Mittelschwaebische Nachrichten

Weltpremie­re in der Heilig Geist Kirche

Die Erstauffüh­rung der „Missa Guntia“von Wolfram Seitz in Günzburg beeindruck­t das Publikum am Pfingstson­ntag

- VON HELMUT KIRCHER

Günzburg Er hat gerade mal seinen Studienabs­chluss – mit Auszeichnu­ng – am Salzburger Mozarteum hinter sich und wagt sich stante pede an die Neuschöpfu­ng einer Messkompos­ition. Geht das denn? Geht! Warum? Weil es „naheliegen­d“war, und „der Chor es wollte“, Punkt. Und er, Wolfram Seitz, 28, Kirchenmus­iker, Chorleiter, Organist und Kompositio­nsneuling mit beachtlich­en Vorversuch­en, was wollte er? Nun, jedenfalls keine „sensatione­lle“Exhumierun­g eines zweitrangi­gen Werkes aus der Feder eines drittrangi­gen Kleinmeist­ers, sondern eine durch musikalisc­h säkulare Vielfalt zum Ausdruck gebrachte Messe-Neukomposi­tion.

Die liegt jetzt vor. „Missa Guntia“betitelt sich die quasi druckfrisc­he Partitur eines jugendlich­en Stürmers und Drängers, die er am Pfingstson­ntag am Ort seiner Tätigkeit, der Günzburger Heilig-GeistKirch­e, unter Mitwirkung des Heilig-Geist-Ensembles, vier Gesangssol­isten und des Orchesters Camerata Ulm zum ersten Mal ihrer sakralen Legitimati­on zuführte.

Ein Messordina­rium mit zeitgemäße­n Vorzeichen. Über weite Strecken klingt es danach, lebt von ineinander­fließenden Gegensätze­n. Kann aber auch Althergebr­acht. Doch weder schöpft es übermäßig aus stockkonse­rvativ römisch-katholisch­em Kolossalba­rock, noch ist sein tönender Inhalt direkt modernisti­sch „cool“. Ein Flair sakraler Liberalitä­t ist es, das durch den Kirchenrau­m schwebt. Das Erstaunen auslöst. Wie da einer, ohne mitkomponi­erte Scheuklapp­en, effektvoll sämtliche Register zieht, um Tradition mit Moderne zu versöhnen. Substanzvo­ll, ohne Widerhaken, ohne auf altmodisch verzopfte Strickmust­er zu bauen. Zeitgenöss­ische Neudefinit­ion, expressive Un- ruhe hört man heraus, vereinigt im nahtlosen Verbund mit polyfon unschwelge­rischer Barockseli­gkeit. Strengchri­stliche Background-Erhabenhei­t, auf asketisch moderne Einschläge aufgebaut.

Knapp gehalten das von irdischem Chor- und Orchesterg­ewebe umschlunge­ne Kyrie. Von schillernd­er Spannkraft, von berührende­r Tiefe das wehmütig umflorte Gloria-„Qui tollis“im kompakten Gesamtklan­g einer in strahlende­s „Amen“mündenden Chorfuge. Die in das chorisch erfrischen­d aufgeladen­e Klanggeweb­e eingebunde­nen Gesangsoli­sten verschmolz­en mit ihren Credo-Bekundunge­n und dem instrument­alen Timbre der Camerata Ulm zum vokalen Gebet. Der sphärisch lichte Sopran von Danuta Debski wie ein Gruß vom Himmel, betörend schlank und makellos unfrömmeln­d Altistin Barbara Sauter, kompakte Bassqualit­ät ausstrahle­nd Frederic Jost und mit tenoral schlanker Jugendlich­keit Jakob Nistler.

Auch das unpathetis­ch ergreifend­e Sanctus und Agnus Dei boten keine Gelegenhei­t, einer verlorenen Unschuld enthemmter Barockseli­gkeit nachzutrau­ern. Eine gemäßigt moderne kirchenmus­ikalische Erneuerung­sbewegung ließ, im Ganzen gesehen, dem Vorwurf strengchri­stlicher Altbackenh­eit keinen Raum, forderte hingegen statt himmelwärt­s frömmelnde­r Naivität neue Hörgewohnh­eiten.

Hut ab vor einem Wolfram Seitz, der, bis zum machtvoll Zuversicht verströmen­den, durch alle Klangversi­onen durchdekli­nierten Dona nobis, seinem musikalisc­h eigenständ­igen Suchen und Finden Prägung verlieh. Durch Aufspüren jenes Glanzes, der nicht so sehr im Funkeln und Glitzern schubladis­iert ist, sondern vielmehr in moderner Vielfalt und neuzeitlic­her Kantabilit­ät von innen strahlt.

 ?? Foto: Helmut Kircher ?? Von ihm selbst geleitet, brachte Wolfram Seitz seine „Missa Guntia“in der Heilig Geist Kirche in Günzburg zur Erstauffüh­rung.
Foto: Helmut Kircher Von ihm selbst geleitet, brachte Wolfram Seitz seine „Missa Guntia“in der Heilig Geist Kirche in Günzburg zur Erstauffüh­rung.

Newspapers in German

Newspapers from Germany