Mittelschwaebische Nachrichten
Ein Spiegelbild der digitalen Welt
Wie wir in der Kunst den drastischen Veränderungen unseres Lebens begegnen. Kunst ist digital, aber die Ölmalerei hat noch nicht ausgedient
Krumbach Der Gedanke an eine gewissenhafte Raumpflegerin kommt einem in diesem Moment wohl sofort. Papierblätter liegen haufenweise am Boden, ein wirres Durcheinander. Museumsleiterin Anita Roth lächelt. „Natürlich habe ich unserer Raumpflegerin Bescheid gesagt, dass sie das liegen lassen soll.“Der Drucker nebenan rattert alle fünf Minuten, spukt dann wieder eines dieser Blätter aus. Immer größer wird der Papierhaufen, das Motiv ist immer dasselbe. Es ist ein Abbild des Druckers, eine Art Selbstporträt im Minutentakt. Und vielleicht wird sich in diesen Momenten so mancher Betrachter die Frage stellen: Wie viele Bilder habe ich heute schon von mir selbst gemacht? Wie viele auf Facebook gestellt? Sehe ich auf jedem Bild auch gut aus? Ein Drucker wird gewissermaßen zum digitalen Spiegelbild.
Alle fünf Minuten ein Selbstporträt in gleichbleibender Qualität: Der Drucker schafft das, wenn der Toner durchhält. Und ausreichend Papier bereit liegt. „Wir haben noch einige Pack Papier zum Nachfüllen in Reserve“, erklärt Museumsleiterin Roth mit einem Augenzwinkern.
Für die Umsetzung einer ungewöhnlichen Idee – die doch so beklemmend lebensnah ist – erhielten die Ulmer Marc Hautmann und Patrick Nicolas (er stammt aus Rodez, Frankreich, lebt aber schon seit 21 Jahren in Ulm) den Mittelschwäbischen Kunstpreis.
Die Entscheidung hat bei manchen Kopfschütteln ausgelöst. Aber der Blick auf diesen Drucker, der sich im Fünfminutentakt immer selbst darstellt – sind das nicht wir selbst? Gewissermaßen auch durch den Drucker ertappt?
Haben wir beim ständigen Blick auf uns selbst den Blick für unsere Umgebung und ihre feinen Details nicht längst verloren? Nehmen wir uns noch Zeit für wirkliches Hinschauen? Diese Fragen rücken beim Blick auf die Pastellkreidenzeichnung „Traktorspuren im Wald“des gebürtigen Kempteners Marc Rogat unweigerlich in den Mittelpunkt. Bei seinen detaillierten und zugleich Zeichnungen arbeitet er sich auf schwarzem Untergrund vom Dunklen ins Helle. Die Konturen eines Waldes sind erahnbar, aber vor allem auch das Gefühl eines Art Ruheraums.
Zwischen der Zeichnung von Marc Rogat (für die er den Krumbacher Kunstpreis erhielt) und dem „selbstverliebten“Drucker bewegt sich die aktuelle Jahreskunstausstellung im Mittelschwäbischen Heimatmuseum. Jahr für Jahr wird sie vom Krumbacher Kulturverein Kult organisiert, Jahr für Jahr wird die Ausstellung zum Spiegelbild aktueller künstlerischer Entwicklungen. Und Jahr für Jahr können wir uns in der Ausstellung auch ein bisschen selbst entdecken.
Kunst – auch hier ist inzwischen die allgegenwärtige, bisweilen beklemmende Macht der digitalen Welt spürbar. Der Sog des Digitalen verändert selbst traditionelle Techniken drastisch. Auch Leinwand wird zum Träger der digitalen Welt, etwa beim Tintenstrahldruck auf Leinwand von Wolfgang Bauer (Landsberg). Künstler malen mit iPad, „Digital-Painting“ist nur eine Variante der neuen, digitalen Kunstspielarten.
Umso bemerkenswerter ist es, dass wir in der Ausstellung eine ganze Reihe von Bildern finden können, bei denen die Künstler sozusagen klassisch Ölfarbe auf Leinwand auftragen. Beispielsweise Arnold Suiter (Meitingen) bei seinem geheimnisvollen Schachfigurenbild „Romeo und Julia“.
Die Kunst der Gegenwart ist meist nicht vordergründig politisch, aber sie nimmt die nachdenklich stimmenden Veränderungen unsemenschenleeren rer Zeit auf eine oft einfühlsame Weise auf. Das dreidimensionale Werk „New York, New York“von Otto Scherer (Pürgen) mit platinierter Keramik lässt uns in seiner hoch aufragenden Gegenständlichkeit gleichsam durch glänzende und doch glatte, kalte Häuserschluchten blicken. Museumsleiterin Roth zeigt sich beim Gang durch die Ausstellung immer wieder aufs Neue von der Vielfalt der Technik beeindruckt. Die Komplexität lässt sich manchmal kaum in Worte fassen, bleibt mitunter auch ein Geheimnis des Künstlers. Vielleicht auch mit diesem Hintergedanken hat Maria Aletsee aus Pfronten ihre Glasarbeit, die im „Wachsausschmelzverfahren“entstanden ist, „Geheimnis“genannt.
57 Werke sind ausgestellt
57 Arbeiten sind in der aktuellen Jahreskunstausstellung zu sehen. Beachtlich ist inzwischen das Einzugsgebiet der Ausstellung. Es gab Bewerbungen aus dem gesamten süddeutschen Raum, sogar aus Köln und Hamburg. Ausgestellt ist im Heimatmuseum auch das Bild einer Künstlerin aus Regensburg.
Bei aller Unterschiedlichkeit ist gerade bei Bildern die Tendenz zu einem immer größeren Format nicht zu übersehen. Das deutet auch ein gestiegenes Selbstbewusstsein der Kunstwelt an. Auch Künstler sind Teil der Gesellschaft, die sich ständig selbst fotografiert. Nicht zuletzt darüber lässt sich beim Blick auf den preisgekrönten Drucker nachdenken.
Die Ausstellung ist noch bis Sonntag, 7. Mai, zu den üblichen Öffnungszeiten des Museums (Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr) für Besucher zugäng lich. Zum Finale gibt es dann eine Finissa ge mit Jazzmusik. Am Samstag, 22. April, gibt es ab 14 Uhr eine Führung mit Künstler Wolfgang Mennel (Kulturver ein Kult) durch die Ausstellung.