Mittelschwaebische Nachrichten
Als die Renaissance an den Bodensee kam
Das Kunsthaus Bregenz ist derzeit fest im Griff von Adrián Villar Rojas. Der Argentinier stellt Bezüge zu alten Meistern her und erinnert sogar an Urzeitliches. Seine Arbeit hat ihm einen Spitznamen eingebracht
Besucher zwischen grob gehauenen Steinbassins, kugelförmigen Skulpturen, aus der Steinkruste aufgeworfenen Kratern.
Und er entdeckt Höhlenmalereien an den Wänden. Rinderherden, Jagdszenen, Mammuts bevölkern den Beton. An anderer Stelle prangen die Machtinsignien Lilie und Krone, gegenüber asiatische Schriftzüge. Wer mag, kann im Ausstellungsheft nachlesen, wo Adrián Villar Rojas all die Zeichen entlehnt hat, mit denen er auf vergangene Jahrhunderte und versunkene Kulturen verweist. Aber auch ohne das lässt sich in dieser Symbolflut der Wirksamkeit einer Kraft nachspüren, die über Kontinente und Epochen hinweg Verbindungen schafft und erhält.
Das Thema „Tempel“greift Rojas in Bregenz wieder und wieder auf. Im zweiten Obergeschoss siedelt er eine beklemmenden Szenerie an. Fast dunkel ist der Raum, nur eine elf Meter lange Reihe von Flammen lodert in einem Bett schwarz glänzender Steine. Den großen Felsen mitten im Raum umgibt ein runder Glastisch, an dem fünf breite Sessel auf die Eingeweihder ten eines Geheimbunds zu warten scheinen. Welch mächtige Rituale sie an diesem Altar wohl vollziehen?
Mit glänzend glatt geschliffenem Marmor hat Rojas diesen Kultort ausgelegt. So wird aus einem selbstbewussten Gehen schnell ein demütiges Schleichen. Und dann, wenn sich das Auge an die Dunkelheit gewöhnt, erfasst es Bekanntes. Über dem Flammenstrom erscheinen Linien, werden zu Figuren: Pferdeköpfe, Hände, ein schreiender Mund, verzweifelt nach oben gereckte Arme fügen sich beim allmählichen Erkennen zu Pablo PiDetailwissen cassos Gemälde „Guernica“. In diesem Moment bestätigt sich die ungute Vorahnung, die man beim Betreten der heilig-düsteren Stätte hatte.
Nach solcher Erfahrung ist das Weiß fast schmerzhaft hell, in das Rojas das Obergeschoss getaucht hat. Zugleich lässt es aufatmen, hoffen – obwohl die zentral präsentierte weiße Marmor-Statue nur ein Fragment ist. Den Beinen des „David“von Michelangelo hat Rojas ein Podest aus vier kreuzförmig verbundenen Rampen gebaut. Sie wachsen aus einem weiß glänzenden Boden, der als Ganzes neu gegossen wurde und nirgendwo auch nur den Hauch einer Naht zeigt.
Ein anderes Meisterstück der Renaissance treten Ausstellungsbesucher mit Füßen. Sie berühren es, noch bevor sie ihre Tickets fürs Kunsthaus gelöst haben: Der Boden des Erdgeschosses, aus dem Rojas sogar den Empfangstresen entfernen ließ, besteht jetzt aus dem vielfach vergrößerten Gemälde „Madonna del Parto“von Piero della Francesca. Ermattetes Blattgold, verblasste Farb- und abgetretene Holzschichten verweisen auf Vergänglichkeit – und doch ist die Schönheit nicht zerstört.
Die Bewunderung für all die Meisterwerke, die Adrián Villar Rojas in seiner Schau verehrt, macht den 37-Jährigen mit den feingliedrigen Händen für die Kunsthausleute zu einem schwierigen Partner. So vieles war schon da, so Gewaltiges haben Künstler geleistet, dass es schwer ist, sich aus ihrem Schatten zu lösen. Und das Kunsthaus selbst, so die Retourkutsche Rojas’ an den Kurator, sei im Verlauf seiner 25-jährigen Geschichte ja selbst nachlässiger geworden beim Bemühen, Einzigartiges an diesem Ort und nur für diesen Ort entstehen zu lassen. An die Grenzen zu gehen und darüber hinaus – an diesen Anspruch hat er den Kunsttempel am Bodensee erinnert.
Adrián Villar Rojas – The Theatre of Disappearance Bis 27. August im Kunsthaus Bregenz. Geöffnet Dienstag bis Sonntag 10 bis 18 Uhr, Donnerstag 10 bis 20 Uhr; ab 1. Juli täglich geöffnet von 10 bis 20 Uhr.