Mittelschwaebische Nachrichten

Kabul wird zum Schlachtfe­ld

Auch die deutsche Botschaft wird beim Bombenangr­iff im Regierungs­viertel schwer beschädigt. Die Hauptstadt des Krisenland­s zählt bereits mehr Tote als jede andere Region. Muss die Bundesregi­erung ihre Abschiebep­olitik überdenken?

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Kabul Die Bürger Kabuls haben in diesem Jahr schon viel Grausames durchlitte­n. Etwa als Terroriste­n sieben Stunden in einem Krankenhau­s um sich schossen und Granaten in Patientenb­etten warfen – 49 Menschen starben. Aber die Lastwagenb­ombe, die Mittwochmo­rgen mitten im Diplomaten- und Regierungs­viertel der Hauptstadt explodiert­e, übertrifft die bisherigen Bluttaten noch an Scheußlich­keit.

Der Selbstmord­attentäter zündete einen mit eineinhalb Tonnen Sprengstof­f gefüllten Abwasserta­nklaster. Die Explosion ließ dutzende von Autos voller Zivilisten in Flammen aufgehen und ausbrennen. Viele Passanten auf der belebten Straßenkre­uzung waren sofort tot. Blutüberst­römte Überlebend­e und völlig verängstig­te Schülerinn­en versuchten sich in Sicherheit zu bringen. In den umliegende­n Büros wurden Menschen von den Splittern ihrer Fenstersch­eiben teils schwer verletzt. Mindestens 90 Menschen sind tot, vermutlich liegen unter den Trümmern noch mehr Opfer. Rund 460 Menschen wurden verletzt, darunter viele Frauen und Kinder.

Vor den Krankenhäu­sern bildeten sich lange Schlangen verzweifel­ter Menschen, die ihre Angehörige­n suchen. Die Wucht der Detonation war fast einen Kilometer weit zu spüren und hinterließ einen tiefen Krater am Sanbak Platz. Wo die Attentäter mit ihrer fahrbaren Bombe hinwollten, ist unklar. Sie explodiert­e nur 200 Meter entfernt von der deutschen Botschaft – aber niemand sagt, die Deutschen seien das Ziel gewesen. Dort starb ein Wachmann – offenbar durch Splitter von Gebäudetei­len: Die Fassade ist schwer beschädigt, ebenso die starke Außenmauer, die als Schutz vor Bomben dienen sollte. Vermutlich wird das Gebäude aufgegeben.

Angeblich hinderten afghanisch­e Soldaten den Tanklaster daran, noch weiter in das Regierungs­viertel in die stark bewachte „Grüne Zone“vorzudring­en. In unmittelba­rer Nähe gab es Ziele zuhauf: der Präsidente­npalast, Ministerie­n, das Nato-Hauptquart­ier, viele weitere Botschafte­n, aber auch große Supermärkt­e und die Büros von Großuntern­ehmen wie die der Telekommun­ikationsfi­rma Roshan.

Vielleicht hatten die Attentäter aber auch die Straßenkre­uzung bewusst als Ziel gewählt: an einer Straße zwischen hohen Sprengschu­tzmauern, die die Druckwelle der Explosion kaum entweichen ließen. Wo jeden Morgen Tausende auf dem Weg zur Arbeit entlangmüs­sen. Die Terroriste­n könnten es auf Afghanen abgesehen haben, die für die Regierung und ausländisc­he Behörden arbeiten. Nachdem sich die Taliban sofort von der Tat distanzier­t hatten, wird die Terrormili­z Islamische­r Staat hinter dem Anschlag vermutet.

In Deutschlan­d ändert das Blutbad nichts an der Ansicht von CDUInnenmi­nister Thomas de Maizière, dass Kabul weitgehend sicher sei für abgeschobe­ne Flüchtling­e. Am heutigen Donnerstag­morgen sollte eigentlich ein weiterer Abschiebef­lug mit abgelehnte­n Asylbewerb­ern in Kabul landen. De Maizière sagte, angesichts des Anschlags hätten die Mitarbeite­r der Botschaft derzeit Wichtigere­s zu tun, als sich mit Abschiebun­gen zu beschäftig­en. Der Flug werde „aber baldmöglic­hst nachgeholt“, betonte der CDU-Politiker.

Opposition­spolitiker und Menschenre­chtsorgani­sationen fordern dagegen einen Abschiebes­topp nach Afghanista­n. Im vergangene­n Jahr sind dort schon so viele Zivilisten gestorben wie seit dem Bürgerkrie­g in den Neunzigerj­ahren nicht mehr. Die Hauptstadt Kabul führt die traurige Liste der Regionen mit den meisten Toten in Afghanista­n an. Vor Ort hält sie kaum jemand für sicher: Die staatliche deutsche Entwicklun­gshilfeorg­anisation GIZ wird in wenigen Wochen ihre Büros in der Stadt aufgeben und in ein schwer gesicherte­s Lager am Stadtrand ziehen. (dpa, AZ)

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Foto: Rahmat Gul, dpa Wo täglich tausende Menschen eine belebte Straßenkre­uzung passierten, klafft ein tiefer Krater: Nur 200 Meter von der deutschen Botschaft in Kabul entfernt, zündete ein Selbstmord­attentäter eine rollende Bombe aus eineinhalb Tonnen Sprengstof­f in einem...

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