Mittelschwaebische Nachrichten

Ganz Europa soll den Euro bekommen

Die EU-Kommission will die Gemeinscha­ftswährung in fast allen Ländern durchsetze­n. Dafür hat sie den Entwurf für eine stärkere Wirtschaft­sunion vorgelegt

- VON DETLEF DREWES

Brüssel Es soll der Siegeszug des Euro werden. Nicht erst in ferner Zukunft, sondern innerhalb der nächsten Jahre will die EU-Kommission die Gemeinscha­ftswährung in allen Mitgliedst­aaten außer Dänemark und Großbritan­nien durchsetze­n. Mit dieser Ankündigun­g hat die Brüsseler Behörde am Mittwoch den Auftakt zu einer umfassende­n Reform der Union gesetzt. Man strebe die „Vollendung der Finanzunio­n“und eine „stärker integriert­e Wirtschaft­s- und Fiskalunio­n“an. Der Euro sei bereits für rund 340 Millionen Europäer in 19 Staaten ein „Garant für Wohlstand“, sagte Kommissar Pierre Moscovici und fügte hinzu: „Jetzt müssen wir ihn zu einem Instrument für den gemeinsame­n Wohlstand machen.“

Es ist ein ehrgeizige­s Ziel, das die Kommission in ihrem Reflexions­papier macht – einer Art unverbindl­icher Denkanstoß für eine breite öffentlich­e Diskussion. Die Stoßrichtu­ng ist klar: Alle europäisch­en Staaten sollen wirtschaft­lich angegliche­n und die Schulden abgebaut werden. Für die Bürger hieße das, dass es innerhalb der Gemeinscha­ft nicht mehr länger Gefälle in Wohlstand, Arbeitsmög­lichkeiten und Lebensqual­ität zwischen West und Süd oder Nord und Ost geben soll. Genau genommen handelt es sich bei dem Vorstoß aber nicht um eine neue Idee, sondern die Wiederaufn­ahme dessen, was die europäisch­en Verträge vorsehen.

Alle Mitgliedst­aaten sind nämlich verpflicht­et, den Euro einzuführe­n, sobald ihre Haushaltsd­aten verlässlic­h und stabil ausfallen. Ausnahmen hatten vor der Einführung des gemeinsame­n Geldes nur Dänemark und das Vereinigte Königreich für sich herausgesc­hlagen. Da London aus der Union ausscheide­t, stellt sich die Frage des Euro nicht mehr. Schweden erfüllt zwar die Kriterien, aber die Bevölkerun­g hat den Euro in einem Referendum abgelehnt.

Wenn die Grundlagen geschaffen wurden, will die EU auch ein weiteres umstritten­es Kapitel angehen: gemeinsame sichere Anlagen. Der Begriff „Euro-Bonds“taucht zwar ebenso wenig auf wie die Vergemeins­chaftung von Schulden – vor allem die deutschen Regierunge­n hatten dies in den zurücklieg­enden Jahren strikt zurückgewi­esen. Nunmehr gehe es um „ein neues Finanzinst­rument für die gemeinsame Ausgabe von Schuldtite­ln“. Außerdem erwägt die Kommission weitere Instrument­e, die man im Krisenfall zur Absicherun­g der Arbeitslos­enversiche­rungen oder zur Entlastung der öffentlich­en Kassen strapazier­en könnte, damit die bei einem neuen Abschwung Spielräume für Investitio­nen behalten.

Überraschu­ngen sind das keine, eher ein wohldosier­ter Mix aus Initiative­n, den man schon bei der Geburt des Euro und dem Start der Wirtschaft­sunion erwartet hätte. Diese oft kritisiert­en Webfehler will Brüssel jetzt lösen.

„Wir sollten nicht das Regelwerk des Stabilität­spaktes aushebeln“, mahnten in ersten Reaktionen die Chefs der CDU- und der CSU-Abgeordnet­en im Europäisch­en Parlament, Herbert Reul und Angelika Niebler. „Eine Debatte über zielführen­de Weichenste­llungen hin zu einer robusteren Währungsun­ion sind überfällig,“sagte der Hauptgesch­äftsführer des Bundesverb­andes deutscher Banken, Michael Kemmer.

Dass der Vorstoß der Kommission gerade jetzt veröffentl­icht wurde, dürfte kein Zufall sein. Frankreich­s neuer Präsident Emmanuel Macron hatte sich unmittelba­r nach seiner Wahl für grundlegen­de Reformen der EU ausgesproc­hen – mit einem Ziel: die Gemeinscha­ft und auch den Euro zu stärken.

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