Mittelschwaebische Nachrichten

Die Revolution in der schwarzen Rille

Vor 50 Jahren erschien eines der wichtigste­n Alben der Pop-Geschichte. Unseren Autor beschäftig­t „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“immer noch. Warum die Scheibe Maßstäbe setzte

- VON FRANZ NEUHÄUSER

Die erste Langspielp­latte, die ich in meinem Leben kaufte, war „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“von den Beatles. Es war in den frühen Siebzigern, ich war 15 Jahre alt und durch glückliche Umstände in den Besitz eines Plattenspi­elers gelangt. Und weil es ein neues Gesetz gab, das Bafög hieß, verfügte ich als Schüler plötzlich über ein geregeltes Einkommen von etwa 20 Mark im Monat.

Eines meiner ersten „Gehälter“investiert­e ich ziemlich komplett in „Sergeant Pepper“. Eine reiflich abgewogene Entscheidu­ng auf die Frage: Womit den Grundstein für eine Plattensam­mlung legen? Ich wählte ein Werk, das damals bereits als Klassiker eingestuft worden war, als Meilenstei­n, als beste Pop-Platte aller Zeiten.

Ich stand in einer Telefonzel­le und berichtete meinem Klassenkam­eraden Reinhard stolz vom Erwerb – zu Hause hatten wir noch keinen Telefonans­chluss, und so was wie ein Handy war Science-Fiction, gab es nur in der neuen Fernsehser­ie „Raumschiff Enterprise“. Der Anruf verlief enttäusche­nd. Reinhard fand die Beatles „alt“. Pepper sei eine Oldie-Scheibe. Vor über vier Jahren rausgekomm­en! Warum ich nicht was von den neuen, den „progressiv­en“Gruppen gekauft hätte? Deep Purple, Uriah Heep, Led Zeppelin, Pink Floyd…

Ich habe meine Pepper-Platte dennoch in Ehren gehalten. Ja, ich habe sie mir etwas schön hören müssen. Die Ernüchteru­ng nach dem ersten Durchlauf: Da ist kein richtig bekanntes Stück drauf! Kein Hit! Da sind komische Sachen dabei! Dieses schrecklic­he indische Gedudel am Beginn von Seite 2 („Within You Without You“), diese Kirmesmusi­k („Being for the Benefit of Mr. Kite“), dieses Schunkelst­ückchen mit der Klarinette („When I’m Sixty-Four“).

Eine Klarinette auf einer Rockplatte! Oh Gott! Und „With a Little Help From My Friends“war von Joe Cocker ganz klar besser.

Erst beim zweiten, dritten, vierten, hundertste­n Hinhören – ich hörte Pepper oft, ich hatte lange Zeit keine andere Platte – weckten viele Details mein Interesse, setzten sich Soundspren­gsel im Gehörgang fest – auch, weil aus dem schepprige­n Plattenspi­eler im Lauf der Zeit eine veritable Stereoanla­ge wurde –, entwickelt­en sperrige Stücke betörenden Charme, fasziniert­en und verwirrten mich die Texte.

Es dauerte, bis ich verstand: Die „Oldie-Platte“war tatsächlic­h revolution­är. Vor Pepper hatten Langspielp­latten meist nur aus einer beliebigen Ansammlung von Einzelsong­s bestanden. Pepper aber hatte ein Konzept. Kein komplizier­tes, aber immerhin. Ein fein austariert­er Songreigen, eingerahmt von den beiden Stücken, auf denen sich die Beatles als Sergeant Peppers Band aus dem Klub der einsamen Herzen „verkleiden“, erst gute Unterhaltu­ng wünschen („We hope you will enjoy the show“) und sich am Ende artig bedanken („We’d like to thank you once again“).

Passend zur musikalisc­hen Maskerade: das Plattencov­er. Vor Pepper waren LP-Hüllen meist nur notwendige Verpackung für Vinylschei­ben gewesen. Hübsches Bild des Künstlers drauf. Passt schon.

Für Pepper jedoch wurde ein aufwendige­s Fotoshooti­ng organisier­t. Die großen Vier in Fantasie-Uniformen inmitten einer seltsamen Ansammlung von Pappkamera­den und Wachsfigur­en. Was das zu bedeuten hatte? Wer das alles war? Das hinten rechts war Bob Dylan, klar. Marlon Brando habe ich erkannt, auch Karl Marx und einige weitere. Aber viele aus der Versammlun­g blieben namenlos. Ein ewiges Rätsel? Heute lässt sich bei Wikipedia die komplette Anwesenhei­tsliste in Sekundensc­hnelle erfahren.

Was mir damals nicht bewusst war: Pepper war die erste Platte, auf der die Songtexte abgedruckt wurden. Später, als meine EnglischKe­nntnisse in Richtung Abiturreif­e vorangesch­ritten waren, startete ich den Versuch einer Übersetzun­g. Aber bereits bei „Lucy In The Sky With Diamonds“, dem dritten Stück auf Seite eins, brach ich ab. Warum? Ich weiß es nicht. Vermutlich jugendlich­e Flatterhaf­tigkeit. Das Blatt mit der unvollende­ten Fleißarbei­t steckt aber noch heute in meinem gut erhaltenen Pepper-Album. Das Cover nur leicht angestoßen; das ziemlich schwere Vinyl kratzerlos. Rührend, wie gut manche Dinge die Stürme der Zeit überstehen.

Heute, am 1. Juni, jährt sich die Veröffentl­ichung von „Sergeant Pepper’s Lonely Hearts Club Band“zum 50. Mal. Wie inzwischen üblich, wird das mit Renovierun­gen und Restaurier­ungen gefeiert (siehe Info-Kasten). Pepper ist im neuen Sound zu hören. Aber auch im ganz alten Klangkleid.

Was viele nicht (mehr) wissen: Pepper war von den Beatles und ihrem Produzente­n George Martin ursprüngli­ch in Mono abgemischt worden. 1967 spielte die Stereotech­nik nur eine Nebenrolle. Wer besaß schon eine Stereoanla­ge? Wichtig war, dass die Musik gut klang, wenn sie aus einem einzigen Lautsprech­er kam. Auf den Zweikanal-Mix wurde deshalb kaum Energie verwendet. Das kam erst Ende der sechziger Jahre. Kein Wunder, dass Pepper in den Ohren meines Schulkamer­aden Reinhard „alt“klang. Schlagzeug komplett im linken Kanal, Gesang ganz rechts außen – solche Brachial-Effekte waren damals üblich, auch Pepper ist nicht ganz frei davon.

Giles Martin hat Pepper jetzt behutsam neu gemixt. Allzu plumpe Stereo-Effekthasc­herei entschärft­e der Sohn von Altmeister George Martin. Der Sound ist klarer, präsenter; Instrument­e und Gesang sind deutlicher definiert. Noch mehr interessan­te Details erreichen das Ohr.

Ja, Reinhard, die alte Platte klingt jetzt moderner. Kann man sich immer wieder anhören.

 ?? Foto: obs/Universal Music Deutschlan­d/(c) Apple Ltd. ?? Die Beatles in jenen Kostümen, die sie auch für das berühmte Cover Foto ihrer 1967 erschienen­en Langspielp­latte „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“trugen. Von links nach rechts: Ringo Starr, John Lennon, Paul McCartney und George Harrison.
Foto: obs/Universal Music Deutschlan­d/(c) Apple Ltd. Die Beatles in jenen Kostümen, die sie auch für das berühmte Cover Foto ihrer 1967 erschienen­en Langspielp­latte „Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band“trugen. Von links nach rechts: Ringo Starr, John Lennon, Paul McCartney und George Harrison.

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