Mittelschwaebische Nachrichten
Alleinerziehend allein gelassen
Wie sich eine Frau sozial und finanziell ausgegrenzt fühlt – und welche Angebote es im Landkreis gibt
Günzburg Nennen wir sie Nadine. Ihren richtigen Namen möchte die Frau, sie ist Mitte 30 und lebt im nördlichen Landkreis Günzburg, lieber nicht hier stehen sehen. Ihre Erfahrungen sollen aber möglichst viele lesen, damit sich etwas ändert, so hofft sie. Nadine ist alleinerziehend und fühlt sich damit ziemlich alleine gelassen. Obwohl in der Region mit Hilfe bei der Kinderbetreuung geworben werde, sei eine flexible Unterstützung nicht zu bekommen. Tagesmütter? Zu den von ihr benötigten Zeiten ausgebucht. Jemand, der ehrenamtlich aufs Kind aufpasst? Gebe es nicht. „Es muss für eine gute Kinderbetreuung gesorgt werden, damit die Frauen auf die Füße kommen“, sagt sie.
Früher, da habe sie ordentlich verdient, erzählt Nadine, dank ihrer Tätigkeit im Außendienst. Sie war regelmäßig im Urlaub und leistete sich eine Eigentumswohnung, „mir ging’s gut“. Finanziell habe sich das mit der Geburt ihres Kindes geändert. Verdiente sie früher 2300 Euro netto, so sind es jetzt für eine halbe Stelle noch 1070 Euro. Hinzu kommen 246 Euro Unterhalt und 190 Euro Kindergeld. „Ich würde gerne flexibel mehr arbeiten“, aber da mache ihr Arbeitgeber nicht mit. Auf ihre vier bis fünf Bewerbungen habe sie nur Absagen bekommen, „das liegt sicher an meiner Situation“. Wieder in Vollzeit zu arbeiten, sei auch gar nicht machbar, aber auch die eher realistischen 30 Stunden seien nicht möglich, in den Außendienst zurückzukehren schon gar nicht. Sie will für ihr Kind da sein, aber sie müsse ja auch Geld verdienen. Beides zu vereinen sei schwierig. Ihre Mutter könne sich auch nicht ständig kümmern.
Alleinerziehend sein wollte Nadine nie. Aber es kam anders. Dass der Vater ihres Kindes eine Affäre hatte, kam erst später raus. Da wollte sie das Baby eigentlich abtreiben lassen, aber das war in Deutschland zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Es entwickelte sich eine On-Off-Beziehung, mal kamen sie wieder zusammen, mal gingen sie wieder auseinander. Zehn Monate nach der Geburt des Kindes habe sie ihn dann endgültig rausgeworfen. Wie sie erst spät herausfand – „er ist ein Blender“–, sei er schon sein ganzes Leben lang kriminell. Die Behörden unternehmen nach ihren Worten aber nicht genug gegen ihn, abgeschoben worden sei der türkische Staatsbürger auch nicht. Sie hat nun Angst, dass er seinem Kind etwas antut, um sie zu verletzen, deshalb darf er es auch nur eine Stunde in der Woche sehen, wenn jemand da- bei ist. Die Termine habe er aber öfters platzen lassen und dabei gelogen. Er habe sie verfolgt, sei aggressiv geworden, es sei schon in Richtung Stalking gegangen. Polizei, Gericht, Jugendamt und Kinderschutzbund seien informiert, geändert habe sich nichts. „Irgendwann wird er wieder vor der Tür stehen.“Sie ist verzweifelt und würde am liebsten umziehen, aber dass sie woanders einen Job und eine Wohnung bekommt, glaubt sie nicht.
Alexandra Führer von der Beratungsstelle für Alleinerziehende im Landratsamt sieht die grundsätzliche Situation etwas differenzierter. Seit dem Jahr 2010 gibt es das Büro, vorher habe es keine speziellen Angebote in dieser Art gegeben. Seit 2011 gibt es zusätzlich einen Alleinerziehenden-Treff in Günzburg, ab Oktober wird auch wieder einer in Krumbach angeboten. Zahlen, wie viele Kinder bei nur einem Elternteil aufwachsen, gibt es nicht. Aber beim Jobcenter sind im vergangenen Jahr knapp 250 alleinerziehende Bedarfsgemeinschaften registriert gewesen. Dort gibt es auch eine eigene Mitarbeiterin dafür. Die Themen Finanzen, Scheidung, Trennung und Kinderbetreuung sind die Hauptanliegen, mit denen sich jemand an Alexandra Führer wendet. Der Krippenbereich im Kreis sei sehr gut ausgebaut, sodass der berufliche Wiedereinstieg einfacher geworden sei – aber beispielsweise auch in Günzburg werden, wie berichtet, Plätze in Betreuungseinrichtungen knapp. Gerade im Hortbereich gebe es Nachholbedarf mit nur fünf solchen Einrichtungen im Kreis. Auch bei der Ferienbetreuung müsse mehr getan werden. Hingegen sei der Ganztagsbereich gut ausgebaut. Dass auch Asylbewerber Plätze für ihre Kinder brauchen, habe die Situation aber grundsätzlich erschwert, sagt Führer, außerdem benötigten auch berufstätige Mütter, die einen Partner haben, einen Betreuungsplatz fürs Kind. „Viele Alleinerziehende schaffen aber den Spagat zwischen Kind und Beruf, auch weil viele Arbeitgeber flexibler geworden sind.“
Nadine empfindet das anders. Sie fühlt sich auch zunehmend sozial ausgegrenzt, weil sie wegen des Kinds kaum noch etwas mit Freunden unternehmen könne, ganz abgesehen vom fehlenden Geld. Die meisten ihrer Freundinnen hätten keine Kinder, „ich bin bestimmt ein abschreckendes Beispiel“. Alexandra Führer hat das in dieser Intensität noch nicht gehört, „man ist in der Gesellschaft als Alleinerziehende auch nicht gebrandmarkt“. Eine soziale Isolierung hänge stark vom eigenen Umfeld und der eigenen Einstellung ab. Aber da Frauen generell weniger verdienen, seien sie hier benachteiligt, weshalb eine gute Ausbildung für sie besonders wichtig sei. Ein Problem bleibe aber der Wohnungsmarkt – und dass viele Tagesmütter ausgebucht seien.
Das findet auch Heidi Steinau, die sich im Landratsamt um diesen Bereich kümmert. „Tagesmütter verdienen viel zu wenig, dabei sind die Anforderungen an ihre Qualifikation sehr hoch.“Zwischen 4,40 und 5,10 Euro liege der Stundenlohn pro Kind, da „gehen die Bewerbungen zurück“, auch weil es nicht lukrativ sei, nur an Tagesrandzeiten zu arbeiten. Die Krippen seien zudem eine große Konkurrenz. Marita Helferich aus Burgau ist Tagesmutter und sie macht ihre Arbeit gern, „aus innerer Überzeugung“. Angesichts dessen, dass sie mit 1,82 Euro pro Stunde und Kind angefangen hat, habe sich schon einiges gebessert, sie verdient zwischen fünf und sechs Euro. Für Alleinerziehende zu arbeiten sei nicht leicht, „weil man da selbst sehr flexibel sein muss“. Doch die 52-Jährige ist bevorzugt für sie da, „weil sie meist dringend Hilfe brauchen und sonst viele ihren Beruf nicht ausüben könnten“. Helferich ist bis 2019 ausgebucht.
Hilfe wird auch durch das Freiwilligenzentrum Stellwerk vermittelt, wo es Projekte wie die Jobmentoren oder die Nachbarschaftshilfe gibt. Die Schwierigkeit ist aber, dass Helfer und Klienten zusammenpassen müssen, was nicht immer der Fall sei. Ehrenamtliche zu finden, die jeden Tag zur selben Zeit da sein können, sei ebenfalls schwierig, sagen Inge Schmidt und Maria Granz vom Stellwerk. Abgesehen davon, dass Ehrenamtliche nicht für die Kinderbetreuung Ausgebildete ersetzen können. Eher könne es darum gehen, jemanden zu vermitteln, der für einen freien Nachmittag aufs Kind aufpasst. Aber sie versuchen immer, Hilfe zu bieten und ein Angebot zu machen, „und die Situation kann nach einem Monat schon wieder ganz anders aussehen“.
Auch der Kinderschutzbund sieht ein großes Angebot an Hilfen, dennoch „gibt es für Alleinerziehende einen finanziell heftigen Kreislauf aus wenig Zeit und wenig Geld“, sagt Geschäftsführerin Dorothea Gimpert. Schwierig ist auch, sagt Silvia Schreiner-Metzele, dass Personalschlüssel und Zeiten bei der Ganztagsbetreuung nicht stimmten. Mit speziellen Paten versuchen Kinderschutzbund und Kreis, Familien ehrenamtliche Begleiter zur Seite zu stellen, im Juni, Juli und September gibt es wieder Schulungen für Interessierte. Angebote gibt es also viele in der Region. Aber oft passen sie nicht zur Situation derer, die sie brauchen, findet Mathias Stegmiller vom Familienstützpunkt Burgau. Wartezeiten seien gerade für Alleinerziehende ein Problem, denn Zeit hätten sie meist nicht. „Und es gibt so viele Angebote in der Region, dass manche von dieser Vielfalt vielleicht auch überfordert sind.“Und Treffs, bei denen sie sich austauschen können, würden nur dann angenommen, wenn sie sich konkrete Hilfe davon versprechen. Nadine jedenfalls hofft, dass es künftig mehr Betreuungsmöglichkeiten gibt. „Ich würde für mein Kind sterben, es gibt mir Mut und Sinn im Leben. Aber es ist eine Riesenbelastung.“
Hilfen Die Beratungsstelle im Land ratsamt ist zu erreichen unter Telefon 08221/95 172, der Kinderschutzbund unter 08221/2785901, das Stellwerk unter 08221/9301010 und die Familien stützpunkt Koordinationsstelle unter der Telefonnummer 08221/95866.