Mittelschwaebische Nachrichten

Wer Billig-Milch kauft, gefährdet unsere Bauern

Vor einem Jahr erlebte die Milchkrise ihren Höhepunkt. Seitdem geht es langsam bergauf. Aufatmen können viele Landwirte aber noch immer nicht

- VON SARAH SCHIERACK schsa@augsburger allgemeine.de

Ziemlich genau ein Jahr ist es her, dass Christian Schmidt ein Verspreche­n abgegeben hat. Ein „Weiter so“, sagte der Bundesland­wirtschaft­sminister damals, dürfe es nicht geben. Es war die Zeit für dramatisch­e Worte, denn die schon lange schwelende Milchkrise hatte ihren traurigen Höhepunkt erreicht. Der Milchpreis war mancherort­s bis auf 20 Cent pro Liter gesunken. Tausende Landwirte gaben ihren Hof auf, ein Großteil davon seit Jahrzehnte­n oder sogar Jahrhunder­ten im Familienbe­sitz. Viele weitere Bauern fürchteten um ihre Existenz.

Schmidt verteilte also nach dem Milchgipfe­l Soforthilf­en in Millionenh­öhe. Und danach? Gab es tatsächlic­h erst einmal kein „Weiter so“. Die Landwirte produziert­en weniger Milch, der Milchpreis stieg wieder an, aktuell steht er in Bayern zwischen 33 und 34 Cent. Nur: Der Minister hatte damit nicht viel zu tun. Die Finanzspri­tze hat sicher nicht geschadet. Die Erholung der Märkte setzte aber unabhängig davon ein.

Ist jetzt also alles wieder gut? Leider nicht. Denn nun müssen viele Landwirte die zum Teil gewaltigen Löcher stopfen, die die Krise gerissen hat. Überbrücku­ngskredite müssen zurückgeza­hlt, aufgeschob­ene Investitio­nen getätigt werden. Und das alles bei einem Milchpreis, der immer noch sechs bis sieben Cent unter dem liegt, was ein Milchviehh­alter benötigt, um seine Kosten zu decken. Die Folge: Zumindest ein Teil der Bauern wird wieder mehr produziere­n – um mehr Geld einzunehme­n. Das führt aber zu neuen Problemen. Denn ist mehr Milch auf dem Markt, dürften auch die Preise auf lange Sicht wieder fallen.

Wer verhindern will, dass die Bauern erneut in eine Krise schlittern, muss sich deshalb mit den Ursachen der letzten Misere befassen: Zum Beispiel mit dem globalisie­rten Handel, der es kleineren Betrieben schwer macht, sich über Wasser zu halten. Mit dem Krisenmark­t in Russland, der durch den Einfuhrsto­pp weggebroch­en ist. Oder mit Umweltaufl­agen, durch die sich viele Bauern gegängelt fühlen.

Und auch der Verbrauche­r ist nicht unschuldig. Denn nirgendwo sonst in Europa greifen so viele Menschen im Supermarkt zur Billig-Milch wie hierzuland­e. Sie machen es dem Handel leicht, die Preise weiter zu drücken. Aus dem wertvollen Lebensmitt­el ist ein Produkt geworden, das der Kunde im Vorbeigehe­n mitnimmt, so wie einen Schokorieg­el oder eine Zahnbürste. Hier und dort gilt für viele das Prinzip: Je billiger, desto besser. Ihr Geld wollen viele Verbrauche­r lieber in andere Dinge stecken: das Auto oder Urlaubsrei­sen.

Damit die Bauern nicht wieder in eine Existenzkr­ise geraten, dürfen also nicht nur – wie im vergangene­n Jahr – die Symptome des Problems behandelt werden. Stattdesse­n braucht es Anreize für Landwirte, nicht über den Bedarf hinaus zu produziere­n. Und es braucht ein Instrument, mit dem das Angebot in Krisenzeit­en gesteuert werden kann – und zwar nicht nur auf nationaler Ebene, sondern in der EU.

All das funktionie­rt aber nur, wenn mehr Verbrauche­r bereit sind, angemessen­e Preise für Milch und Milchprodu­kte zu zahlen. Dem Kunden muss wieder bewusst werden, welchen Wert Lebensmitt­el haben. Dazu gehört eine offene und vor allem eine ehrliche Debatte über die heimische Landwirtsc­haft. Denn fast nirgends klaffen Vorstellun­g und Realität derart auseinande­r. Viele Verbrauche­r haben ein romantisch verklärtes Bild und wissen gar nicht, wie ein Bauernhof wirtschaft­lich geführt wird. Den technologi­schen Fortschrit­t sehen sie eher als Risiko. Dabei muss jedem klar sein, dass ein Betrieb nur dann zukunftsfä­hig ist, wenn er technisch auf einem neuen Stand ist.

Für viele Kunden gilt: Je billiger, desto besser

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Germany