Mittelschwaebische Nachrichten

Ein Spiegelbil­d der digitalen Welt

Wie wir in der Kunst den drastische­n Veränderun­gen unseres Lebens begegnen. Kunst ist digital, aber die Ölmalerei hat noch nicht ausgedient

- VON PETER BAUER

Krumbach Der Gedanke an eine gewissenha­fte Raumpflege­rin kommt einem in diesem Moment wohl sofort. Papierblät­ter liegen haufenweis­e am Boden, ein wirres Durcheinan­der. Museumslei­terin Anita Roth lächelt. „Natürlich habe ich unserer Raumpflege­rin Bescheid gesagt, dass sie das liegen lassen soll.“Der Drucker nebenan rattert alle fünf Minuten, spukt dann wieder eines dieser Blätter aus. Immer größer wird der Papierhauf­en, das Motiv ist immer dasselbe. Es ist ein Abbild des Druckers, eine Art Selbstport­rät im Minutentak­t. Und vielleicht wird sich in diesen Momenten so mancher Betrachter die Frage stellen: Wie viele Bilder habe ich heute schon von mir selbst gemacht? Wie viele auf Facebook gestellt? Sehe ich auf jedem Bild auch gut aus? Ein Drucker wird gewisserma­ßen zum digitalen Spiegelbil­d.

Alle fünf Minuten ein Selbstport­rät in gleichblei­bender Qualität: Der Drucker schafft das, wenn der Toner durchhält. Und ausreichen­d Papier bereit liegt. „Wir haben noch einige Pack Papier zum Nachfüllen in Reserve“, erklärt Museumslei­terin Roth mit einem Augenzwink­ern.

Für die Umsetzung einer ungewöhnli­chen Idee – die doch so beklemmend lebensnah ist – erhielten die Ulmer Marc Hautmann und Patrick Nicolas (er stammt aus Rodez, Frankreich, lebt aber schon seit 21 Jahren in Ulm) den Mittelschw­äbischen Kunstpreis.

Die Entscheidu­ng hat bei manchen Kopfschütt­eln ausgelöst. Aber der Blick auf diesen Drucker, der sich im Fünfminute­ntakt immer selbst darstellt – sind das nicht wir selbst? Gewisserma­ßen auch durch den Drucker ertappt?

Haben wir beim ständigen Blick auf uns selbst den Blick für unsere Umgebung und ihre feinen Details nicht längst verloren? Nehmen wir uns noch Zeit für wirkliches Hinschauen? Diese Fragen rücken beim Blick auf die Pastellkre­idenzeichn­ung „Traktorspu­ren im Wald“des gebürtigen Kempteners Marc Rogat unweigerli­ch in den Mittelpunk­t. Bei seinen detaillier­ten und zugleich Zeichnunge­n arbeitet er sich auf schwarzem Untergrund vom Dunklen ins Helle. Die Konturen eines Waldes sind erahnbar, aber vor allem auch das Gefühl eines Art Ruheraums.

Zwischen der Zeichnung von Marc Rogat (für die er den Krumbacher Kunstpreis erhielt) und dem „selbstverl­iebten“Drucker bewegt sich die aktuelle Jahreskuns­tausstellu­ng im Mittelschw­äbischen Heimatmuse­um. Jahr für Jahr wird sie vom Krumbacher Kulturvere­in Kult organisier­t, Jahr für Jahr wird die Ausstellun­g zum Spiegelbil­d aktueller künstleris­cher Entwicklun­gen. Und Jahr für Jahr können wir uns in der Ausstellun­g auch ein bisschen selbst entdecken.

Kunst – auch hier ist inzwischen die allgegenwä­rtige, bisweilen beklemmend­e Macht der digitalen Welt spürbar. Der Sog des Digitalen verändert selbst traditione­lle Techniken drastisch. Auch Leinwand wird zum Träger der digitalen Welt, etwa beim Tintenstra­hldruck auf Leinwand von Wolfgang Bauer (Landsberg). Künstler malen mit iPad, „Digital-Painting“ist nur eine Variante der neuen, digitalen Kunstspiel­arten.

Umso bemerkensw­erter ist es, dass wir in der Ausstellun­g eine ganze Reihe von Bildern finden können, bei denen die Künstler sozusagen klassisch Ölfarbe auf Leinwand auftragen. Beispielsw­eise Arnold Suiter (Meitingen) bei seinem geheimnisv­ollen Schachfigu­renbild „Romeo und Julia“.

Die Kunst der Gegenwart ist meist nicht vordergrün­dig politisch, aber sie nimmt die nachdenkli­ch stimmenden Veränderun­gen unsemensch­enleeren rer Zeit auf eine oft einfühlsam­e Weise auf. Das dreidimens­ionale Werk „New York, New York“von Otto Scherer (Pürgen) mit platiniert­er Keramik lässt uns in seiner hoch aufragende­n Gegenständ­lichkeit gleichsam durch glänzende und doch glatte, kalte Häuserschl­uchten blicken. Museumslei­terin Roth zeigt sich beim Gang durch die Ausstellun­g immer wieder aufs Neue von der Vielfalt der Technik beeindruck­t. Die Komplexitä­t lässt sich manchmal kaum in Worte fassen, bleibt mitunter auch ein Geheimnis des Künstlers. Vielleicht auch mit diesem Hintergeda­nken hat Maria Aletsee aus Pfronten ihre Glasarbeit, die im „Wachsaussc­hmelzverfa­hren“entstanden ist, „Geheimnis“genannt.

57 Werke sind ausgestell­t

57 Arbeiten sind in der aktuellen Jahreskuns­tausstellu­ng zu sehen. Beachtlich ist inzwischen das Einzugsgeb­iet der Ausstellun­g. Es gab Bewerbunge­n aus dem gesamten süddeutsch­en Raum, sogar aus Köln und Hamburg. Ausgestell­t ist im Heimatmuse­um auch das Bild einer Künstlerin aus Regensburg.

Bei aller Unterschie­dlichkeit ist gerade bei Bildern die Tendenz zu einem immer größeren Format nicht zu übersehen. Das deutet auch ein gestiegene­s Selbstbewu­sstsein der Kunstwelt an. Auch Künstler sind Teil der Gesellscha­ft, die sich ständig selbst fotografie­rt. Nicht zuletzt darüber lässt sich beim Blick auf den preisgekrö­nten Drucker nachdenken.

Die Ausstellun­g ist noch bis Sonntag, 7. Mai, zu den üblichen Öffnungsze­iten des Museums (Donnerstag bis Sonntag, 14 bis 17 Uhr) für Besucher zugäng lich. Zum Finale gibt es dann eine Finissa ge mit Jazzmusik. Am Samstag, 22. April, gibt es ab 14 Uhr eine Führung mit Künstler Wolfgang Mennel (Kulturver ein Kult) durch die Ausstellun­g.

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Sind wir alle das? Die „Selfie Generation“? „Selbstport­rät“nennen Marc Hautmann und Patrick Nicolas aus Ulm ihre Installati­on, mit der sie den Mittelschw­äbischen Kunstpreis des Landkreise­s Günzburg 2017 gewonnen haben. Hinten Museumslei­te rin Anita Roth.
 ??  ?? Der lange Weg nach Hause“(Ausschnitt) ist eine Tackermont­age auf Span von An ton Felix Müller aus Dinkelsche­rben, 2016.
Der lange Weg nach Hause“(Ausschnitt) ist eine Tackermont­age auf Span von An ton Felix Müller aus Dinkelsche­rben, 2016.
 ??  ?? Von Arnold Suiter (Meitingen) stammt das Bild Romeo & Julia (Ölfarbe und Acryl auf Holz, 2016, Ausschnitt).
Von Arnold Suiter (Meitingen) stammt das Bild Romeo & Julia (Ölfarbe und Acryl auf Holz, 2016, Ausschnitt).
 ??  ?? „Made in China“von Edda Müller aus Dinkelsche­rben. Öl auf Leinwand, 2014, (Ausschnitt).
„Made in China“von Edda Müller aus Dinkelsche­rben. Öl auf Leinwand, 2014, (Ausschnitt).

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