Mittelschwaebische Nachrichten

Merkels Testlauf in Trudering

Die Kanzlerin im bayerische­n Bierzelt. Erst gibt es „Hau ab“-Rufe vor der Tür. Dann viel Applaus für das Thema Europa. Und schließlic­h zitiert der Gast sogar eine CSU-Legende

- VON HENRY STERN

München Von Taormina nach Trudering ist es ein weiter Weg. Für Bundeskanz­lerin Angela Merkel gilt dies an diesem Sonntagmit­tag nicht nur räumlich: Tags zuvor war sie noch auf dem G7-Gipfel auf Sizilien gewesen, hatte dort die großen Themen der Welt mit den Wichtigen und Mächtigen diskutiert.

Einen Tag später steht ein Bierzelt-Auftritt auf einem Mini-Volksfest im kargen Münchner Osten auf dem Programm. Autohäuser, Tankstelle­n, Schnellres­taurants prägen die Nachbarsch­aft. „Gartenstad­t“nennt sich der Münchner Stadtteil Trudering hochtraben­d – weil es noch ein paar übrig gelassene Wiesen gibt und ein paar Reihenhäus­er.

Für Merkel ist es eine Art Wahlkampfa­uftakt. Und wohl auch ein Testlauf für die Parteistra­tegen in CDU und CSU, wie es denn so klappt mit der Kanzlerin und den CSU-Anhängern in Bayern. Nach dem ganzen Streit um die Asylpoliti­k und Obergrenze­n, auch den gegenseiti­gen Demütigung­en von Merkel und CSU-Chef Horst Seehofer, den vielen Schlagzeil­en über das vermeintli­ch zerrüttete Verhältnis der beiden.

Dass Merkel der Termin wichtig ist, zeigt sich allein daran, dass sie nach der Absage des Auftritts wegen des Terroransc­hlags von Manchester nur fünf Tage später nach Trudering gekommen ist. „Wir hätten verstanden, wenn unsere Kanzlerin nach den Treffen mit dem amerikanis­chen Präsidente­n eine Erholungsp­ause eingelegt hätte“, sagt Seehofer mit einem typischen Seehofer-Witz.

Merkel scheint tatsächlic­h Spaß zu haben – selbst an Seehofers Witzchen. Wenn man sich die letzten Tage mit dem türkischen und dem amerikanis­chen Präsidente­n herumgesch­lagen habe, erscheine ein Termin mit Horst Seehofer wohl plötzlich wie ein Wellness-Tag, scherzt einer aus dem CSU-Team.

Dass die Zeit bis zum Wahltag am 24. September für Merkel aber wohl kein Wellness-Wahlkampf werden wird, zeigt sich auch in Trudering: Lautstarke Demonstran­ten von der AfD und von ganz rechts außen sind gekommen. Sie strecken Merkel Mittelfing­er entgegen und rufen „Hau ab“und „Lüge, Lüge“. Von solchen Zwischenfä­llen abgesehen läuft der Truderinge­r Testlauf für Merkel aber ganz gut. Der Applaus für die Kanzlerin ist groß. Seehofer hält sich lammfromm an die Schultersc­hluss-Vorgabe. Die Bayern – also auch er – seien ohnehin „prinzipiel­l ein friedferti­ges Volk“. Und Deutschlan­d gehe es dank Merkel „so gut wie nie zuvor in seiner Geschichte“. Merkel will nicht nachstehen: „Ich hole mir Rat bei Franz Josef Strauß, da bin ich auf der richtigen Seite“, schmeichel­t sie und zitiert den CSU-Urvater: „Dankbar rückwärts, mutig vorwärts, gläubig aufwärts.“In dieser Weisheit finde auch sie sich politisch wieder.

Der Streit mit der CSU um die Flüchtling­spolitik 2015? „Das war eine Sondersitu­ation“, wischt Merkel das Thema vom Tisch. Überhaupt habe man längst viel „geändert und gesteuert“. Das muss reichen an Kanzlerinn­en-Demut für ein bayerische­s Bierzelt. Lieber spricht Merkel über die innere Sicherheit – da könne Deutschlan­d noch viel von Bayern lernen. Der größte Applaus brandet im Bierzelt aber auf, als Merkel vom „Schatz Europa“spricht: Es lohne sich doch, „für dieses Europa des Friedens und der Freiheit zu kämpfen“, ruft sie der jubelnden Menge zu. Vielleicht ist Trudering ja doch gar nicht so weit von Taormina.

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Foto: S. Hoppe, dpa CSU Chef Horst Seehofer und Kanzlerin Angela Merkel im Bierzelt.

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