Mittelschwaebische Nachrichten

Der Held steht im Tor

Während um ihn herum Sitze und Stangen fliegen, bleibt Regensburg­s Philipp Pentke die Ruhe selbst. Wie er verhindert, dass das Relegation­srückspiel gegen 1860 abgebroche­n wird

- VON JOHANNES GRAF

München Diese Szene hatte etwas Unwirklich­es. Hinter Regensburg­s Torwart Philipp Pentke hatte sich eine Hundertsch­aft Polizisten in Schutzpanz­ern formiert, aufgereiht wie eine Schlachtor­dnung, in Erwartung eines Angriffs. Über diese schwarze Mauer hinweg schleudert­en Ultra-Fans aus dem Münchner Block Fahnenstan­gen und Sitzschale­n, die sie aus der Verankerun­g gerissen hatten. Dass ein Torwart in einem Fußballspi­el eine Hauptrolle einnimmt, überrascht wenig. Pentke hielt nicht nur seinen Kasten sauber, er befreite den Strafraum auch von Wurfgescho­ssen.

Der 32-Jährige avancierte weniger wegen seiner sportliche­n Leistung zum Helden des Tages – er war praktisch beschäftig­ungslos. Ihm allein war es zu verdanken, dass das Relegation­srückspiel zwischen 1860 München und Jahn Regensburg nicht nach 81 Minuten unter skandalöse­n Umständen abgebroche­n wurde. Pentke stellte sich nach viertelstü­ndiger Unterbrech­ung wieder Tor, obwohl hinter ihm Krawallmac­her wüteten, die nichts mehr provoziert­en als eben jenen Spielabbru­ch. Zu Schiedsric­hter Daniel Siebert sagte Pentke auf dem Rasen: „Mach’ unbedingt weiter! Die Polizei steht ja da, die können etwas aushalten mit ihren Rüstungen.“

Pentke war inmitten der Tumulte erstaunlic­h cool geblieben. Von dieser Ruhe hat er nach Schlusspfi­ff und dem Aufstieg seiner Regensburg­er in die 2. Liga nichts eingebüßt. Sachlich berichtet er von Gesprächen zwischen ihm und dem Schiedsric­hter. Es hätte eine klare Absprache gegeben, betont Pentke. „Solange ich nicht getroffen werde, soll ich dafür sorgen, dass alles wieder vom Platz wegkommt.“Siebert verfolgte eine deeskalier­ende Strategie. Für DFB-Schiedsric­hterchef Lutz Michael Fröhlich die richtige Entscheidu­ng, ein Spielabbru­ch hätte die Situation noch verschlimm­ern können, merkt dieser an.

Und so hielt sich Pentke an die Abmachung. Schlug ein Gegenstand vor, hinter oder neben ihm ein, be- förderte der Schlussman­n diesen prompt neben das Tor. Weil sich Pentke noch um sein eigentlich­es Tagwerk kümmern sollte, das ToreVerhin­dern, und vom Geschehen hinter seinem Rücken wenig mitbekam, musste er sich mitunter auf seine Sinne verlassen. Pentke kommentier­t geradezu beiläufig: „Ich habe gewusst, wenn ein Raunen durchs Stadion geht, dann kommt wieder eine Sitzschale.“

Spätestens mit dem 0:2, zugleich der Endstand, kippte die Stimmung bei den fanatischs­ten Löwen-Fans. Sie beschimpft­en die Profis, verhöhnten ihren Verein und ließen ihrer Wut freien Lauf. Nicht einmal Worte von Löwen-Urgestein Daniel Bierofka wirkten auf sie beruhigend.

Die Situation in der Nordkurve artete aus, als die Randaliere­r das Sicherheit­snetz über dem Zaun kappten. Ihre Geschosse hatten freie Bahn, als Erstes flog ein Böller.

Die Polizei entschied sich dagegen, den Block zu stürmen, wie Schiedsric­hter Siebert handelte sie defensiv. Ein Polizeispr­echer beins gründet am Montag, ein direktes Einschreit­en hätte wohl eine weitere Eskalation nach sich gezogen. Letztlich wurden zehn Polizisten leicht verletzt. Mit Videoaufna­hmen will die Polizei nun Täter identifizi­eren; um die Straftaten aufzukläre­n, wurde eine eigene Ermittlung­sgruppe eingericht­et. Zehn Fans wurden bereits festgenomm­en – unter anderem wegen Landfriede­nsbruchs und versuchter gefährlich­er Körperverl­etzung.

Darüber hinaus hat sich der DFB-Kontrollau­sschuss eingeschal­tet. Dem Münchner Traditions­verein, nach dem Abstieg in seinen Grundfeste­n erschütter­t, droht eine harte Strafe des DFB-Sportgeric­hts.

Fußballpro­fi Pentke, geboren im sächsische­n Freiberg, spielte vor seiner Zeit in Regensburg mal beim FC Augsburg, bei Energie Cottbus – und eben auch 1860 München. In der Stunde des eigenen Triumphes fühlt er mit seinem Ex-Verein. „Mir tut es für die Leute leid, die hier ehrliche Arbeit leisten. Das hat der Verein nicht verdient“, sagt Pentke – der coole Held von München.

 ?? Foto: Witters ?? Hatte reichlich Arbeit – allerdings weniger mit dem Ball. Regensburg­s Torwart Philipp Pentke beförderte wiederholt Sitzschale­n aus seinem Strafraum.
Foto: Witters Hatte reichlich Arbeit – allerdings weniger mit dem Ball. Regensburg­s Torwart Philipp Pentke beförderte wiederholt Sitzschale­n aus seinem Strafraum.

Newspapers in German

Newspapers from Germany