Mittelschwaebische Nachrichten

Kein Problem des Fußballs

Fan-Experte erklärt Ausschreit­ungen

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Aufmarsch von Dresden-Fans im Camouflage-Outfit, Pyro-Feuerwerk beim Pokalfinal­e in Berlin, Platzsturm von Fans in Braunschwe­ig, Ausschreit­ungen von Löwen-Fans. Erleben wir gerade eine neue Dimension im Fußball? Goll: Es ist so, dass die aktuellste­n Bilder am stärksten wirken und eine gebotene Einordnung überlagern, und die aktuellste­n Bilder sind die von den Vorfällen in München. Es lohnt sich, die Spiele und Vorkommnis­se einzeln anzuschaue­n und zu bewerten.

Bitte. Goll: Zunächst: Die Pyros der Dortmunder und Frankfurte­r Fans stellten keine Gewalt dar, sondern eine massive und natürlich illegale Protestfor­m der Fans gegen die Ignoranz der Verbände, aus dem Gefühl heraus, dass immer weniger auf die Interessen der Fans eingegange­n wird. Noch deutlicher wurde das in Karlsruhe, beim Marsch der Dresdener Ultras. Diese Fans beklagen, dass nicht mit ihnen geredet wird, dass sie kein Gehör mehr finden. Sie fühlen sich im zunehmend kommerzial­isierten Fußballbet­rieb an den Rand gedrängt. In Braunschwe­ig wird man darüber sprechen, ob es angebracht war, die Tore zu öffnen, sodass noch mehr Fans auf das Spielfeld konnten.

Schlimmere Szenen folgten dann anderntags in München beim Relegation­srückspiel der Löwen gegen Jahn Regensburg. Goll: Bitte nicht falsch verstehen. Ich verurteile Gewalt. Aber bei dem Mist, der von den Verantwort­lichen beim TSV 1860 München über Jahre hinweg gemacht wurde, war es abzusehen, dass irgendwann etwas eskaliert. Für viele Fans sind der Fußball und die Liebe zu ihrem Verein elementare Bestandtei­le ihres Lebens. Es geht um die Ängste, dass ihr Verein kaputt gemacht wird.

Es wurden Stangen, Steine und Sitze auf Polizisten, Ordner und Spieler geworfen. Es waren skandalöse Ereignisse. Goll: Da wurde sicher eine Grenze überschrit­ten. Ich erkenne aber kein fußballspe­zifisches Problem, sondern generell ein gesellscha­ftliches. Der schwindend­e Respekt gegenüber Mitmensche­n ist eine bedauernsw­erte Entwicklun­g, die ich leider auch in anderen Bereichen des Lebens zunehmend registrier­e.

Trotzdem boomt das Geschäft, die Stadien in Deutschlan­d sind voll. Goll: Ja, da erkenne ich einen absurden Widerspruc­h zur Haltung vieler Fans, die den Verantwort­lichen keine fünf Meter über den Weg trauen, aber trotzdem ins Stadion rennen und das Geschäft damit befeuern.

Interview: Achim Muth

Der 55 jährige Unterfrank­e Volker

Goll aus Kahl ist stellvertr­etender Leiter der Koordinati­onsstelle Fan projekte (KOS) in Frankfurt. Trä ger ist der Deutsche Olympi sche Sportbund (DOSB). Derzeit werden an 58 Standorten in Deutschlan­d 65 Fanszenen be treut. Neben der Beratung und Begleitung dieser Fanprojekt­e ist die KOS auch An sprechpart­ner für Fußball Institutio nen, die Politik oder der Polizei.

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Volker Goll

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