Mittelschwaebische Nachrichten

Mathematis­ch ausgewogen­e Welturauff­ührung

Wolfram Seitz hat eine Messe im zeitgemäße­n Stil komponiert, die an Pfingsten erstmals in Günzburg zu hören sein wird. Weshalb der Musiker auch rechnen können muss

- VON HELMUT KIRCHER

Günzburg Im letzten Jahr seiner Ausbildung, sagt Wolfram Seitz, sei er zeitweise „einzig“gewesen. Zumindest als Student am Mozarteum Salzburg. Denn nach Abschluss seiner Ausbildung zum Kirchenmus­iker gehörte der Zweig „Kirchenmus­iker“dieser renommiert­en Musikhochs­chule der Vergangenh­eit an. Wurde als beendet erklärt. Zu wenig Nachfrage, vermutet der 28-Jährige, vielleicht auch zu teuer. Er jedenfalls hatte, sozusagen als „der Letzte seiner Art“, die Abschlussp­rüfungen mit Auszeichnu­ng bestanden.

Seitz war befähigt zu Chor-, Ensembleun­d Orchesterl­eitung, zu liturgisch­em Gesang und Orgelspiel und nicht zuletzt, schwerpunk­tmäßig, zum Komponiere­n. Und das praktizier­te er schon während seiner Studienzei­t, mit Kammer-, Klavierund vor allem Orgelmusik. Eine Vesper wurde in Salzburg uraufge- anderes, lässt er wissen, liege bereits gedruckt und veröffentl­icht vor. Als Kirchenmus­iker an der Günzburger Heilig-Geist-Kirche nahm er sich nun Größeres vor. Eine komplett fünfteilig­e, lateinisch­e Messe sollte es sein, betitelt „Missa Guntia“. Innerhalb eines halben Jahres entstand sie, liegt nun als 116-seitige Partitur vor. Natürlich gab es Durststrec­ken, bekennt er, manchmal sitze man drei Stunden an einem einzigen Takt, den man am nächsten Tag wieder wegschmeiß­e, dann wieder schreibe man, musengeküs­st, locker und leicht dreißig Takte hintereina­nder weg. Es komme auf die Tagesform an. Darauf lässt er, so ganz nebenbei, eine etwas erstaunlic­he Bemerkung fallen: Das Schwierige beim Komponiere­n sei, sagt er, die Taktstrukt­ur in ein mathematis­ches Gleichgewi­cht zu bringen. Dies weiß er noch zu steigern: „Manche halten Bach für einen weniger guten Komponiste­n, aber für einen genialen Mathemati- ker“. Mozart und vor allem Bruckner seien in dieser Hinsicht perfekt gewesen. Schließlic­h setzt er noch mit dem Hinweis, unmathemat­ische Musik sei für den Zuhörer unverständ­lich, bei einem mathematis­ch unterentwi­ckelten Berichters­tatter erhebliche­s Frustratio­nspotenzia­l frei. Aber egal. Die Sakralmusi­k, fährt Seitz fort, sei weitgehend noch alten Strukturen verhaftet, deshalb enthalte seine Messe neben modernen Elementen durchaus auch Konvention­elles. Wie etwa zwei Fugen, im Gloria und Credo. „Die sind“, gibt er zu bedenken, „mit ihren klassische­n Kontrapunk­ten nicht ganz einfach“.

Und genau die stehen bei der heutigen Probe an. Erst einsingen, quasi als Kleines Einmaleins, mit Schultern lockern, Zwerchfell­atmen in Gähnstellu­ng, pusten, Vokalreihe­n aufwärts-abwärts: „O-ho-ho-hoo“, „Guhu-hu-ten Aha-habend“. Dann kurz und knapp: „Wir beginnen mit dem Credo“. Seitz leitet vom Klaführt, vier aus. „Ich spiel mal vor“, „Die Synkopen etwas schärfer“, „Ihr müsst selbst die Linie weitersing­en“, „Takt 63 noch einmal“. Das Heilig Geist Ensemble zeigt sich fugenerfah­ren, malt mit körnig vokaler Verve, fühlt am Puls der Dominantse­ptakkorde, egal, ob aufgelöst oder nicht. Mal klingt’s aufgeregt eckig, mal barockig rund, mal leicht und luftig. Taktbezoge­n berechnet und vermessen klingt’s nicht. Zumindest nicht für Otto Normalhöre­r. Aber vielleicht modulieren ja bei der Uraufführu­ng während der Pfingstson­ntagsmesse die tonal-mathematis­chen Vorzeichen in physisch hörbare Strukturen. Auch zum höheren Genuss aller, die vor der Mathematik nicht so ganz gleich sind.

Neben Chor und Orchester werden bei der Aufführung solistisch mitwirken: Danuta Debski (Sopran), Barbara Sauter (Alt), Jakob Nistler (Tenor) und Frederic Jost (Bass).

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