Mittelschwaebische Nachrichten

Die Ewige Stadt verabschie­det ihren letzten König

Francesco Totti hat seine Karriere beendet: 28 Jahre war er dem AS Rom treu geblieben. Nun bereitete der Klub ihm einen Abgang, wie ihn wohl noch kein Spieler erlebt hat. Es war eine Liebesgesc­hichte, deren Ende zu spät kam

- VON JULIUS MÜLLER MEININGEN

Rom Die Spieler und Betreuer des AS Rom bildeten ein Spalier. 60 000 Zuschauer im Olympiasta­dion erhoben sich und hielten gelbe und rote Kartons in die Luft, mit seinem Nachnamen und der Nummer 10. Dann tauchte Francesco Totti auf. Langsam durchschri­tt er das Stadion, die Ehrenrunde, die der Kapitän, begleitet von seiner Frau und seinen drei Kindern, nach dem letzten Spiel für den AS Rom durch sein Stadion drehte, dauerte eine gefühlte Ewigkeit. Und überall tränenüber­strömte Gesichter. Auch Totti musste mehrfach seinen heroisch-traurigen und von Kinomusik untermalte­n Marsch unterbrech­en, so gerührt war er.

Selten, vielleicht noch nie, hat ein Stadion einem Fußballer eine derartige Demonstrat­ion der Zuneigung gewährt. Am Sonntagabe­nd nach dem Spiel gegen den CFC Genua endete die Liebesgesc­hichte zwischen Totti und dem AS Rom. Das heißt, sie endete natürlich nur vorläufig, Totti wird über Jahrzehnte hinweg der Maßstab beim AS Rom bleiben. Ab der kommenden Saison soll sein auf sechs Jahre angelegter Vertrag als Mitglied im Vereinsman­agement in Kraft treten, aber wie schwer den Liebenden die Abnabelung fällt, war im Stadion mit Händen zu greifen.

Totti è la Roma, Totti ist der AS Rom, hatten die Tifosi auf Transparen­te in der Südkurve gepinselt. Die Frage, auf die noch niemand eine Antwort hat, ist, welche Folgen das Ende dieser Symbiose für beide Seiten hat. Das Tränenmeer im Stadion zeugte von der Bedeutung Tottis für den AS Rom, aber auch von der familiären Zuneigung, die selbst fußballfer­ne Römer dem berühmtest­en Kicker der Stadt entgegenbr­ingen. Totti selbst gestand in seiner Abschiedsr­ede: Ich habe Angst. Seine 25 Spielzeite­n andauernde Existenz als Galionsfig­ur des Hauptstadt­klubs, aber auch der Stadt insgesamt, ist nun nach einem Spiel plötzlich zu Ende. Dass Totti rechtzeiti­g das Ende seiner Karriere selbst bestimmt hätte, wäre ein Zeichen kühler Rationalit­ät gewesen, die das Verhältnis des Spielers zu seinem Publikum konterkari­ert hätte. Totti, der in 786 Spielen für den AS Rom 307 Treffer erzielte, wollte trotz verlockend­er Angebote aus Mailand oder Madrid nie von zu Hause weg, obwohl er dort wohl wesentlich mehr als eine italienisc­he Meistersch­aft (2001) und zwei Pokalsiege (2007, 2008) hätte gewinnen können.

Stattdesse­n lagen in seinem monumental­en Abgang auch die Züge einer selbst verschulde­ten Demütigung. Totti, der 2006 mit Italien Weltmeiste­r wurde, wollte nicht aufhören, obwohl er als 40-Jähriger selbst um seine körperlich­en Limits gewusst haben muss. Ich habe gehofft, dass dieser Moment nie eintritt, gestand der Roma-Kapitän. Weil er selbst den Absprung nicht schaffte, wurde es in den letzten Jahren melodramat­isch. Trainer Luciano Spalletti, der am Sonntagabe­nd gellende Pfiffe zu hören bekam, setzte den Stürmer nur noch sporadisch ein, manchmal nur wenige Minuten vor Schluss. Eine Geste, die der Spieler und sein Volk als Demütigung empfanden.

Gegen Genua genehmigte Spalletti Totti immerhin 40 Minuten Spielzeit, die zwar nicht zu wesentseit lichen Aktionen führten. Der AS Rom gewann in buchstäbli­ch letzter Minute aber noch 3:2 (1:1) und sicherte sich so die direkte Qualifikat­ion für die Champions League. „Rom weint um seinen letzten König“, schrieb La Repubblica am Dienstag. „Du warst ein Traum“, titelte der Corriere dello Sport und beschrieb damit treffend die Bedeutung Tottis für Rom und seinen Klub. In einer Stadt, die wie keine andere Metropole auf der Welt von ihrer Vergangenh­eit zehrt, bescherte dieser Fußballer den Menschen die Illusion einer immer noch großartige­n Gegenwart. Dass er nun gegangen ist, muss bei allen Beteiligte­n einen Kater verursache­n. Ob der Monate, Jahre oder gar eine Ewigkeit anhält, ist heute nicht zu sagen.

Im Abschied lagen auch Züge einer Demütigung

 ?? Foto: Federico Proietti, Witters ?? Zusammen mit seiner Ehefrau Ilary Blasi, den Töchtern Isabel (links) und Chanel sowie Sohn Cristian nahm Francesco Totti am Sonntagabe­nd Abschied von den Fans des AS Rom. Der 40 Jährige hatte trotz zahlreiche­r Angebote nie für einen anderen Verein...
Foto: Federico Proietti, Witters Zusammen mit seiner Ehefrau Ilary Blasi, den Töchtern Isabel (links) und Chanel sowie Sohn Cristian nahm Francesco Totti am Sonntagabe­nd Abschied von den Fans des AS Rom. Der 40 Jährige hatte trotz zahlreiche­r Angebote nie für einen anderen Verein...

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