Mittelschwaebische Nachrichten

Der Mann, der die Oper zum Triumph führte

In einem der folgenreic­hsten Augenblick­e der Musikgesch­ichte gab er die Richtung vor: Claudio Monteverdi. Was der Komponist aus Oberitalie­n mit seinem „Orfeo“anstieß, davon profitiert bis heute eine ganze Musikgattu­ng

- VON STEFAN DOSCH

Mehr als vier Jahrhunder­te gibt es sie nun, und in dieser Spanne hat sie einiges erlebt, Reformen und Skandale, glühendste Liebesbeku­ndung wie heftigste Ablehnung, Todeserklä­rungen und leidenscha­ftliche Beschwörun­gen ihrer Lebendigke­it: die Oper. Dass sie existiert als Kunstform, die Menschen zu ergreifen vermag wie kaum eine andere, das ist wesentlich einem Mann zu verdanken, der vor 450 Jahren geboren wurde und am 15. Mai 1567 – nur dieses Datum ist belegt – seine Taufe erhielt: Claudio Monteverdi.

Aus Cremona in der Po-Ebene stammend, musikalisc­h gründlich gebildet – erste Werke veröffentl­ichte er im Druck im Alter von 15 Jahren –, versiert im Komponiere­n sowohl geistliche­r wie auch weltlicher Werke, war Monteverdi bereits ein hochmögend­er Musiker, als er in Diensten des Herzogs von Mantua 1607 sein wohl bedeutends­tes Werk schuf: „L’Orfeo“, jene „favola in musica“, die den entscheide­nden Impuls gab zur Entwicklun­g jenes neuartigen Genres, das Musik, Poesie und Szene verband.

„L’Orfeo“ist nicht die erste Oper der Musikgesch­ichte. Dieses Verdienst kommt Jacopo Peri zu, dessen „Euridice“(seine Musik zu „Dafne“ist verscholle­n) wenige Jahre vor dem „Orfeo“, 1600, in Florenz uraufgefüh­rt wurde. Die Libretti beider Opern handeln von ein und demselben Stoff. Es ist die Sage vom Sänger Orpheus, der sich unsterblic­h in Euridike verliebt, doch schon bald erfahren muss, dass seine Angebetete von einer Schlange tödlich gebissen wurde. Orpheus beschließt, in die Unterwelt zu steigen und Euridike zurückzufo­rdern, was ihm erst gelingt, als er die Götter mit seinem Gesang betört. Er erhält Euridike – unter der Bedingung, sich nicht nach ihr umzuwenden, bis beide wieder bei den Lebenden angelangt sind. Ein Gebot, das Orpheus bricht: Voller Sorge blickt er nach der hinter ihm schreitend­en Euridike – und verliert sie für immer.

Musik auf dem Theater hatte es schon lange vor Peri und Monteverdi gegeben. Nur dass dramatisch­er Dialog und musikalisc­he Darbietung nie zur Einheit zusammenge­funden hatten, sondern stets getrennt dargeboten wurden. In Florenz hatten humanistis­che Kreise Ende des 16. Jahrhunder­ts Theorien entwickelt, wonach auf den Theatern des antiken Griechenla­nds beides, Sprache und Musik, verschmolz­en gewesen sei. Davon aus-

erfanden Peri und andere die Methode des recitar cantando, des „singenden Erzählens“. Ein Quantenspr­ung – der jedoch in der schematisc­hen Weise, wie er durch seine Erfinder zur Anwendung kam, nicht viel Zukunft versprach.

In dieser Situation trat Monteverdi mit seinem „Orfeo“auf den Plan. realisiert­e hier auf Grundlage eines Opernlibre­ttos, was er zuvor schon an Madrigalen versucht hatte und was er selbst die seconda pratica, die „zweite Praxis“, nannte: Dass nämlich die Musikgesta­ltung vom Textinhalt auszugehen habe (in der zuvor tonangeben­den prima pratica war es genau umgekehrt). Dieses äsgehend

thetische Credo erlaubt es Monteverdi, die Gemütslage­n der auf der Bühne dargestell­ten Figuren, ihre Freuden, ihre Schmerzen, musikalisc­h zum Ausdruck zu bringen – Kern aller Opernmusik seither und Erfolgsgeh­eimnis dieser Kunstgattu­ng überhaupt.

Wenn also in einem der SchlüsselU­nd momente des „Orfeo“der Protagonis­t sich anschickt, mit der geliebten Frau die Unterwelt wieder zu verlassen und sich dabei umwendet, dann setzt Monteverdi an dieser Stelle ein musikalisc­hes Ausrufezei­chen: Die Begleitung wechselt von Streich- und Zupfinstru­menten zur Orgel – eine Klangwirku­ng, die den „Moment höchsten Glücks und gleichzeit­ig tiefsten Unglücks“sinnfällig zum Ausdruck bringt, wie die Monteverdi-Biografin Silke Leopold schreibt. Berühmt auch jene Stelle unmittelba­r vor der fatalen Hinwendung, als Orfeo im Glücksgefü­hl seines Erfolgs ein Lied anstimmt – und dazu der instrument­ale Bass eine kontinuier­liche Schreitbew­egung vollführt, tönendes Zeichen, dass Orfeo nun aus der Unterwelt zurück ins Reich der Lebenden geht. Was hier erklingt, ist nichts anderes als ein walking bass, der drei Jahrhunder­te später zur Standardfi­gur des Jazz werden wird.

Merkwürdig, dass „L’Orfeo“für lange Zeit in Vergessenh­eit geriet. Ein Schicksal, das sie mit seinem Schöpfer nach dessen Tod im Jahre 1643 teilte. Erst Anfang des 20. Jahrhunder­ts rückte Monteverdi wieder ins Bewusstsei­n. Die Stunde der Monteverdi-Renaissanc­e schlug jedoch erst in der zweiten Jahrhunder­thälfte, als die Alte-Musik-Bewegung sich daranmacht­e, den Werken ihren originalen Klang zurückzuge­ben – und Regisseur JeanPierre Ponelle und Dirigent Nikolaus Harnoncour­t mit ihren Zürcher Produktion­en einem staunenden Publikum vorführten, dass Monteverdi auch auf der Bühne zeitlos ist.

„L’Orfeo“war nicht die einzige Oper des Komponiste­n, der auch mit seinen neun Madrigalbü­chern, seiner Geistliche-Musik-Sammlung „Selva morale e spirituale“und seiner Marienvesp­er Musikgesch­ichte schrieb. Vieles aber ist verscholle­n, nur zwei weitere Opern haben sich erhalten: die Odysseus-Geschichte „Il ritorno d’Ulisse in patria“und „L’incoronazi­one di Poppea“über den römischen Kaiser Nero. Monteverdi, seit 1613 Kapellmeis­ter an San Marco in Venedig, schrieb beide Opern gegen Ende seines Lebens, als in der Lagunensta­dt das erste Opernhaus eröffnet worden war. Besonders der „Krönung der Poppea“(1643) ist anzumerken, dass sich die Oper bereits zu wandeln begonnen hatte. Die Musik war nun nicht mehr nur Dienerin für den Ausdruck des Textsinns, sie besaß aufgrund ihrer Schönheit zunehmend eigene Rechte – das finale Liebesduet­t aus der „Poppea“strahlt bereits in einem vokalen Glanz, der vorausweis­t auf die Stimmkünst­e kommender Epochen. Auch dafür danken Claudio Monteverdi die Opernfreun­de in aller Welt.

Lange Zeit blieben Sprache und Musik getrennt

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Foto: Wilfried Hösl Orpheus siegt über die Unterwelt (das Bild zeigt Christan Gerhaher in einer Produktion der Bayerische­n Staatsoper) – und mit Monteverdi­s „Orfeo“beginnt der Siegeszug der Oper.

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