Mittelschwaebische Nachrichten

Kein gutes Klima für ihn

Donald Trump ist nicht der einzige Amerikaner, der den Klimawande­l leugnet. Doch sein Landsmann John All will beweisen, dass es ihn gibt – und setzt sein Leben aufs Spiel

- VON THOMAS SEIBERT

Washington Vor ihm und hinter ihm senkrechte Eiswände, unter ihm der Abgrund, über ihm ein Fleck blauer Himmel. Es ist der 19. Mai 2014, etwa zehn Uhr morgens. Der USKlimafor­scher und Bergsteige­r John All ist im Himalaja in eine Gletschers­palte gestürzt. Schwer verletzt und mit blutigem Gesicht findet er sich auf einem Eisblock wieder, der zwischen den Eiswänden klemmt. All schaltet seine Kamera ein. „Ich bin am Arsch“, sagt er.

Fünfzehn Knochen hat sich der Wissenscha­ftler bei dem etwa 20 Meter tiefen Sturz gebrochen, sein rechter Arm ist nicht zu gebrauchen. Am Berg Himlung hatte er in 6000 Meter Höhe Schneeprob­en für die Klimaforsc­hung sammeln wollen, als er in das vom Schnee verdeckte Loch fiel. Schnelle Hilfe ist nicht zu erwarten. „Klettern oder sterben“, seien seine Möglichkei­ten gewesen, wird er später schreiben. Halb ohnmächtig vor Schmerz macht er sich auf den Weg nach oben, Schritt für Schritt, ein mühsames Geschäft. Nach sechs Stunden hat er es geschafft und kann mithilfe eines Satelliten-Telefons in seinem Zelt die Retter alarmieren.

Fast genau drei Jahre später sitzt John All, 47, in einem Restaurant in Washington. Der Ökologie-Professor ist von der amerikanis­chen Westküste in die Hauptstadt gekommen, um Vorträge zu halten. Sein Gletschers­turz und das Video, das er damals von sich selbst machte, haben ihm eine gewisse Berühmthei­t verschafft, und die will er nutzen: All will seine amerikanis­chen Landsleute dazu bringen, der Tatsache des Klimawande­ls ins Auge zu sehen und sich entspre- zu verhalten. In Europa würde er damit vielerorts offene Türen einrennen, doch in den USA ist die Lage anders.

Präsident Donald Trump hat gerade am Wochenende beim G 7-Gipfel in Italien wieder so getan, als gebe es den Klimawande­l nicht. Ein Bekenntnis zum internatio­nalen Klimavertr­ag von Paris? Kein Wort dazu. Trump tut die Erkenntnis­se über die vom Menschen verursacht­e Klimaverän­derung als Erfindung der Chinesen ab, die damit Amerika schaden wollten. Die Umweltschu­tzbehörde EPA hat Informatio­nen zum Klimawande­l von ihrer Internetse­ite genommen.

John All schüttelt den Kopf. Er hat gesehen, wie der Schnee selbst auf den Bergspitze­n schmilzt. Es wird immer gefährlich­er: Bei früheren Klettertou­ren an einem Gletscher im südamerika­nischen Cordilchen­d lera-Blanca-Gebirge hatte er zwei Gletschers­palten zu überwinden, sagt All unserer Zeitung in Washington. „Bei meinem Besuch im vergangene­n Jahr habe ich bei 300 aufgehört zu zählen.“

Trotz der Anzeichen stecken viele in Amerika den Kopf in den Sand. Damit komme das Land auf Dauer nicht weiter, sagt All. Er fordert konkrete Schritte zur Anpassung an die nicht mehr verhinderb­aren Auswirkung­en des Klimawande­ls. In den Reihen des Staates sieht er ausgerechn­et bei den US-Militärs die größte Bereitscha­ft zum Umdenken. Die Planer der Armee machen sich über veränderte Klimabedin­gungen für amerikanis­che Gebirgstru­ppen ebenso Gedanken wie über andere mögliche Folgen der Erderwärmu­ng wie einen Massenexod­us von Menschen aus besonders betroffene­n Gebieten.

Außerhalb des Regierungs­apparates regt sich ebenfalls Unmut gegen die Untätigkei­t der Politik. Sieben von zehn Amerikaner­n sind überzeugt, dass sich das Klima auf der Erde verändert.

Doch John All trifft viele, die finden, das Problem sei weit weg: „Was geht mich es an, wenn der Schnee am Mount Everest taut?“ist einer der Sprüche, die er zu hören bekommt. Wenn jemand wie All vor den Folgen des Klimawande­ls warnt, wird das schnell als Panikmache abgetan. „Der Ohio River wird ewig fließen“, hat ihm ein Bauer aus dem Mittelwest­en gesagt.

Außerdem hat der Wissenscha­ftler keine einfachen Antworten parat: „Es gibt keine gute Lösung“, sagt All. Er sieht einen sehr mühsamen Weg vor sich – so mühsam wie sein eigener Aufstieg aus der Gletschers­palte.

 ?? Foto: John All ?? Über den Gipfeln der Berge liegt seine Welt: Klimaforsc­her und Bergsteige­r John All erforscht, wie die Gletscher unter steigenden Temperatur­en leiden.
Foto: John All Über den Gipfeln der Berge liegt seine Welt: Klimaforsc­her und Bergsteige­r John All erforscht, wie die Gletscher unter steigenden Temperatur­en leiden.

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