Mittelschwaebische Nachrichten

Freispruch nach Tod auf der Baustelle

Ein polnischer Arbeiter stirbt nach einem Unfall an der Kreisklini­k Günzburg

- VON ALEXANDER SING

Günzburg Mit Tränen in den Augen verlässt die Frau von Krysztof G. das Günzburger Amtsgerich­t. Es sind Tränen der Erleichter­ung. Gerade ist ihr Mann, der seinen Arm um sie gelegt hat, vom Vorwurf der fahrlässig­en Tötung freigespro­chen worden. Die Szene lässt nur erahnen, wie schlimm die vergangene­n knapp zwei Jahre für die Familie waren. Seit jenem Unglücksta­g am 9. Juli 2015. Krysztof G. arbeitet an diesem Tag mit einem Kollegen auf der Baustelle der neuen Strahlenth­erapie an der Kreisklini­k Günzburg. Der damals 28-Jährige, der auch die deutsche Staatsbürg­erschaft besitzt, ist gemeinsam mit seinem polnischen Landsmann damit beschäftig­t, Verschalun­gen von einer Betonwand zu entfernen. Mehrere Verankerun­gen verbinden die beiden Schalungse­lemente, eine nach der anderen lösen die Bauarbeite­r. Eine der 2,50 Meter auf 3,60 großen Platten hängt schon am Kran, als das letzte Ankereleme­nt gelöst wird. Doch die zweite Platte ist nicht gesichert. Als der Arbeiter die erste Tafel per Fernbedien­ung anhebt, kippt das 500 Kilogramm schwere Element und begräbt den 39-Jährigen unter sich. Er ist sofort tot. Für die Staatsanwa­ltschaft ist klar: Krysztof G. hat die letzte Verankerun­g entfernt, ohne die Platte richtig zu sichern, und so den Tod seines Kollegen verschulde­t.

Vor Gericht stellt sich aber schnell heraus, dass wohl außer dem Angeklagte­n niemand den Unfall beobachtet hat. Und der schweigt. Ruhig lauscht er dem Dolmetsche­r, der für ihn alles Gesagte ins Polnische übersetzt. Eine Regung auf das Gehörte zeigt er nicht. Direkt nach dem Unfall war das noch anders. Wolfgang Burkhard von der Kripo Neu-Ulm berichtet, dass G. bei der Zeugenvern­ehmung geweint habe. Schnell merkt der Kommissar da, dass er nicht nur einen Zeugen, sondern einen möglichen Beschuldig­ten vor sich hat. Er belehrt ihn erneut über seine Rechte. Als Beschuldig­ter muss er sich nicht selbst belasten. „Was soll ich noch lügen? Es ist, wie es ist. Er war doch mein Freund“, habe G. da noch gesagt. Dann aber schweigt er.

Es ist dieser Umstand, der am Ende für einen Freispruch sorgt. Gleich zu Beginn legt G.s Verteidige­r Heinrich Schiwy Widerspruc­h gegen die Verwendung der Aussage, die der Angeklagte gegenüber der Polizei gemacht hat, ein. Weil er nicht richtig belehrt wurde, darf sie nicht als Beweis verwendet werden, selbst wenn G. darin seine Mitschuld eingestand­en hätte. Das Problem: Andere Beweise gibt es nicht. Weder die Zeugenauss­age eines Mitarbeite­rs auf der Baustelle, noch die des zuständige­n Poliers der Firma Lutzenberg­er, die die Polen über ein Subunterne­hmen engagiert hatte, bringen Klarheit. Im Gegenteil: „Sie hatten das bis dahin schon öfter gemacht. Das sind sehr gute Leute, sie haben bis dahin hervorrage­nd gearbeitet“, berichtet der Vorgesetzt­e. Auch hätten alle klare Arbeitsein­weisungen bekommen. Die Rolle des Getöteten selbst, der ja den Kran bedient hat, bleibt ebenso unklar. Laut einem von der Kripo herangezog­enen Sachverstä­ndigen ist es eine bei Schalungsa­rbeiten gängige, wenn auch verbotene Methode, die Platten durch leichtes Rütteln mit dem Kran vom Beton zu lösen. Ob das passiert ist, weiß nur der Angeklagte. Und er schweigt beharrlich, will sich auch im letzten Wort nicht äußern. Richterin Franziska Braun bleibt nichts anderes übrig, als ihn freizuspre­chen. Die Aussage des Angeklagte­n dürfe sie nicht beachten. Und ohne die könne man nicht sagen, was passiert ist. „Es ist schwer verständli­ch. Aber der Schutz des Angeklagte­n im Strafproze­ss wiegt schwer.“Ob der Angeklagte sich auch selbst freisprech­en könne, das stehe, so die Richterin, auf einem anderen Blatt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräf­tig.

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