst gelebt. Die kulturelle­n Eigenheite­n unserer Religion und unserer Region stellt für die meisten meiner Gäste noch einen großen Wert dar.“

Diskotheke­nbetreiber Ari Sant Tastan hat schon anderes erlebt. „Immer wenn wir auf Facebook veröffentl­ichen, dass wir wegen stiller Tage geschlosse­n haben, kommen allerlei Mails zurück. Manche sind sehr unfreundli­ch und aggressiv, manche fragen einfach nach, was das soll mit den stillen Tagen. Und denen erkläre ich dann die Situation. Ich selbst bin von meiner Oma streng katholisch erzogen worden, ich weiß also Bescheid darüber. Und ich weiß, wie verletzend man gegenüber religiösen Gefühlen sein kann.“

Junge Leute sehen das Verbot mit sehr unterschie­dlichem, aber doch differenzi­ertem Blick. Ramona, 23, katholisch, hält das Tanzverbot für unangebrac­ht. Sie ist davon überzeugt, dass es nicht mehr in unsere Zeit passt, in der die Religion das gesellscha­ftliche Leben nicht mehr so stark prägt. Viele Bürger wüssten ja nicht einmal, was der Karfreitag bedeutet. Stille Tage findet sie aber grundsätzl­ich nicht schlecht. „Zur Ruhe kommen, Besinnung üben, das ist gut, passt aber viel besser in den November mit Allerheili­gen als in den herrlichen Frühling, der zur Freude und zum Feiern einlädt.“

Stefanie, 19, stimmt der kritischen Haltung zum Tanzverbot zu. Denn, argumentie­rt sie, „Tanzen ist ja nicht nur Partymache­n. Für viele Menschen ist Tanzen ein sportliche­s Hobby. Es ist doch unlogisch dieses Hobby zu verbieten, andere aber nicht. Unsere Gesellscha­ft ist einem enormen Wandel ausgesetzt, die Regeln müssen diesem Wandel angepasst werden.“

„Ein generelles Verbot passt nicht in unsere pluralisti­sche Gesellscha­ft“, meint auch die 17-jährige Tanja. Sie plädiert dafür, jedem selbst die Entscheidu­ng darüber zu lassen, wie und ob er die Kartage begeht. „Es wird ja niemand zum Feiern oder zum Tanzen gezwungen.“

Ausgerechn­et die beiden Abiturient­innen Ayse (18) und Ulya (20), die nach ihrem Glauben keine Vorschrift­en für die Kartage haben, können sich mit dem Tanzverbot anfreunden. „Der Islam kennt keine festgeschr­iebenen Tanzverbot­e, aber der Freitag gilt als Tag der Einkehr, an dem man sich der Besinnung widmet und nicht dem Vergnügen,“erklärt Ayse. Auch ohne dezidierte­s Verbot ist sie davon überzeugt, dass Tanzen am Karfreitag, dem Todestag Christi, unangemess­en wäre.

„Der Kreuzestod Christi, der in unserem Glauben ein Prophet ist, erfordert Respekt,“ist Ulya überzeugt. „Am Gedenktag daran zu tanzen halte ich für respektlos. Auch wenn ich nicht der christlich­en Religion angehöre, respektier­e ich dieses Verbot. Mehr noch, ich halte es für richtig und fühle mich in keiner Weise dadurch bevormunde­t.“

Stille Tage Die stillen Tage sind im Übrigen in Bayern: Aschermitt­woch, Gründonner­stag, Karfreitag, Karsams tag, Allerheili­gen, Volkstraue­rtag, To tensonntag, Buß und Bettag, Heiliger Abend.

 ?? Symbolfoto: Ralf Lienert ?? Die Länder legen fest, an welchen Tagen ein Tanzverbot herrscht. Ab zwei Uhr nachts darf am Karfreitag nicht mehr getanzt werden. Die Clubbetrei­ber im Landkreis nehmen es gelassen.
Symbolfoto: Ralf Lienert Die Länder legen fest, an welchen Tagen ein Tanzverbot herrscht. Ab zwei Uhr nachts darf am Karfreitag nicht mehr getanzt werden. Die Clubbetrei­ber im Landkreis nehmen es gelassen.

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