Mittelschwaebische Nachrichten
Sonnenbrillen für die Sucht
Ein 32-Jähriger stiehlt bei einem Günzburger Optiker und wird dabei erwischt. Die Verkäuferinnen bedroht er angeblich mit einem Messer. Mit fast vier Jahren Haft ist er gut bedient
Memmingen/Günzburg Drei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis für ein paar gestohlene Sonnenbrillen? Klingt im ersten Moment nach einer harten Strafe. Für einen 32-jährigen Mann aus Neu-Ulm ist sie aber noch milde ausgefallen. Er stand als Angeklagter vor der 1. Strafkammer am Landgericht Memmingen. Seine Diebestour hatte ihn auch nach Günzburg geführt.
August 2016. Der Mann betritt ein Brillengeschäft in der Günzburger Innenstadt. Er lässt sich zahlreiche Sonnenbrillen zeigen, will auch Ware aus verschlossenen Schubladen und dem Lager sehen. Eine Beratung möchte er aber nicht. Mehr als eine halbe Stunde verbringt der Mann im Laden. Das Personal wird misstrauisch. Eine Kundin bemerkt schließlich, wie der 32-Jährige eine der Brillen in seine Jacke steckt. Deren Taschen sind bereits ausgebeult vom Diebesgut. Die Angestellten rufen die Polizei. Noch bevor eine Streife eintrifft, möchte der Mann fliehen. Zwei Verkäuferinnen rennen ihm hinterher. Die eine verfolgt ihn, während die andere versucht, ihm den Weg abzuschneiden. Beide Frauen bedroht der Mann augenscheinlich mit einem Messer, um sie von der Verfolgung abzuhalten. „Bleib stehen! Ich stech dich ab“, ruft er und kann so zunächst unerkannt entkommen.
Danach wird es kurios. Wie sich vor Gericht herausstellt, flüchtet der Mann nicht etwa. Er versteckt sich stattdessen in einem Hinterhof in unmittelbarer Nähe. Neben Müllcontainern kauernd, probiert er dort die ein oder andere Sonnenbrille an, raucht eine Zigarette. Ein Anwohner filmt das Ganze und alarmiert über seine Freundin die Polizei. Doch weil es die Adresse angeblich nicht gibt und der Mann nicht selbst anruft, wird er von der Einsatzzentrale in Kempten abgewiesen. So erzählt es der Mann zumindest als Zeuge vor Gericht.
Auch deshalb gelingt es der Kriminalpolizei Neu-Ulm erst mehrere Monate später, den Täter zu verhaften. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm nicht nur den räuberischen Diebstahl in Günzburg vor. Auch bei Optikern im Blautal-Center in Ulm sowie in der Glacis-Galerie in Neu-Ulm hat der Mann Sonnenbrillen gestohlen. Insgesamt hatten die Brillen einen Wert von 2000 Euro.
Schnell wird deutlich: Der Mann ist nicht einfach nur Brillenfan. Er ist drogenabhängig und tauscht zumindest Teile seiner Beute gegen verschreibungspflichtige Medikamente. Seine Drogenkarriere beginnt schon im Jugendalter mit Marihuana, später kommen härtere Stoffe wie Ecstasy und Heroin hinzu. Seit zehn Jahren unterzieht sich der Mann einer Behandlung mit dem Ersatzstoff Methadon, hat bereits 15 Entgiftungen hinter sich. Losgelassen hat ihn die Sucht dennoch nicht.
Für den Vorsitzenden Richter Peter Hasler ist der Angeklagte kein Unbekannter. Auf Initiative der Familie des 32-Jährigen, hatte Hasler bereits eine rechtliche Betreuung angeordnet, das Therapieprogramm musste der Mann wegen diverser Regelverstöße aber vorzeitig abbrechen. Zudem hat der Vater eines 13-jährigen Sohnes bereits 14 Vorstrafen, darunter mehrere wegen Diebstahls. Es ist, so scheint es, ein Teufelskreis der Abhängigkeit, aus dem der Mann nicht ausbrechen kann.
Gutachter Wolf Langensteiner attestiert dem Mann dennoch keine verminderte Schuldfähigkeit. Bei den Diebstählen sei er planvoll vorgegangen und habe laut den Zeugen keine für den Medikamentenmissbrauch typischen Anzeichen gezeigt. Dass das Schöffengericht am Ende deutlich unter dem von Oberstaatsanwalt Markus Schroth geforderten Strafmaß von sechs Jahren und vier Monaten bleibt, liegt an der Tatwaffe. Das vermeintliche Messer kann Pflichtverteidiger Uwe Böhm nämlich als Miniatur-Schwert präsentieren. Laut dem Angeklagten ist es nichts weiter als ein Brieföffner. Das Gericht interpretiert die Waffe nicht als gefährlichen Gegenstand, was die Strafe erheblich mildert.
Zusätzlich muss der Mann auch eine Therapie in einer geschlossenen Einrichtung machen. „Das ist Ihre Chance, das Problem aufzuarbeiten. Ihre Familie steht weiter zu Ihnen. Alles Gute, dass Sie das durchstehen“, gibt Richter Hasler dem Mann mit auf den Weg.