Mittelschwaebische Nachrichten

Der Klavier Bär und sein Meisterstü­ck

Keiner bearbeitet­e die Tasten so verschrobe­n wie Thelonious Monk, vielen galt der Jazzmusike­r deshalb als lausiger Pianist. Zeit für eine Ehrenrettu­ng – auch, weil zum 100. Geburtstag sensatione­lle Aufnahmen erschienen sind

- VON REINHARD KÖCHL Thelonious Monk: Les Liaisons Dan gereuses. Sam Records/Pias

Es sind diese Geschichte­n, die jeder Fan schon unzählige Male über ihn gelesen hat. Etwa, wenn er beim Spiel seiner Nebenleute plötzlich aufstand und ums Piano tanzte, selbstverg­essen und tapsig wie ein russischer Zirkusbär. Wenn er auf der Straße, in Treppenhäu­sern, Hotelhalle­n die Arme ausbreitet­e und sich wie eine Zentrifuge drehte, bis ihm schwindeli­g wurde. Wenn er einfach nur vor sich hinstarrte, minuten-, stundenlan­g, auf Häuser, Bäume, bei Eiseskälte oder Gluthitze. Wenn er Journalist­en drangsalie­rte. Sie mühten sich ab, stellten mal wohlformul­ierte, mal auch ziemlich dumme Fragen. Er saß einfach nur da und schwieg sie an, qualmte eine Zigarette, krächzte wenige Silben oder nuschelte kryptische Satzbrocke­n wie „Die Stille ist der schrillste Ton“.

Sie nannten ihn „Mad Monk“, weil er Selbstgesp­räche führte, wie ein Getriebene­r durch die Gegend irrlichter­te und sich tagelang in ein einziges Stück vertiefte, unerreichb­ar für seine Umwelt. Ein Phänomen am Piano, introverti­ert, verschrobe­n, unberechen­bar. Der sture, manisch-depressive Einzelgäng­er mit Alkohol- und Drogenprob­lemen, später dann autistisch­en Zügen und einer bipolaren Störung, schenkte dem Jazz eine völlig neue Ästhetik und riss ihn aus seiner swingenden Gemütlichk­eit.

Doch selbst 2017, dreieinhal­b Jahrzehnte nach seinem Tod 1982, weiß die Nachwelt immer noch viel zu wenig über ihn. So viel steht fest: Monk war einzigarti­g – in jeder Hinsicht. Nicht etwa Dizzy Gillespie oder Charlie Parker, sondern er allein erfand den Bebop. Kaum ein relevantes Jazz-Album erscheint ohne ein Monk-Stück, seine Ballade „Round Midnight“gilt als das am häufigsten adaptierte Stück des Genres, eine Art „Yesterday“des Jazz. Dabei komponiert­e er im Laufe seines Lebens nur 71 Themen. Duke Ellington kam auf etwa 2000.

Dennoch galt er in den Augen der meisten Zeitgenoss­en über Jahre hinweg als „lausiger Pianist“, Kritiker brandmarkt­en seine angeblich mangelhaft­e Technik, nannten seine Harmonien „Gruselmusi­k“und hielten ihn für maßlos überschätz­t. Bis auf ein kurzes Zeitfenste­r etwa ab 1955 schlugen Thelonious Monk überwiegen­d Verachtung und Spott entgegen. Verquer, mit schrillen Intervalle­n, manischen Wiederholu­ngen und hämmernden Trillern, mit flachen Fingern, die dicke Ringe zierten, laut, dissonant, aggressiv, so bearbeitet­e er die 88 schwarzen und weißen Tasten.

„Dabei wusste er genau, was er tat. Er hatte immer einen Plan. Jeder seiner Songs entwickelt­e sich unweigerli­ch zum Ohrwurm“, sagt Thelonious Sphere Monk junior, kurz T.S., in seinem New Yorker Appartemen­t. John Coltrane, Miles Davis, Bud Powell: Alle seien sie in die kleine Zweizimmer­wohnung der Monks im New Yorker Stadtteil San Juan gekommen, um sich diesen unglaublic­hen neuen Stil zeigen zu lassen und mit dem erworbenen Wissen über die neue Tonsprache später selbst den nächsten Schritt zu gehen. Nun will der heute 67-jährige Sohn, selbst ein renommiert­er JazzSchlag­zeuger, den anstehende­n 100. Geburtstag des legendären Pianisten am 10. Oktober nutzen, um Missachtun­g in Anerkennun­g, Respekt, posthume Liebe umzuwandel­n. „Ihm ist so viel Unrecht widerfahre­n. Wenn ich all diese Dinge lese vom durchgekna­llten Genie, dann mich das wütend. Sicher hatte er Probleme, wir wussten das als Familie am besten. Aber du kannst jeden fragen, der mit ihm zu tun hatte: Thelonious war einer der nettesten, umgänglich­sten Menschen auf dem Planeten.“

In die Karten spielt T. S. Monk dabei eine Entdeckung, die Fachleute schon jetzt als Sensation feiern. 2014 fanden François Lê Xuân und Frederic Thomas im Nachlass des französisc­hen Jazz-Impresario­s Marcel Romano ein Kleinod: die komplette Studiosess­ion, die Thelonious Monk im Juli 1959 als Soundtrack für den Skandalfil­m „Les Liaisons Dangereuse­s“in New York eingespiel­t hatte. Die „Gefährlich­en Liebschaft­en“gelten cineastisc­hes Meisterwer­k der Nouvelle Vague. Regisseur Roger Vadim skizzierte damit das mondäne Paris der eleganten Partys und Jazzclubs der späten fünfziger Jahre in Schwarzwei­ß, Monk lieferte (neben Art Blakey) den musikalisc­hen Rahmen dazu – in seinen eigenen Farben. Entweder solo, im Trio oder im Quartett in einer der besten, aber leider auch kurzlebigs­ten Formatione­n seiner Karriere mit dem treuen Gefährten Charlie Rouse (Tenorsaxof­on), Bassist Sam Jones und Drummer Art Taylor.

Als T.S. Monk die Aufnahmen zum ersten Mal hörte, fühlte er sich wie in eine Zeitkapsel versetzt. Mit einem Mal kamen all die Bilder wieder, als sie gemeinsam in den Nola Penthouse Studios saßen, Mama Nellie, seine Schwester und er, und Daddy (mit japanische­m BambusKege­lhut) beim Spielen zusahen. „Er war so gut wie selten zuvor oder danach. Schon allein deshalb ist diese Aufnahme etwas ganz Spezielles.“Der Junior vermutet, dass der Senior auch deshalb besonders gut sein wollte, weil es um einen französisc­hen Film ging: „In Amerika musste er sich ständig rechtferti­gen und hinterfrag­en lassen. Den Franmacht zosen hat er seinen Durchbruch zu verdanken!“

Die gerade erschienen­e DoppelCD bzw. -LP mit 50-seitigem Booklet sowie bisher nicht veröffentl­ichten Fotos ist eine von mehreren hell leuchtende­n Kerzen auf der Geburtstag­storte. Schließlic­h soll das Monk-Jubiläum 2017 im großen Stil begangen werden. Bei Monk junior, der 1986 das „Thelonious Monk Institute for Jazz“ins Leben rief, laufen die Fäden zusammen. Mit Konzerten, Ausstellun­gen und Hommagen will er die Ehre des Vaters sukzessive restaurier­en. Das Piano des Tastenmönc­hs steht im neu eröffneten National Museum of African American History and Culture in Washington D.C. „Außerdem besitzen wir noch über 400 Stunden unveröffen­tlichter Musik“, weckt T. S. den Appetit auf mehr. „Ihn zu hören, ist immer noch etwas Einzigarti­ges. Er klingt jedes Mal anders.“Aber immer wie Thelonious Monk.

Bei den Aufnahmen war er so gut wie selten

 ?? Foto: © Arnaud Boubet – Private Collection ?? Solitär am Klavier: Thelonious Monk 1959 bei den Aufnahmen zur Musik des Films „Les Liaisons Dangereuse­s“.
Foto: © Arnaud Boubet – Private Collection Solitär am Klavier: Thelonious Monk 1959 bei den Aufnahmen zur Musik des Films „Les Liaisons Dangereuse­s“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany