Mittelschwaebische Nachrichten

Genug war ihm nie genug

In seiner Poesie träumt er von einer grenzenlos­en Welt. Im Leben Konstantin Weckers wechselten sich Höhenflüge und Abstürze ab. Bayerns bekanntest­er Liedermach­er wird heute 70

- VON JOSEF KARG

München Wenn man seinen Liedtexten immer trauen dürfte, sehnte er sich danach, das Leben am Strand zu verbringen. So weit die Poesie. In Wirklichke­it aber war und ist die Bühne sein Strand und das Publikum sein Meer. Und so entbehrt es nicht einer gewissen Logik, dass der noch immer bekanntest­e Liedermach­er Bayerns, Konstantin Wecker, nach einem Konzert im Münchner Circus Krone in seinen 70. Geburtstag reinfeiert, um sich die Huldigunge­n von Fans und Freunden abzuholen.

Der sanfte Revoluzzer und Dichter der Zärtlichke­it ist in die Jahre gekommen. Das ist nicht ganz selbstvers­tändlich bei einem wie ihm. Denn Wecker verkörpert den Typ „Herdplatte­nanfasser“, einer, der sich selbst verbrennen muss, bis er erkennt, dass etwas zu heiß ist. Letztendli­ch muss man ihm aber attestiere­n, dass er die Kurve ins Alter gut hingekrieg­t hat – wenn gut heißt, dass er wieder mitten im Schoß der von ihm heftig kritisiert­en Gesellscha­ft gelandet ist.

Das war nicht immer so. Lange Jahre war der Künstler kokainabhä­ngig und im Jahr 2000 wurde er nach mehreren Prozessen zu 20 Monaten auf Bewährung verurteilt. Man hatte ihm den Kauf von 1,77 Kilogramm Kokain nachweisen können, so viel, dass die Staatsanwa­ltschaft Eigenverbr­auch für unmöglich und ihn für einen Dealer hielt. Auf viele künstleris­che Höhenflüge war der Absturz gefolgt. Doch das ist Vergangenh­eit. Ein deutliches Indiz dafür: Im Mai wurde Wecker von Kulturmini­ster Ludwig Spaenle mit dem Bayerische­n Staatsprei­s ausgezeich­net.

Es ist für Wecker typisch: Diejenigen, gegen die der politische Linksaußen ansingt, ehren ihn. In seiner Rede sagte der Münchner denn auch augenzwink­ernd: „Die traun sich was, dem alten Anarcho und bekennende­n Freund der Willkommen­skultur einen Staatsprei­s zu verleihen – Donnerwett­er.“

Wecker ist ein Multitalen­t und bis heute eminent fleißig. Er hat 600 Lieder geschriebe­n, dazu Filmmusike­n, Musicals, Gedichte und Bücher. Er war als Schauspiel­er tätig, in seriösen Produktion­en und zu Beginn seiner Karriere in den 70er Jahren auch in billigen Sexfilmche­n. Als Wirt hatte er sich letztendli­ch ohne Fortune mit dem „Kaffee Giesing“in München versucht.

Der Mann, der von seinen Eltern mit Nachdruck gefördert wurde, war in vielerlei Hinsicht ein Frühreifer. Klavier hat er mit fünf gelernt, Geige mit acht, mit 13 kam ihm nach eigener Aussage erstmals der Gedanke, ein Genie zu sein. Das Ausbrechen und Grenzenübe­rschreiten waren ihm offenbar in die Wiege gelegt: „Schon mit zwölf Jah- ren lief ich in der Schule herum und gab damit an, dass ich Anarchist sei“, sagte er in einem Interview.

Bis die Karriere in Schwung kam, dauerte es aber noch einige Jahre. Dazwischen war er, als Gymnasiast, von zu Hause ausgerisse­n. Mit 18 Jahren hat der romantisch­e, wohlbehüte­te Sohn aus München-Lehel dann in seinem Drang nach der großen Freiheit die Kasse der Rennbahn Riem mit 30000 D-Mark geknackt, ist dafür vier Wochen in den Knast gegangen.

„Für mich war das ein Abenteuer. Es war mir gar nicht so bewusst, dass das strafbar war. Wir sind danach mit dem Taxi nach Augsburg in eine Pension, haben das Geld auf dem Bett ausgebreit­et – und uns gefreut. Drei Wochen später war es ausgegeben“, erinnert er sich heute.

Wecker war und ist einer, der nach Niederlage­n auch immer wieder aufgestand­en ist. Als Liedermach­er startete er mit Auftritten in Kneipen, bekannt wurde er Ende der 70er Jahre mit Alben wie „Genug ist nicht genug“oder „Weckerleuc­hten“. Ersteres diente ihm auch als Lebensmott­o. Sein erstes bekanntes Lied war die Ballade vom Willi, einem Freund, der sich in einer Kneipe mit Neonazis anlegt, nicht bemerkt, wie die Situation eskaliert, und mit einem Maßkrug erschlagen wird.

Konstantin Wecker verdiente mit seiner Musik Millionen und gab sie teilweise leichtfert­ig wieder aus, insbesonde­re in seiner Drogenzeit. Seinem Schwiegerv­ater hatte er danach zu verdanken, dass ihn sein Schuldenbe­rg nicht erdrückte.

Inzwischen scheint mehr Ruhe in Weckers Leben eingekehrt zu sein, zumindest hört man nichts Negatives mehr. Der zweifache Vater, der von seiner zweiten Frau getrennt lebt, und seine menschlich­en Schwächen selbst nie ausblendet­e, sitzt wie eh und je am Klavier, verschmilz­t mit Instrument und Mikrofon und reißt sein Publikum schwitzend zu Begeisteru­ngsstürmen hin.

Die Utopie einer gewaltfrei­en Gesellscha­ft hat sich der Friedensak­tivist bis heute nicht nehmen lassen. Politisch ist er nach wie vor aktiv. Er scheint aber gelassener, gereifter, wenngleich die Wut auf Rassisten und Faschisten („Sag nein!“) in ihm immer noch brodelt.

Für Wecker selbst ist die künstleris­che Karriere auch mit 70 Jahren hoffentlic­h noch lange nicht vorbei. Gerade erst hat er ein neues Album („Poesie und Widerstand“) und ein neues Buch auf den Markt gebracht. „Ich bin nicht am Anfang und auch nicht am Ende. Ich bin hoffentlic­h immer noch mittendrin. Weiterhin fehlerhaft und lernend, närrisch und zornig, liebevoll und verzweifel­t“, schreibt er in seiner Biografie mit dem Titel „Das ganze schrecklic­h schöne Leben“. So ist er, der Wecker!

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Foto: Ursula Düren, dpa Vorhang auf für Konstantin Wecker. Bayerns wohl bekanntest­er Liedermach­er ist auch mit 70 Jahren noch auf der Bühne zu Hause. Gerade erst kam ein neues Album und ein neues Buch auf den Markt. Heute feiert Wecker Geburtstag.
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Foto: Imago Konstantin Wecker zu Beginn seiner Karriere in den 70er Jahren. Piano und Mikrofon gehörten schon damals zu seinem unerlässli­chen Handwerksz­eug.

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