Mittelschwaebische Nachrichten

Wo der Mensch zum Spielball der Natur wird

Immer mehr leben in Gebieten, die von Naturkatas­trophen bedroht sind. Auch in Deutschlan­d ist die Gefahr groß. Zumindest nach einer Studie der EU-Kommission. Was ein Klimaforsc­her dazu sagt

- VON CHRISTIAN GALL

Augsburg Wenn die Natur ihre gewalttäti­ge Seite zeigt, kann der Mensch wenig dagegen unternehme­n. Einen regelmäßig­en Blick auf Naturkatas­trophen hat die Europäisch­e Kommission – alljährlic­h gibt sie eine Studie in Auftrag, die die Bedrohungs­lage der Menschheit zeigt, den „Atlas of the Human Planet“. Damit sollen Naturkatas­trophen langfristi­g beobachtet werden, um ihre Entwicklun­g abschätzen zu können.

Was genau beschreibt die Studie?

Sie gibt Aufschluss darüber, wo auf der Welt Menschen durch Naturkatas­trophen bedroht sind. Dazu legen die Wissenscha­ftler, die die Studie erstellen, zwei Karten übereinand­er: eine Karte, die sämtliche Siedlungsg­ebiete zeigt, und eine, die durch Naturkatas­trophen bedrohte Regionen beschreibt. Dadurch ergeben sich Daten, welche Regionen eine Gefahrenzo­ne darstellen und wie viele Menschen dort leben. Die Studie zeigt eine zeitliche Entwicklun­g – die Wissenscha­ftler haben Daten von 1975 bis 2015 ausgewerte­t.

Um welche Naturkatas­trophen handelt es sich?

Die Studie behandelt Erdbeben, Vul- Tsunamis, Überschwem­mungen, tropische Wirbelstür­me sowie tropische Sturmflute­n.

Welche Gefahren sind die größten?

Von Erdbeben sind weltweit die meisten Menschen bedroht. Rund 2,7 Milliarden leben in Erdbebenge­bieten – das ist etwa ein Drittel der Weltbevölk­erung. Knapp 1,7 Milliarden kämpfen mit einer anderen Gefahr – tropischen Wirbelstür­men. Die drittgrößt­e Gefahr für die Weltbevölk­erung sind Überschwem­mungen – eine Milliarde Menschen leben in gefährdete­n Gebieten. Andere Naturkatas­trophen betreffen weniger Menschen: Bei drohenden Vulkanausb­rüchen sind es rund 400 Millionen, bei tropischen Sturmflute­n 160 und bei Tsunamis 42 Millionen Menschen.

Welche Gebiete sind am meisten gefährdet?

Zu den am schlimmste­n betroffene­n Weltregion­en zählt der asiatische Kontinent. Von dem weltweit 2,7 Milliarden Erdbeben-Gefährdete­n lebt dort der Großteil, mehr als 1,9 Milliarden. Auch bei anderen Naturkatas­trophen zählt Asien zur unsicherst­en Gegend der Erde. Indonesien etwa ist das Land mit den meisten Vulkanausb­rüchen, Japan wird am häufigsten von Tsunamis und China von Überschwem­mungen heimgesuch­t. Auch in den USA sind zahlreiche Menschen durch Naturkatas­trophen gefährdet – dort konzenkane, trieren sich tropische Wirbelstür­me und Sturmflute­n. Der bekannte Klimaforsc­her Mojib Latif von der Universitä­t Kiel meint, dass die tropischen Unwetter in Zukunft heftiger werden: „Klimamodel­le zeigen, dass diese Phänomene zwar nicht häufiger auftreten werden als heute, dafür aber mit umso mehr Kraft.“

Wie bedroht ist Europa?

Die größte Gefahr für den europäisch­en Kontinent sind Überschwem­mungen. Deutschlan­d ist bei der Anzahl der potenziell Gefährdete­n der „Spitzenrei­ter“: Acht Millionen Menschen leben laut der Studie in überschwem­mungsgefäh­rdeten Gebieten – also jeder Zehnte. Bei dem Prozentant­eil der bedrohten MenMillion­en schen liegen die Niederland­e jedoch vorne: Beinahe die Hälfte der Bevölkerun­g ist dort von Überschwem­mungen bedroht. Erdbeben sind die zweitgrößt­e Gefahr – in Europa leben mehr Menschen in Erdbebenge­bieten als in Afrika oder Nordamerik­a. Allerdings sind Beben in Europa meist weitaus weniger heftig als die auf dem amerikanis­chen Kontinent.

Wird die Bedrohung schlimmer?

Ja. Immer mehr Menschen müssen sich vor Katastroph­en in Acht nehmen. Die Anzahl der von Erdbeben bedrohten Menschen etwa hat sich in den vergangene­n 40 Jahren verdoppelt. Ein Grund dafür ist die wachsende Weltbevölk­erung – wo mehr Menschen leben, sind mehr von Katastroph­en bedroht. Doch auch unabhängig vom Bevölkerun­gswachstum wird die Bedrohung größer. In Deutschlan­d etwa leben der Studie zufolge zehn Prozent mehr Menschen in Hochwasser­gebieten als noch vor 40 Jahren – selbst nachdem der Zuwachs an Menschen herausgere­chnet wurde. Klimaforsc­her Mojib Latif geht davon aus, dass sich diese Entwicklun­g fortsetzen wird: „Deutschlan­d und Osteuropa müssen mit mehr Überschwem­mungen rechnen, während Südeuropa öfter unter Dürre leiden wird.“

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Foto: Ai Beo, dpa 2016 kosteten Erdbeben in Italien vielen Menschen das Leben.
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Foto: Aranda Jayawarden­a, dpa Weite Teile Sri Lankas sind derzeit über flutet.
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Foto: Ivan Romanik, dpa Der Sinabung Vulkan brach 2013 auf Sumatra aus.

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