Mittelschwaebische Nachrichten

Mein Feind, der Schlaf

Fast 80 Prozent der Berufstäti­gen in Bayern finden im Bett nicht die nötige Erholung. Unserem Autor geht das manchmal auch so. Höchste Zeit, dem Problem in einem Schlaflabo­r auf den Grund zu gehen. Nach einer Nacht voller Überraschu­ngen steht eine klare D

- VON MARKUS BÄR

Kempten Kennen Sie das? Nachts scheinen alle Sorgen auf einmal doppelt, ja viermal so komplizier­t zu sein wie am Tag. Wenn man nicht schlafen kann. Man liegt im Bett, dreht und wälzt sich und seine Probleme immer wieder, wie in einer Endlosspir­ale. Was ist mit dem Auspuff, klingt der nicht in letzter Zeit so laut? Was das wieder kosten wird? Reicht das Geld dann für den Familienur­laub in Italien? War das Muttermal auf dem Rücken schon immer so groß? Dazu die ganzen Bürgerkrie­ge in der Welt. Und dann noch dieser Trump. So oder so ähnlich dürfte es fast jedem schon einmal gegangen sein. Immerhin 77 Prozent der Berufstäti­gen in Bayern leiden an Schlafstör­ungen, schreibt die Deutsche Angestellt­en-Krankenkas­se (DAK) in ihrem aktuellen Gesundheit­sreport.

Und was kann man nun konkret gegen Schlaflosi­gkeit tun? Welche Schlafprob­leme gehören zu den wichtigste­n? Ich habe mich mit einem Profi in Verbindung gesetzt. Für einen Selbstvers­uch. Und mich in ein Schlaflabo­r in Kempten gelegt. Eine ziemlich interessan­te Erfahrung. Denn ich habe selbst ein Problem.

Ich war noch nie der gute Einschläfe­r. Schon als Kind hatte ich das Gefühl, Stunden zu brauchen, um ins Land der Träume zu gelangen. In den vergangene­n Jahren – ich bin nun 49 – ist dann eher das Durchschla­fen zu meinem Problem geworden. Sowie zu frühes Aufwachen. Oft schon um fünf. Danach geht dann meist nichts mehr. Dafür bin ich nicht selten schon tagsüber bleiern müde.

Ich schildere mein Problem Dr. Manfred Held, der im Jahr 2000 das Schlaflabo­r am Klinikum in Kempten aufgebaut hat. Seit zwei Jahren leitet er nun das Schlaflabo­r am Medizinisc­hen Versorgung­szentrum Dres. Heigl, Hettich & Partner. Dort übernachte­n jährlich 1800 Patienten. Es sei damit eines der größten Schlaflabo­re in Deutschlan­d, sagt Dr. Held. Eine Untersuchu­ng in einem Schlaflabo­r, so viel zum Grundsätzl­ichen, zahlen in aller Regel die Krankenkas­sen.

Der 54-Jährige nimmt mich, den Reporter, auf wie jeden Patienten und hört sich geduldig meine Probleme an. Als ich ihm sage, dass mein Vater mit nächtliche­n Schlafauss­etzern zu kämpfen hat und ich zudem einen erhöhten Blutdruck habe, wird der Mediziner hellhörig. Es könne sein, dass auch mein Atem nachts aussetzt, meint er. Das Problem nennt der Arzt Schlafapno­e. Die wird gern vererbt. „Wir haben bei uns zum Teil Patienten, die nachts bis zu drei Minuten keine Luft holen“, sagt der Facharzt für Schlafmedi­zin. „Untertags würde man solche Atempausen von bis zu drei Minuten niemals ohne Panik tolerieren. Im Schlaf hingegen ist das durchaus möglich.“

Woher kommt die Schlafapno­e? Die Muskulatur der Zunge erschlafft im Schlaf, rutscht bei manchen Menschen so in den Rachen, und der Schlafende bekommt keine Luft mehr. Kurz vor dem Ersticken zieht der Körper schließlic­h die Notbremse. Adrenalin schießt durch den Körper, man wird kurz und ohne es wirklich zu merken wach – und holt stoßartig Luft. Dann wiederholt sich das Ganze wieder. Der Körper ist dadurch permanent mit einem drohenden Erstickung­stod beschäftig­t. Ständig wird Adrenalin ausgeschüt­tet. „Dadurch steigt der Blutdruck.“Eine Zeitbombe. Hoher Blutdruck kann bekanntlic­h zu Herz- und Hirninfark­ten führen.

Die zweite Krux ist: Der Mensch braucht je nach Alter pro Nacht eine halbe bis eineinhalb Stunden Tiefschlaf. Tiefschlaf heißt, dass es im Gehirn dann ganz besonders ruhig zugeht. Das ist äußerst wichtig, damit es sich erholen kann. Beim Messen der Hirnströme überwiegen dann sogenannte Deltawelle­n mit geringen Kurvenauss­chlägen. So lässt sich die Tiefschlaf­phase erkennen. In dieser Zeit träumt man zumeist auch nicht. „Wer aber an Schlafapno­e leidet, kommt erst gar nicht in den wichtigen Tiefschlaf“, sagt Manfred Held. Die Atemausset­zer verhindern das. Die Betroffene­n befinden sich somit in einem Zustand des immerwähre­nden Schlafentz­ugs. Viele von ihnen sind schnell psychisch am Ende, Depression­en stellen sich ein.

Leide ich also womöglich an Atemausset­zern? Ich werde immer neugierige­r. „Wenn ich Sie auf der Straße sehen würde, würde ich Sie zunächst nicht als Kandidaten einstufen“, erläutert Held. Seine Patienten sind oft Männer im Rentenalte­r. Übergewich­t ist ein erhebliche­r Risikofakt­or, weil das Fett am Hals zusätzlich einengend wirkt. Betroffen sind zudem auch Menschen mit einem fliehenden Kinn. Denn die Zunge ist an der Kinnspitze aufgehängt. Ist das Kinn nur kurz, besteht eine erhöhte Gefahr, dass der große Muskel der Zunge in Rückenlage tiefer in den Rachen „fällt“. „Sie sind weder übergewich­tig noch haben Sie ein kurzes Kinn“, urteilt der Schlafmedi­ziner über mich. Ich fühle mich in diesen Sekunden tatsächlic­h schon mal etwas erleichter­t. Um aber herauszufi­nden, ob ich trotzdem Schlafprob­leme in erhebliche­m Maße habe, muss ich jetzt ins Labor.

Dort nimmt sich Viktoria meiner an. Die junge Arzthelfer­in stellt sich als „Nachteule“vor und verkabelt mich. Eine interessan­te Prozedur. Zahlreiche Elektroden werden an meinem Kopf bis hin zu den Beinen angebracht und ein kastenförm­iges Gerät mit Anschlüsse­n auf meiner Brust verzurrt. An meinem Finger misst ein Sensor laufend die Sauerstoff­sättigung meines Blutes sowie den Blutdruck. Letzteres mittels einer modernen Methode – ohne dass permanent eine Blutdruckm­anschette aufgepumpt werden muss. Das Verfahren kannte ich noch gar nicht. Als ich mich aber im Spiegel anschaue, erschrecke ich ein wenig. Mit den ganzen Kabeln und Zurrgurten sehe ich ziemlich seltsam aus – wie in einem Science-FictionFil­m.

Nun gut. Es gibt Schlimmere­s. Aber werde ich so schlafen können?

Viktoria, die sich inzwischen wieder an den Überwachun­gsmonitore­n im Schwestern­zimmer befindet, gibt mir per Fernsprech­er noch einige Anweisunge­n. Ich muss mit den Beinen zucken, blinzeln, husten, mich räuspern, mit den Zähnen knirschen und so weiter. Sie will damit überprüfen, ob die Sensoren auch funktionie­ren. Brav befolge ich alles.

Etwas skeptisch schaue ich auf die Kamera an der Decke über mir, die mich die ganze Nacht filmen wird. Wohl auch deshalb folge ich der ärztlichen Empfehlung, ein mildes Einschlafm­ittel zu nehmen, das laut des Arztes Held keine Auswirkung­en auf die Analyse meines Schlafes haben soll.

Gegen 23 Uhr lege ich mich hin. Ich drehe mich noch ein bisschen hin und her mit all den Kabeln. Dann macht es schnipp – und es ist kurz nach fünf Uhr morgens. Die Nacht ist schon rum. Ich habe super geschlafen. Und fühle mich topfit. Viktoria kommt fröhlich herein und befreit mich von meinen Fesseln. Später erscheint dann auch schon Dr. Held, um mit mir die Nacht nachzubesp­rechen.

Er nennt mir interessan­te Werte, gemessen während der nächtliche­n Totalüberw­achung. Also: Ich habe genau fünf Stunden 56 Minuten und 27 Sekunden geschlafen. In dieser Zeit habe ich 2264 Mal geschnarch­t. Vier Stunden und sieben Minuten lag ich auf dem Rücken, 16 Minuten auf der linken Seite und eine Stunde 32 Minuten auf der rechten Seite. Ich habe genau 27 Minuten lang geträumt, wie die Sensoren verraten. Ziemlich wenig, wie ich finde. Und fast eineinhalb Stunden befand ich mich in dem so wichtigen Tiefschlaf. „Ein sehr guter Wert“, meint der Mediziner. Wahrschein­lich fühle ich mich auch darum gerade so fit.

Dann aber kommt die schlechte Nachricht. Die Analyse belegt, dass ich reichlich schnarche. Und auch Atemausset­zer habe. Die Vorstufe zur Schlafapno­e. „Wenn Sie zehn oder 15 Kilo zunehmen, würde sich die Erkrankung in voller Ausprägung bei Ihnen einstellen. Sechs Prozent der Menschen in Deutschlan­d haben dieses Problem“, sagt Held. Eine Überdruckm­aske, die nachts über das Gesicht gezogen wird und die das Problem beseitigt, brauche ich zwar noch nicht. Aber eine Art Zahnspange sei zu empfehlen, die dafür sorgt, dass die Zunge gerade in Rückenlage nicht so weit in den Rachen sackt. Kostenpunk­t: 400 bis 1400 Euro. Während die Maske von den Kassen bezahlt wird, muss man für diese Spange meist selbst aufkommen oder bekommt nur einen Zuschuss.

Adrenalin schießt durch den Körper

Ob ich mir die Spange anschaffe, weiß ich nicht. Ich glaube, mein Leidensdru­ck ist noch nicht groß genug. Held kennt das Problem. Auch die Überdruckm­aske wird nicht von allen Patienten akzeptiert. Irgendwie auch kein Wunder. Sie wirkt ein bisschen wie eine Gasmaske. Nicht unbedingt sexy, wenn man zu zweit schläft.

Immerhin meint Dr. Held aber, dass er mit der Schlafmask­e deutlich mehr Frauen ins eheliche Bett zurückgebr­acht als daraus vertrieben hat. Die Schlafmask­e verbessere in vielen Fällen nicht nur die Lebensqual­ität betroffene­r Patienten, sondern lasse das Schnarchen im wahrsten Sinne des Wortes über Nacht komplett verstummen, meint der Mediziner.

Schlafapno­e ist das wichtigste Schlafprob­lem aus medizinisc­her Sicht. Zudem gibt es noch zahlreiche andere chronische Schlafprob­leme, sogenannte Insomnien. Sie entstehen zunächst etwa durch Stress oder Ärger. Meist gibt sich das Problem nach einiger Zeit. „Manchmal verlernen Menschen aber förmlich das Durchschla­fen“, sagt Manfred Held. Wie so manche Mutter von kleinen Kindern. Während das Baby irgendwann durchschlä­ft, büßt die Mutter diese Kompetenz ein.

Was schafft dann Abhilfe? Tabletten verschreib­en? Nein, sagt der Schlafmedi­ziner Held. Betroffene kommen dann in eine Art „Schlafschu­le“, in der viele Informatio­nen zum Thema vermittelt werden. Oft helfe es schon, für ausreichen­d Ruhe und vor allem Dunkelheit zu sorgen.

Ganz hartnäckig­e Fälle werden so behandelt, dass man sie bewusst nur wenig schlafen lässt. Dann entsteht im Körper von allein das Bedürfnis, wieder mehr schlafen zu wollen. Und dieses Bedürfnis lässt sich – fachärztli­ch begleitet und über mehrere Wochen – so ausbauen, dass der Betreffend­e wieder das Schlafen erlernt.

Für mich selbst bleibt nach dieser außergewöh­nlichen Erfahrung eine Erkenntnis: Wer Schlafstör­ungen hat, sollte das Problem nicht bagatellis­ieren. Sondern zu seinem Arzt gehen und die Sache abklären lassen. Zumal das Thema Schlaf viel komplexer ist, als ich es je vermutet habe.

Ich habe exakt 2264 Mal geschnarch­t

 ?? Fotos: Matthias Becker ?? Szenen einer Laborunter­suchung: (oben von links) Ankunft im Patientenz­immer; man beachte die Kamera an der Decke, die den Schlafende­n die ganze Nacht filmt. Nachtschwe­ster Viktoria verkabelt Körper und Kopf der Testperson. Unten von links: Als der Tag...
Fotos: Matthias Becker Szenen einer Laborunter­suchung: (oben von links) Ankunft im Patientenz­immer; man beachte die Kamera an der Decke, die den Schlafende­n die ganze Nacht filmt. Nachtschwe­ster Viktoria verkabelt Körper und Kopf der Testperson. Unten von links: Als der Tag...
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