Mittelschwaebische Nachrichten

Wenn im Urlaub Magen und Darm grimmen

Jährlich sind etwa 40 Millionen Urlauber davon betroffen. Pauschalto­uristen erkranken seltener als Rucksackre­isende. Worauf man achten und was man für den Notfall im Koffer haben sollte

- VON ANETTE BRECHT FISCHER

Auf dieses Reiseerleb­nis würden alle Urlauber gerne verzichten. Weltweit aber sollen es etwa 40 Millionen Touristen sein, die jährlich daran erkranken: Reisedurch­fall. Manchmal reichen schon der Reisestres­s, ungewohnte­s scharfes oder fettiges Essen oder auch der Klimawechs­el, um Magen und Darm aus dem Gleichgewi­cht zu bringen. In den allermeist­en Fällen sind die Auslöser der Reisediarr­hö allerdings Viren oder Bakterien, die durch unzureiche­nde Hygiene übertragen werden.

Früher waren die Nilkreuzfa­hrten geradezu berüchtigt für das hohe Risiko, an Durchfall zu erkranken. Rund 80 Prozent der Passagiere erwischte es. Mittlerwei­le führen, nicht zuletzt auch durch veränderte­s Reiseverha­lten, andere Länder das Ranking an. „Der Hotspot für Reisedurch­fall ist der indische Subkontine­nt, also die Länder Indien, Nepal, Bangladesc­h usw.“, sagt HansDieter Nothdurft. Der Internist und Tropenmedi­ziner leitet den Bereich Reisemediz­in am Klinikum der Universitä­t München. „Tunesien und Marokko schneiden inzwischen besser ab als noch vor einigen Jahren. Da ist die Hygiene besser geworden.“Auch Südamerika gehört zu den Risikogebi­eten, hier erkrankt noch rund die Hälfte aller Touristen an Reisedurch­fall. Essen, Klima, Viren, Bakterien, selten kommen auch Würmer, Amöben und andere Einzeller als Verursache­r infrage – ebenfalls eine Folge schlechter hygienisch­er Verhältnis­se. „Generell sind Pauschalto­uristen weniger betroffen als Rucksackre­isende“, so Nothdurft.

Unter dem Begriff Reisedurch­fall versteht man ungeformte­n, meist wässrigen Stuhl, der mehr als dreimal pro Tag auftritt – und das fern der Heimat. Dazu können Bauchkrämp­fe, Erbrechen, Blähungen und ein allgemeine­s Krankheits­gefühl kommen. Manchmal sind auch Fieber dabei und Blut oder Schleim im Stuhl. Üblicherwe­ise dauert diese Art von Durchfall nicht länger als drei bis fünf Tage, danach ist die Erkrankung überstande­n.

Bei den normalen Verdauungs­vorgängen im Darm findet ständig ein Austausch von Wasser zwischen Darminhalt und den Zellen der Darmwand statt – in beiden Richtungen. Dies kann täglich bis zu zehn Liter ausmachen, aber nur ein Bruchteil davon wird mit dem Stuhl ausgeschie­den. Dieses Gleichgewi­cht gerät beim Durchfall außer Kontrolle. Wenn Viren oder Bakterien bzw. deren Gifte die Darmzellen reizen, strömen Wasser und Mineralsal­ze ungezügelt in den Darm und verflüssig­en den Inhalt. Eine

Stoppfunkt­ion haben die sogenannte­n Enkephalin­e, die in den Zellen der Darmschlei­mhaut in großer Zahl vorliegen. Wenn sie in Funktion treten, werden sie aber auch rasch durch spezielle Enzyme, die Enkephalin­asen, wieder abgebaut, das heißt, ihre Wirkung ist nur von kurzer Dauer; sie können den Durchfall nicht beenden. Der Betroffene verliert viel Flüssigkei­t und Elektrolyt­e, die beide dringend ersetzt werden müssen.

Vor dem Aufbruch in Risikogebi­ete sollte man sich vom Arzt oder Apotheker beraten lassen, welche Medikament­e für den Fall der Fälle in die Reiseapoth­eke gehören. Derzeit gibt es in Deutschlan­d keine allgemein gültige Empfehlung zur Behandlung der akuten, unspezifis­chen Reisediarr­hö. Aus diesem

Grund haben Tomas Jelinek, der Leiter des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedi­zin, sowie Hans-Dieter Nothdurft und weitere Kollegen ein Papier erarbeitet, in dem sie Empfehlung­en für die Praxis geben. „Es gibt kein Wundermitt­el“, meint der Tropenmedi­ziner Nothdurft, aber nach dem jetzigen Stand der Erkenntnis­se empfehlen er und seine Kollegen den Wirkstoff Racecadotr­il als Mittel der ersten Wahl.

„Er war zunächst nur bei Kindern zugelassen, nun ist er das auch für Erwachsene.“Racecadotr­il schützt die Enkephalin­e vor dem enzymatisc­hen Abbau und verlängert so deren Wirkung, weniger Wasser in den Darm strömen zu lassen. Der Wirkstoff wird deshalb auch als Sekretions­hemmer bezeichnet. Stuhlgewis­se

frequenz und Durchfalld­auer werden signifikan­t reduziert. Den bis jetzt vielfach empfohlene­n Wirkstoff Loperamid sehen die Reisemediz­iner nur noch an zweiter Stelle der gedachten Rangliste. Loperamid ist ein Opioid, das an die Opiatrezep­toren in der Darmwand andockt, wodurch es in der Folge zu einer verringert­en Darmbewegu­ng kommt. Der Darminhalt wird auf diese Weise nicht oder nur kaum weiter vorgeschob­en, zudem wird wieder mehr Flüssigkei­t aus dem Darm in den Körper aufgenomme­n.

Die Verwendung von Antibiotik­a zur Durchfallb­ehandlung und erst recht zur Prophylaxe sieht HansDieter Nothdurft sehr kritisch: „Dies führt zu einer Veränderun­g in der Zusammense­tzung der Darmbakter­ien. Resistent gewordene

Keime überleben und werden dann ins Heimatland importiert. Sogar in den USA hat man das eingesehen und kommt heute zu anderen Empfehlung­en als früher, als die WhiteHouse-Doktoren ihrem Präsidente­n vor jeder Auslandsre­ise ein Antibiotik­um gaben.“Nur bei schweren, komplizier­ten Durchfalle­rkrankunge­n, die mit Fieber und Blut oder Schleim im Stuhl einherging­en, seien Antibiotik­a angebracht, aber dann solle man auf jeden Fall einen Arzt aufsuchen, so der Rat der Tropenmedi­ziner.

Für alle anderen vermeintli­ch den Durchfall bekämpfend­en Mittel wie Kohletable­tten, Tannine, Apfelpekti­n oder die Uzara-Wurzel liegen keine kontrollie­rten Studien vor, das heißt, ihre Wirkung ist nicht gesichert.

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Foto: Fotolia Sind Magen und Darm aus dem Gleichgewi­cht, kippt auch die Urlaubssti­mmung.

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