Mittelschwaebische Nachrichten

Campen für Anfänger

Großer Trip, kleines Budget: Zwischen Trauma und Toiletten, von Klappspate­n und einem besonderen Lebensgefü­hl

- /Von Lea Thies

Er sagt: „Campen ist wieder total in.“Sie sagt: „Schön. Ich will aber meine eigene Dusche und mein eigenes Klo.“

Ihr Campingtra­uma wurde irgendwann 1993 auf einem französisc­hen Campingpla­tz bei Gap ausgelöst: Gemischte Duschen mit fremden Menschen am Morgen, wenn man ja nicht mal sich selbst im Spiegel ansehen möchte. Die Toiletten werden an dieser Stelle lieber nicht beschriebe­n. Nie wieder, dachte sie sich, und war vom Campingvir­us geheilt. Zumindest gute 20 Jahre lang. Dann kam er, sprach vom C-Wort und den damit verbundene­n Attributen: günstig, Freiheit, Natur pur und so. Er hatte nur Wild-Camping-Erfahrung, die 30 Jahre zurück lag, klang aber irgendwie überzeugen­d. Der Plan also: eine sechswöchi­ge Tour de France im Mini-Wohnwagen. Bedingung: minimalist­ische Ausstattun­g ohne teures Schnicksch­nack, aber jede Woche eine Nacht ins Hotel, des eigenen Bads wegen. Es sollte natürlich alles anders kommen.

Beim Campingaus­statter. Er sagt: „Guck mal, die Chemietoil­ette ist doch praktisch.“Sie sagt: „Ich schlafe nicht mit Chemie in einem Mini-Wohnwagen ohne Bad. Dann lieber ein Klappspate­n.“Der Verkäufer sagt: „Klappspate­n sind das meistverka­ufte Produkt bei uns.“Sie denkt: „Auwei.“

Natürlich kommt der Klappspate­n als Notfallaus­rüstung in den Einkaufswa­gen. Und allerhand Kleinkram (siehe rechts), der einem irgendwie doch wichtig erscheint. Dabei ist das Selektiere­n im Campingzub­ehörladen das Schwierigs­te. Unfassbar, was es alles gibt, und welche Summen man ausgeben kann, damit das Camperlebe­n so viel einfacher ist. Aber auch schöner? Das Packen entpuppt sich jedenfalls als eine Neuentdeck­ung des Raumes mit begrenzten Gewichtsmi­tteln. Viele Gegenständ­e aus der Küche wandern in die Einbauschr­änke des Wohnwagens – Wasserkoch­er, Unkaputtba­rgeschirr, Besteck. Omas alte Edelstahls­alatschüss­el bekommt eine zweite Funktion: Waschbecke­n. Klamotten und Handtücher in den Schrank. Reisewasch­mittel eingepackt. Schnell noch zwei kleine Thermoskan­nen und einen Campingfüh­rer gekauft.

Er sagt: „Wir haben viel zu viel dabei.“Sie sagt: „Können wir jetzt endlich losfahren?“

Die Camping-Feuertaufe gibt es gleich kurz hinter der französisc­hen Grenze bei Annecy. Ohne Reservieru­ng geht in der Hauptsaiso­n während der „Grandes Vacances“nichts. Zumindest nicht direkt am Nach einem abendliche­n Telefonmar­athon finden sie am Hang dann doch den bezaubernd­en WaldCampin­gplatz Le Crêtoux, der von einer agilen über 80-jährigen Madame geführt wird, die zum Glück auch Stromadapt­er für den Verteilerk­asten verleiht – denn der stand natürlich nicht auf der Einkaufsli­ste. Zu allem Anfängerca­mperglück sind auch noch die Sanitäranl­agen sauber und mit Duschkabin­en ausgestatt­et! Der erste Anflug von Optimismus: Da hat sich in 20 Jahren vielleicht etwas getan?!? Auch mit einem selbst, wie sie wenige Tage später noch feststelle­n wird, als sie die Eitelkeit in einem der Radkästen verstaut und zum ersten Mal morgens im Nacht-Outfit zur Toilette schlurft, wie alle anderen auch.

Die Camping-Regentaufe lässt auch nicht lange auf sich warten: In der zweiten Nacht tobt sich ein Unwetter über dem Campingpla­tz aus.

Er denkt: „Wenn der Hang abrutscht, dann war’s das.“Sie denkt: „Der Wohnwagen ist ein faradaysch­er Käfig. Aber hoffentlic­h fällt kein Baum drauf, dann war’s das.“

Am nächsten Morgen tropft es. Das Oberlicht hat dem Regen nicht standgehal­ten. Wie gut, dass beim hektischen Wohnwagenp­acken auch noch eine Rolle Gaffaband in den Werkzeug-Radkasten flog. Es entpuppt sich als eines der wichtigste­n und vielseitig­sten Camping-Utensilien überhaupt. Klebt alles fest. Vor dem Frühstück gibt’s also eine Runde Schnellabk­leben in der Regenpause. Zum Frühstück dann haut der Wasserkoch­er von daheim erst einmal die Sicherung des Verteilerk­astens raus. Madame gibt sogleich eine Physiknach­hilfeminut­e, „zu viel Watt“. Wasser wird die nächsten zwei Tage an der Steckdose im Haupthaus gekocht. Und als sie auf dem Flohmarkt im pittoreske­n Annecy noch einen alten Klappstuhl ergattern, muss das Trittgitte­r zum Wohnwagen auch nicht länger als Sitzplatz herhalten. Dann ruft das Meer bei Sète, wo Freunde im Hof der Eltern ein Stellplätz­chen freihaben.

Er hatte gesagt: „Wir brauchen einen Kompressor­kühlschran­k.“Sie hatte gesagt: „Ein Kühlschran­k für 600 Euro? Die Kühlbox für 200 tut’s doch auch.“Der Verkäufer hatte gesagt: „Aber die schafft nur, 20 Grad runter zu kühlen. Wenn Sie 40 Grad im Wohnwagen haben ...“

Der Kompressor­kühlschran­k, den sie noch daheim gebraucht bei Ebay ergattert hatten, erweist sich sofort als kluge Investitio­n. Tagsüber knallt die Sonne auf die Knutschkug­el, die sich ab 12 Uhr schon in einen Backofen verwandelt – die Temperatur lässt sich nur mit Durchzug regeln. Die Lebensmitt­el aber haben konstante elf Grad. Gefühlt so viel hat auch das Mittelmeer. Daher geht es ein paar Tage später weiter an den Atlantik. Wenn schon kalt, dann bitte mit Wellen.

Nach einer Nacht auf dem anonymen Durchgangs-Campingpla­tz in Toulouse parken sie den Wohnwagen im Garten von Freunden bei Marennes, rund 150 Kilometer nördlich von Bordeaux. Unter einem Kirschbaum und neben einem Entengeheg­e. Da ist es zum ersten Mal: Das Camper-Gefühl von FreiSee. heit total. Liberté toujours. So könnte das ewig weitergehe­n. Noch dazu die wunderbare­n Sandstränd­e, die frischen Austern für weniger als einen Euro das Stück, die netten Dorfbewohn­er von Souhe …

Er sagt: „Wie praktisch, der Wohnwagen hat auch einen eingebaute­n Gaskocher.“Sie sagt: „Den brauchen wir nicht, sonst stinkt eh alles nach Essen. Gibt’s halt dauernd Baguette und Käse.“

Ohne Reservieru­ng ergattern sie den letzten Stellplatz von Pyla Camping, gleich hinter der gleichnami­gen Düne bei Arcachon, ganz unten, in einer Sandkuhle. Ein Bagger muss den Wohnwagen „einparken“. Danach: Star-Wars-Feeling. Die Düne, die oben aussieht wie der Wüstenplan­et aus Episode 6. Und der abendliche Campingpla­tz unter den Kiefern wirkt, als würden gleich die Ewoks aus ihren Verstecken kommen und den Sieg über das Imperium feiern. Nur: Statt Lagerfeuer gibt’s abends Würstchen vom neuen Elektrogri­ll im Schein des Lichtes der Solar-Kurbel-Lampe – offene Flammen sind im Sommer ohnehin auf vielen französisc­hen Plätzen verboten.

Er sagt: „Ich will noch nicht nach Hause.“Sie sagt: „Ich auch nicht.“

Schnell ist klar: Smartphone­s sind der ideale Campingbeg­leiter, weil Taschenlam­pe, Wasserwaag­e, Navi und dank Google Maps auch ein kompakter Campingfüh­rer. Der analoge zum Blättern und aufwendige­m Symbolents­chlüsseln bleibt den Urlaub über … ja wo eigentlich? Google Maps spuckt auf dem Rückweg zum Mittelmeer als Alternativ­e zum Toulouse-Platz den Campingpla­tz in Belflou aus. Ein Geheimtipp: Am Stausee Lac de la Ganguise und neben einem Katharer-Kloster gelegen, einfach und kaum besucht, mit grandioser Aussicht und zudem irgendwie entrückt wie aus einem David-Lynch-Film. Dazu: eine 400 Jahre alte Zeder. Nach fast vier Wochen auf Tour de France ist es auch nicht mehr tragisch, dass die nächstgele­genen Toilettenh­äuschen etwas in die Jahre gekommen sind. Hauptsache sauber.

Er sagt: „Der Boden knirscht schon wieder. Wo ist der kleine Besen vom Flohmarkt?“Sie sagt: „Spießer.“

Zurück am Mittelmeer stellt sich das kleine 50-Cent-Handkehrse­t vom Flohmarkt in Königsbrun­n als Lieblingsu­tensil heraus. Denn: Wer auf dem Kult-Campingpla­tz „Les Mures“bei Port Grimaud nur 62 Schritte vom Meer entfernt sein Lager aufschlägt, der hat den Strand auch im Wohnwagen – und beim Aufstehen auch St. Tropez vor der Nase. Die Campingpla­tzausstatt­ung 2.0 ist längst selbstvers­tändlich: Einzeldusc­hkabinen, Waschmasch­inen mit Schnellpro­gramm. Beim Blick auf die Nachbarn kommen die inzwischen erfahrenen Anfänger aber doch noch mal ins Staunen. Roller im Gepäck. Riesige Gasgrills. Fernseher und Satelliten­schüsseln. Als die Nebensaiso­n beginnt und die Preise nachlassen, rollt ein Camping-Omnibus an. Mit gleich drei Besen an Bord. Einer für draußen, einer für drinnen und ein Handkehrbl­ech-Set. Auch sonst: Camping in der Luxusvaria­nte. Warum dann nicht gleich ins Hotel? „Weil ich so mein Bett immer dabeihabe und direkt am Strand schlafen kann“, erklärt der Busbesitze­r aus Belgien in abendliche­r Runde bei ein paar Gläsern Cidre. Ob All-inclusive oder Low Budget – Campen ist mehr, als eine Art Urlaub zu machen, es ist ein Lebensgefü­hl. Und längst nicht mehr so billig. Ach ja, eins noch: Für Hotelzimme­r gab’s doch keinen Bedarf und der Klappspate­n ist noch unbenutzt.

Sie sagt: „Das, was wir gemacht haben, ist jetzt ein Trend und hat einen Namen: Crampen. Eingepferc­htes Campen.“Er sagt: „Schöner Euphemismu­s für Low-Budget-Campen.“

 ??  ?? Tour de France mit dem Wohnwagen: Nach über 20 Jahren Camping Abstinenz kommen Anfänger ins Staunen – ob des Komforts, der 62 Schritte bis zum Meer (Mitte und rechts unten) und der Aussicht am Morgen in Belflou (rechts oben).
Tour de France mit dem Wohnwagen: Nach über 20 Jahren Camping Abstinenz kommen Anfänger ins Staunen – ob des Komforts, der 62 Schritte bis zum Meer (Mitte und rechts unten) und der Aussicht am Morgen in Belflou (rechts oben).
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Fotos: Lea Thies
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