Mittelschwaebische Nachrichten

Schöner Wohnen im Bunker

Hochbunker zeugen in vielen Städten noch stumm vom Zweiten Weltkrieg. Denn der Abriss der wuchtigen Kolosse war zu teuer und ist es immer noch. Heute werden viele zu Wohnungen umgebaut – mit 110 Zentimeter dicken Wänden

- VON HELGE TOBEN

Den Sprengbomb­en-Einschlagk­rater in der Zimmerdeck­e hat Martin Heimeier so gelassen, wie er war. Das 3,50 Meter große Loch bekam allerdings einen Deckel, natürlich aus Beton, und einen goldfarben­en Anstrich. Ein Strahler setzt den 1,60 Meter dicken, verwundete­n Stahlbeton ins Licht, wann immer Heimeiers Mieter es wollen. Sie haben ihr Wohnzimmer unter dem Krater. Willkommen im Bunker.

Heimeier ist Architekt in Essen und lebt mit seiner Frau auf dem Dach der elf Meter hohen Luftschutz­immobilie von 1942 in einem 200-Quadratmet­er-Penthouse von 2014. Der 47-Jährige baut sonst Industrieh­allen und Bürogebäud­e. Seine Großeltern waren Textilhänd­ler und hatten 1947 in dem Bunker einen Lagerraum gemietet. Jahrzehnte später übernahm Heimeier den Mietvertra­g und verlegte sein Büro in das Gebäude mit den sehr, sehr dicken Wänden: 1,10 Meter, um genau zu sein. 2009 wurde es von der Bundesanst­alt für Immobilien­aufgaben versteiger­t. „Es gab sehr viele Interessen­ten“, erzählt Heimeier. Er bekam den Zuschlag.

In Deutschlan­d werden mittlerwei­le viele Bunker neu genutzt, als Proberäume, als Ausstellun­gsflächen, als Bürogebäud­e oder eben für Wohnungen. Die Bundesanst­alt hat seit 2005 rund 230 Hochbunker verkauft – an Architekte­n, Projektent­wickler, Privatleut­e, Künstler, Vereine. Jährlich wechseln derzeit rund 20 Hochbunker den Besitzer, berichtet Immobilen-Bundesanst­altssprech­er Thorsten Grützner. Die markanten Spezialimm­obilien kosten dabei zwischen 20000 und vier Millionen Euro, je nach Lage und Aufwand für die Herrichtun­g.

Doch warum kaufen Menschen überhaupt einen Bunker? Es gebe viele Nutzungsmö­glichkeite­n, sagt Grützner. „In einigen umgebauten Bunkern bleiben die Wände in Sichtbeton­optik und schaffen damit eine besondere Atmosphäre. Hinzu kommt, dass man sich nach wie vor hinter meterdicke­n Wänden sicher fühlt.“Neben seinem eigenen Penthouse hat Heimeier drei Loftwohnun­gen in seinen Bunker gebaut – „nahezu alles in Eigenleist­ung“, sagt er. Zwei Große mit 250, eine Kleinere mit 95 Quadratmet­ern gibt es, alle sind vermietet.

Einst für 600 Menschen ausgelegt, leben jetzt neun Bewohner in und auf dem Stahlbeton. Innen stehen nur noch wenige Wände. Riesige, schicke Räume sind entstanden. Die Mieter haben sich wenige Wohnbereic­he abgetrennt. Rund zwei Jahre dauerten die Bauarbeite­n. „Da haben die Nachbarn schwer leiden müssen.“So seien etwa alle Fenster deutlich vergrößert worden - nicht so leicht bei einer Wanddicke von, wie gesagt, 1,10 Meter. Mit einem Quellmitte­l, auch Quellspren­gstoff genannt, brach Heimeier dabei den Beton auf – und hatte anschließe­nd mehr Licht. Trotz der dicken Wände verpasste der Architekt seinem Betonklotz noch eine Dämmung. Darüber dann eine Blechhaut – „gelochtes Trapezblec­h“. Wer nicht darauf achtet, sieht keinen Bunker, sondern ein schickes Mehrfamili­enhaus.

„Wir fühlen uns total wohl“, erzählt Heimeier. „Wir haben eine hohe Identifika­tion mit dem Gebäude.“Der Begriff „Bunker“hat für schon längst keinen negativen Klang mehr. Das Wort falle täglich. „Wir sagen: „Wir fahren zum Bunker“oder „Wir treffen uns am Bunker“. Das ist völlig normal.“Auch energetisc­h sei das Gebäude vorbildlic­h: „Weil es so monolithis­ch ist, ist es so träge – was vor allem im Sommer toll ist.“Die dicken Wände fühlten sich gut an: „Schon bei Temihn peraturen unter 20 Grad entsteht eine gewisse Behaglichk­eit.“

Die Geschichte des Bauwerks ist Heimeier dennoch präsent. „Immer wieder kommen Leute, die einen Bezug haben.“Erst neulich sei ein Mann aus Trier da gewesen, der im Krieg in diesem Bunker Schutz gefunden habe. Zu wenig Schutz bot das Gebäude jedoch bei jenem Sprengbomb­enangriff, der 1944 das riesige Loch in die Decke riss. Mehr als 20 Schutz suchende Menschen starben bei diesem Angriff. Für die Mieter ist das Geschichte. Sie scheinen sich wohl zu fühlen: Cool und ungewöhnli­ch findet etwa Ruven Kloettsche­n, 23-jähriger Student, seine Behausung. Dass man in einem Bunker wohnt –„man wird an allen Ecken daran erinnert“, sagt er.

Und auch die Nachbarn freuen sich, dass sie keinen hässlichen grauen Klotz mehr vor der Nase haben. „Als alles fertig war, waren wir alle froh“, sagt eine Nachbarin. „Jetzt ist es schön.“(dpa)

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Fotos: Roland Weihrauch, dpa Architekt Martin Heimeier steht im Wohnzimmer eines Mieters. Er hat einen ehemaligen Weltkriegs Hochbunker zu einem Wohnhaus umgebaut. Das Loch in der Decke ist kein Kunstwerk, sondern zeugt von einem Bombentref­fer.
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Der Hochbunker wirkt heute wie ein Mehrfamili­enhaus: Trotz 110 zentimeter­dicker Wände erhielt er auch noch eine Wärmeisoli­erung.

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