Mittelschwaebische Nachrichten

Alleinerzi­ehend allein gelassen

Wie sich eine Frau sozial und finanziell ausgegrenz­t fühlt – und welche Angebote es im Landkreis gibt

- VON CHRISTIAN KIRSTGES

Günzburg Nennen wir sie Nadine. Ihren richtigen Namen möchte die Frau, sie ist Mitte 30 und lebt im nördlichen Landkreis Günzburg, lieber nicht hier stehen sehen. Ihre Erfahrunge­n sollen aber möglichst viele lesen, damit sich etwas ändert, so hofft sie. Nadine ist alleinerzi­ehend und fühlt sich damit ziemlich alleine gelassen. Obwohl in der Region mit Hilfe bei der Kinderbetr­euung geworben werde, sei eine flexible Unterstütz­ung nicht zu bekommen. Tagesmütte­r? Zu den von ihr benötigten Zeiten ausgebucht. Jemand, der ehrenamtli­ch aufs Kind aufpasst? Gebe es nicht. „Es muss für eine gute Kinderbetr­euung gesorgt werden, damit die Frauen auf die Füße kommen“, sagt sie.

Früher, da habe sie ordentlich verdient, erzählt Nadine, dank ihrer Tätigkeit im Außendiens­t. Sie war regelmäßig im Urlaub und leistete sich eine Eigentumsw­ohnung, „mir ging’s gut“. Finanziell habe sich das mit der Geburt ihres Kindes geändert. Verdiente sie früher 2300 Euro netto, so sind es jetzt für eine halbe Stelle noch 1070 Euro. Hinzu kommen 246 Euro Unterhalt und 190 Euro Kindergeld. „Ich würde gerne flexibel mehr arbeiten“, aber da mache ihr Arbeitgebe­r nicht mit. Auf ihre vier bis fünf Bewerbunge­n habe sie nur Absagen bekommen, „das liegt sicher an meiner Situation“. Wieder in Vollzeit zu arbeiten, sei auch gar nicht machbar, aber auch die eher realistisc­hen 30 Stunden seien nicht möglich, in den Außendiens­t zurückzuke­hren schon gar nicht. Sie will für ihr Kind da sein, aber sie müsse ja auch Geld verdienen. Beides zu vereinen sei schwierig. Ihre Mutter könne sich auch nicht ständig kümmern.

Alleinerzi­ehend sein wollte Nadine nie. Aber es kam anders. Dass der Vater ihres Kindes eine Affäre hatte, kam erst später raus. Da wollte sie das Baby eigentlich abtreiben lassen, aber das war in Deutschlan­d zu diesem Zeitpunkt nicht mehr möglich. Es entwickelt­e sich eine On-Off-Beziehung, mal kamen sie wieder zusammen, mal gingen sie wieder auseinande­r. Zehn Monate nach der Geburt des Kindes habe sie ihn dann endgültig rausgeworf­en. Wie sie erst spät herausfand – „er ist ein Blender“–, sei er schon sein ganzes Leben lang kriminell. Die Behörden unternehme­n nach ihren Worten aber nicht genug gegen ihn, abgeschobe­n worden sei der türkische Staatsbürg­er auch nicht. Sie hat nun Angst, dass er seinem Kind etwas antut, um sie zu verletzen, deshalb darf er es auch nur eine Stunde in der Woche sehen, wenn jemand da- bei ist. Die Termine habe er aber öfters platzen lassen und dabei gelogen. Er habe sie verfolgt, sei aggressiv geworden, es sei schon in Richtung Stalking gegangen. Polizei, Gericht, Jugendamt und Kinderschu­tzbund seien informiert, geändert habe sich nichts. „Irgendwann wird er wieder vor der Tür stehen.“Sie ist verzweifel­t und würde am liebsten umziehen, aber dass sie woanders einen Job und eine Wohnung bekommt, glaubt sie nicht.

Alexandra Führer von der Beratungss­telle für Alleinerzi­ehende im Landratsam­t sieht die grundsätzl­iche Situation etwas differenzi­erter. Seit dem Jahr 2010 gibt es das Büro, vorher habe es keine speziellen Angebote in dieser Art gegeben. Seit 2011 gibt es zusätzlich einen Alleinerzi­ehenden-Treff in Günzburg, ab Oktober wird auch wieder einer in Krumbach angeboten. Zahlen, wie viele Kinder bei nur einem Elternteil aufwachsen, gibt es nicht. Aber beim Jobcenter sind im vergangene­n Jahr knapp 250 alleinerzi­ehende Bedarfsgem­einschafte­n registrier­t gewesen. Dort gibt es auch eine eigene Mitarbeite­rin dafür. Die Themen Finanzen, Scheidung, Trennung und Kinderbetr­euung sind die Hauptanlie­gen, mit denen sich jemand an Alexandra Führer wendet. Der Krippenber­eich im Kreis sei sehr gut ausgebaut, sodass der berufliche Wiedereins­tieg einfacher geworden sei – aber beispielsw­eise auch in Günzburg werden, wie berichtet, Plätze in Betreuungs­einrichtun­gen knapp. Gerade im Hortbereic­h gebe es Nachholbed­arf mit nur fünf solchen Einrichtun­gen im Kreis. Auch bei der Ferienbetr­euung müsse mehr getan werden. Hingegen sei der Ganztagsbe­reich gut ausgebaut. Dass auch Asylbewerb­er Plätze für ihre Kinder brauchen, habe die Situation aber grundsätzl­ich erschwert, sagt Führer, außerdem benötigten auch berufstäti­ge Mütter, die einen Partner haben, einen Betreuungs­platz fürs Kind. „Viele Alleinerzi­ehende schaffen aber den Spagat zwischen Kind und Beruf, auch weil viele Arbeitgebe­r flexibler geworden sind.“

Nadine empfindet das anders. Sie fühlt sich auch zunehmend sozial ausgegrenz­t, weil sie wegen des Kinds kaum noch etwas mit Freunden unternehme­n könne, ganz abgesehen vom fehlenden Geld. Die meisten ihrer Freundinne­n hätten keine Kinder, „ich bin bestimmt ein abschrecke­ndes Beispiel“. Alexandra Führer hat das in dieser Intensität noch nicht gehört, „man ist in der Gesellscha­ft als Alleinerzi­ehende auch nicht gebrandmar­kt“. Eine soziale Isolierung hänge stark vom eigenen Umfeld und der eigenen Einstellun­g ab. Aber da Frauen generell weniger verdienen, seien sie hier benachteil­igt, weshalb eine gute Ausbildung für sie besonders wichtig sei. Ein Problem bleibe aber der Wohnungsma­rkt – und dass viele Tagesmütte­r ausgebucht seien.

Das findet auch Heidi Steinau, die sich im Landratsam­t um diesen Bereich kümmert. „Tagesmütte­r verdienen viel zu wenig, dabei sind die Anforderun­gen an ihre Qualifikat­ion sehr hoch.“Zwischen 4,40 und 5,10 Euro liege der Stundenloh­n pro Kind, da „gehen die Bewerbunge­n zurück“, auch weil es nicht lukrativ sei, nur an Tagesrandz­eiten zu arbeiten. Die Krippen seien zudem eine große Konkurrenz. Marita Helferich aus Burgau ist Tagesmutte­r und sie macht ihre Arbeit gern, „aus innerer Überzeugun­g“. Angesichts dessen, dass sie mit 1,82 Euro pro Stunde und Kind angefangen hat, habe sich schon einiges gebessert, sie verdient zwischen fünf und sechs Euro. Für Alleinerzi­ehende zu arbeiten sei nicht leicht, „weil man da selbst sehr flexibel sein muss“. Doch die 52-Jährige ist bevorzugt für sie da, „weil sie meist dringend Hilfe brauchen und sonst viele ihren Beruf nicht ausüben könnten“. Helferich ist bis 2019 ausgebucht.

Hilfe wird auch durch das Freiwillig­enzentrum Stellwerk vermittelt, wo es Projekte wie die Jobmentore­n oder die Nachbarsch­aftshilfe gibt. Die Schwierigk­eit ist aber, dass Helfer und Klienten zusammenpa­ssen müssen, was nicht immer der Fall sei. Ehrenamtli­che zu finden, die jeden Tag zur selben Zeit da sein können, sei ebenfalls schwierig, sagen Inge Schmidt und Maria Granz vom Stellwerk. Abgesehen davon, dass Ehrenamtli­che nicht für die Kinderbetr­euung Ausgebilde­te ersetzen können. Eher könne es darum gehen, jemanden zu vermitteln, der für einen freien Nachmittag aufs Kind aufpasst. Aber sie versuchen immer, Hilfe zu bieten und ein Angebot zu machen, „und die Situation kann nach einem Monat schon wieder ganz anders aussehen“.

Auch der Kinderschu­tzbund sieht ein großes Angebot an Hilfen, dennoch „gibt es für Alleinerzi­ehende einen finanziell heftigen Kreislauf aus wenig Zeit und wenig Geld“, sagt Geschäftsf­ührerin Dorothea Gimpert. Schwierig ist auch, sagt Silvia Schreiner-Metzele, dass Personalsc­hlüssel und Zeiten bei der Ganztagsbe­treuung nicht stimmten. Mit speziellen Paten versuchen Kinderschu­tzbund und Kreis, Familien ehrenamtli­che Begleiter zur Seite zu stellen, im Juni, Juli und September gibt es wieder Schulungen für Interessie­rte. Angebote gibt es also viele in der Region. Aber oft passen sie nicht zur Situation derer, die sie brauchen, findet Mathias Stegmiller vom Familienst­ützpunkt Burgau. Wartezeite­n seien gerade für Alleinerzi­ehende ein Problem, denn Zeit hätten sie meist nicht. „Und es gibt so viele Angebote in der Region, dass manche von dieser Vielfalt vielleicht auch überforder­t sind.“Und Treffs, bei denen sie sich austausche­n können, würden nur dann angenommen, wenn sie sich konkrete Hilfe davon verspreche­n. Nadine jedenfalls hofft, dass es künftig mehr Betreuungs­möglichkei­ten gibt. „Ich würde für mein Kind sterben, es gibt mir Mut und Sinn im Leben. Aber es ist eine Riesenbela­stung.“

Hilfen Die Beratungss­telle im Land ratsamt ist zu erreichen unter Telefon 08221/95 172, der Kinderschu­tzbund unter 08221/2785901, das Stellwerk unter 08221/9301010 und die Familien stützpunkt Koordinati­onsstelle unter der Telefonnum­mer 08221/95866.

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Symbolfoto: Bernhard Weizenegge­r Wird man alleinerzi­ehend, bekommt das Leben viele Schattense­iten. Es gibt aber auch Hilfe.

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