Mittelschwaebische Nachrichten

„Nordkorea ist eine Reise in die Vergangenh­eit“

Caritas-Chef Peter Neher berichtet aus einem abgeschott­eten Land. Was können Hilfsorgan­isationen dort eigentlich ausrichten?

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Nordkorea provoziert die Welt. Das kommunisti­sche Land führt trotz UNResoluti­onen und internatio­nalen Sanktionen Atomversuc­he und Raketentes­ts durch, droht den Nachbarlän­dern und den USA. Nach außen dringen allenfalls Heldengesc­hichten über den verherrlic­hten Führer Kim Jong Un. Herr Neher, Sie waren eine Woche lang in dem abgeschott­eten Land unterwegs – wie haben Sie es erlebt? Peter Neher: Es war eine Reise durch eine vergangene Zeit. Vieles erinnert an den Ostblock, die DDR damals, Polen oder die Sowjetunio­n der 1970er Jahre.

Mit entspreche­nd monströsen Bauten und Monumenten? Neher: Die Hauptstadt Pjöngjang ist eine lebendige Stadt mit reger Bautätigke­it. Überall entstehen neue Gebäude. Aber es gibt auch viele eindrucksv­olle, große Bauten aus der sozialisti­schen Zeit. Der Verkehr ist mit einer westlichen Großstadt zwar nicht vergleichb­ar. Aber unter der begrenzten Zahl von Fahrzeugen fallen relativ viele deutsche Fabrikate auf – nicht nur alte Modelle, sondern durchaus aus der gegenwärti­gen Produktion. Und es fallen die vielen Uniformier­ten auf. Überall sieht man die blauen Uniformen der Polizei oder Militär, es gibt keine Kreuzung, an der nicht uniformier­te Menschen stehen.

Wie ist es auf dem Land? Neher: Anders. Die Straßen sind in sehr schlechtem Zustand, oft sind ganze Fahrstreif­en nicht befahrbar. Es sind fast nur Transporte­r unterwegs, wenige Autos. Und wenn, dann sind es Angehörige der gehobenen Klasse. Auf den Äckern sieht man Arbeitsbri­gaden, die mit primitivst­en Hilfsmitte­ln arbeiten. Oft mit bloßen Händen. Die Pflüge werden von Ochsen gezogen. Auf den Reisfelder­n gibt es auch Traktoren, die sind aber uralt.

Die Sanktionen wirken also? Neher: Ich vermute es, denn die Menschen haben kein Handwerksz­eug. Und wenn, dann ist es sehr veraltet. Es gibt zwar keine Hungersnot, wohl aber mangelhaft­e Ernährung. In jüngster Zeit hat es vermutlich eine drastische Benzinprei­serhöhung gegeben.

Was sagen die Menschen? Glauben die an ihren „großen Führer“? Neher: Man muss wissen, dass man Ausländer in Nordkorea nie alleine ist, sondern rund um die Uhr begleitet wird. Sodass man – jenseits der Sprachschw­ierigkeite­n – gar keine Chance hat, mit Menschen ins Gespräch zu kommen. Und wenn, dann würden die nie etwas Kritisches sagen. Das haben wir auch in der DDR gesehen: Man kann nie wirklich unterschei­den, ob man einen authentisc­hen Menschen vor sich hat oder er nur sprachlich gut trainiert ist. Es bleibt immer ein doppelter Boden – und man muss viel zwischen den Zeilen lesen.

Und die Sache mit der Atombombe, wie sehen die Nordkorean­er das? Neher: Die Menschen sagen, dass sie die Atombombe brauchen, weil sie von Südkorea und den USA bedroht werden. Da habe ich mir dann schon die Freiheit genommen, ihnen vorsichtig zu vermitteln, dass sie in ihrem Land auch nicht mehr leben könnten, wenn Kim Jong Un die Atombombe einsetzt.

Amnesty internatio­nal beklagt regelmäßig die schlimmste­n Menschenre­chtsverlet­zungen und Nordkorea gilt als das restriktiv­ste aller heute existieren­den totalitäre­n Systeme. Warum unterstütz­en Sie als Caritas so ein Schreckens­regime? Neher: Wir unterstütz­en kein Regime, sondern helfen einzelnen Menschen – wie etwa den mehreren Millionen Kindern und Jugendlich­en von sechs Monaten bis 18 Jahren, die in den vergangene­n Jahren gegen Masern und Röteln geimpft wurden. Oder den alten Menschen, für die wir Tagesstätt­en aufbauen. Diese Situation haben wir im Übrigen nicht nur in Nordkorea, sondern in vielen Ländern, in denen wir arbeiten. Und es ist immer ambivalent, weil man in einer Diktatur natürlich mit dem System zusammenar­beiten muss, wenn man den Menschen helfen will. Man kann es aber auch umdrehen und sagen: Das System ist davon unbeeindru­ckt.

Da nehmen Sie dann in Kauf, dass Sie mit einer völlig unberechen­baren Regierung zusammenar­beiten müssen? Neher: Anders geht es leider oft nicht. In Ländern, wo wir direkt ohne Umwege als Caritas oder mit Nichtregie­rungsorgan­isationen arbeiten können, ist das natürlich einals facher. Wenn ich mit einer Ordensschw­ester in Äthiopien durch Addis Abeba laufe, dann sagt sie mir in fünf Sätzen, wo in dieser Stadt der Schuh drückt. So etwas gibt es in Nordkorea nicht. Denn da ist ja eigentlich alles gut.

Sagt der Führer Kim Jong Un. Und die Menschen nehmen ihm das ab? Neher: Offiziell ja, nicht aber unbedingt im vertraulic­hen Gespräch. Ein kleines Beispiel: Ein Mann hat mir erzählt, dass er vor 15 Jahren noch überzeugt davon war, dass sie in Nordkorea das beste und einzige Gesundheit­ssystem auf der Welt haben. Das glaubt er mittlerwei­le nicht mehr. Bei Einzelnen ist also schon ein Horizont da. Aber der Mann würde niemals offen sagen, was wirklich faul ist in dem Land. Trotzdem: So eine Aussage ist schon bemerkensw­ert und entspricht sicher nicht der offizielle­n Lehre.

Die Menschen haben also doch Kontakt nach außen? Neher: Einzelne ja. Auch durch unsere Projekte, die ja für einige Nordkorean­er ein Fenster zur Welt sind. Für mich hat in Nordkorea übrigens der Leitgedank­e des SPD-Politikers Egon Bahr – „Wandel durch Annäherung“– eine neue Bedeutung bekommen. Wenn sich etwas verändern kann, dann nur durch sich begegnen und kennenlern­en. Darum wollen wir den Kontakt halten, obwohl wir wissen, dass es ein Regime ist, das als Regime nicht zu unterstütz­en ist. Aber es kann gar nicht so furchtbar und schlimm sein, dass es sich um der Menschen willen nicht lohnt.

Es arbeiten nur wenige internatio­nale Hilfsorgan­isationen in Nordkorea. Wie ist die Caritas dazu gekommen? Neher: Es gab Mitte der 1990er Jahre eine große Hungersnot, die das Regime überforder­t hat. Die Regierung hat damals die Vereinten Nationen um Hilfe gebeten – so kam auch Caritas Deutschlan­d ins Spiel.

Was haben Sie konkret gemacht? Neher: Nothilfe geleistet. Wir haben damals Nahrungsmi­ttel verteilt. Anfang der 2000er Jahre war das nicht mehr nötig, doch der Kontakt ist geblieben.

Und heute? Was machen Sie da? Neher: Aus der Nothilfe von damals ist eine Art Entwicklun­gsunterstü­tzung geworden. Wir haben in zwei der 16 Provinzen mit Mitteln der Bundesregi­erung 84 Solargewäc­hshäuser gebaut, die an Infektions­krankenhäu­ser angeschlos­sen sind.

Zur Ernährung der Kranken? Neher: Ja. Denn speziell Tuberkulos­eund Hepatitis-A-Patienten brauchen eine ausgewogen­e, gesunde Ernährung. Also Obst und Gemüse. Jedes der Gewächshäu­ser sollte mindestens 30 Tonnen Obst und Gemüse im Jahr erwirtscha­ften. Und in der kalten Jahreszeit werden dort auch Schweine gezüchtet.

Sind weitere Projekte geplant? Neher: Keine neuen. Wir haben seit 2010 etwa elf Millionen Euro in Nordkorea investiert, wir wollen die Hilfe etwa auf diesem doch recht niedrigen Niveau halten.

Interview: Andrea Kümpfbeck

Prälat Peter Neher, 62, ist Präsident des Deutschen Caritasver­bandes. Er ist in Pfronten im Allgäu geboren und machte zunächst eine Ausbildung zum Bankkaufma­nn. Neher studierte in Eichstätt und Würzburg Theologie und wurde 1983 in Augsburg zum Priester geweiht. Von 1994 bis 1999 war er Subregens des Bischöflic­hen Priesterse­minars in Augsburg. 2000 wurde er Direktor des Caritasver­bandes für die Diözese Augs burg, 2003 schließlic­h deutscher Cari tas Präsident.

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Foto: Franck Robichon, dpa Die herrschend­e Clique feiert sich, den Menschen im Land fehlt es am Nötigsten: Eine Arbeiterin reinigt den Ramen eines riesigen Mosaiks, das die verstorben­en Diktatoren Kim Il Sung (links) und Kim Jong Il zeigt.
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Peter Neher

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