Mittelschwaebische Nachrichten
Zurück im bunten Indien
K!ar.Texter Stefan war im vergangenen Jahr für zwölf Monate in Kalkutta, um einen Freiwilligendienst für ein Bildungsprojekt zu leisten. Nun hat er den lieb gewonnenen Ort wieder besucht und berichtet von seinen Erfahrungen
Kalkutta So fest ich kann, trete ich in die Pedale, um den Anschlägen zu entkommen. Sekündlich die Klingel drückend, lasse ich Rikschas, Trucks und Tuktuks hinter mir. Doch plötzlich ein unerwarteter Angriff: Während ich haarscharf entkomme, hat es meinen Begleiter erwischt. Sein beiges Hemd ist komplett voll mit blauer Farbe. Denn im Frühling wird auf den Straßen Kalkuttas Holi gefeiert.
Bei diesem Fest dürfen Kinder Passanten mit gefärbtem Wasser abspritzen. Egal, ob mit kleinen Wasserpistolen, Wasserbomben oder einfach nur mit einem Eimer, möglichst viele Menschen sollen nass und bunt werden. Da sich viele Kinder dabei hinter Hausecken oder auf Dächern verstecken, nimmt der ganze Spaß teils guerillaähnliche Zustände an.
Ich will mit drei Kollegen das Zuhause eines Freundes besuchen und muss deswegen einige Kilometer Richtung Stadtrand fahren. Um dort nicht total verdreckt zu erscheinen, treibe ich meinen Drahtesel an, so schnell es geht. Während ich mich also durch den dichten Verkehr kämpfe, stets darauf bedacht weder überfahren noch abgespritzt zu werden, überholt mich ein entspannter Fahrradfahrer mit einem Äffchen auf dem Kopf. Ein wenig überrascht wünsche ich dem Mann „Happy Holi“. Er grüßt zurück und fährt weiter.
Nachdem wir die Hauptstraße verlassen und eine winzige Seitengasse durchfahren haben, offenbaren sich saftige Wiesen, Teiche und Kokosnusspalmen. In dieser idyllischen Umgebung haben sich viele Menschen niedergelassen. Die schmalen Gassen, die entlang der kleinen Häuser führen, sind für uns wie ein Labyrinth. Nach ein wenig Suchen erreichen wir unser Ziel. Herzlich werden wir von der gesamten Familie in Empfang genommen. Wir werden hereingebeten und müssen auf dem Bett Platz nehmen – die einzige Sitzgelegenheit neben dem Boden in der kleinen Hütte.
Die Gastfreundschaft der Menschen hat sich keineswegs verändert während meiner achtmonatigen Abwesenheit. In meiner alten Wirkungsstätte, dem Bildungsprojekt H.E.L.G.O. e. V, ist jedoch vieles neu. Es gibt einen neuen Chef, ein anderes Schulgelände und neue Schüler. Die Freiwilligen übernehmen teils andere Aufgaben als zu meiner Zeit. Gerade Letzteres liegt daran, dass man als Volontär dort viele Freiheiten hat, seine eigenen Ideen umzusetzen. Das macht die Arbeit so besonders und bringt das Projekt wie die Kinder voran.
Leider gerät dadurch aber so manche Errungenschaft der Vorgänger in Vergessenheit. So wollen mein damaliger Mitfreiwilliger, der auch mitgereist ist, und ich während unseres Aufenthaltes einiges wiederbeleben. Die Playmobilkiste und der Holzzug wurden aus der Ecke geholt. Fahrräder haben wir auch repariert und die Kinder mal wieder ein paar Runden drehen lassen. Nach unserer Abreise können unsere Nachfolger dann entscheiden, was sie davon übernehmen und in welchen Bereichen sie lieber Eigenes einführen. Letztlich spielt das eine geringfügige Rolle.
Denn wenn sich eines ganz und gar nicht verändert hat, dann ist es die Aufgeschlossenheit der Kinder. Es ist eine unbeschreibliche Freude, sie alle wieder zu sehen. Wir haben sie nach unserer Ankunft bei einem Wochenendausflug ans Meer besucht und dort unvergessliche Tage erlebt. Allgemein ist es wunderbar, all den viel vermissten Menschen wieder zu begegnen. Aber auch durch die altvertrauten Gassen zu gehen, den chaotischen Verkehr zu erleben, sowie Feste wie Holi mit den Kindern zu feiern, ist eine absolute Wonne.
Die offenherzige Gastfreundschaft erneut zu erfahren, ist ebenfalls toll. Im Haus der Familie müssen wir leider einige Einladungen ablehnen, um nicht allzu lang zu verweilen. Denn Saif, den wir sehen wollten, ist leider bei seiner Großmutter. Nach einem netten Plausch mit dessen Geschwistern und der Mutter treten wir die Rückfahrt an. Dabei erleben wir kaum eine Farbattacke. Die tropische Mittagssonne macht selbst indische Lausbuben müde.