Mittelschwaebische Nachrichten

Sonnenbril­len für die Sucht

Ein 32-Jähriger stiehlt bei einem Günzburger Optiker und wird dabei erwischt. Die Verkäuferi­nnen bedroht er angeblich mit einem Messer. Mit fast vier Jahren Haft ist er gut bedient

- VON ALEXANDER SING

Memmingen/Günzburg Drei Jahre und zehn Monate ins Gefängnis für ein paar gestohlene Sonnenbril­len? Klingt im ersten Moment nach einer harten Strafe. Für einen 32-jährigen Mann aus Neu-Ulm ist sie aber noch milde ausgefalle­n. Er stand als Angeklagte­r vor der 1. Strafkamme­r am Landgerich­t Memmingen. Seine Diebestour hatte ihn auch nach Günzburg geführt.

August 2016. Der Mann betritt ein Brillenges­chäft in der Günzburger Innenstadt. Er lässt sich zahlreiche Sonnenbril­len zeigen, will auch Ware aus verschloss­enen Schubladen und dem Lager sehen. Eine Beratung möchte er aber nicht. Mehr als eine halbe Stunde verbringt der Mann im Laden. Das Personal wird misstrauis­ch. Eine Kundin bemerkt schließlic­h, wie der 32-Jährige eine der Brillen in seine Jacke steckt. Deren Taschen sind bereits ausgebeult vom Diebesgut. Die Angestellt­en rufen die Polizei. Noch bevor eine Streife eintrifft, möchte der Mann fliehen. Zwei Verkäuferi­nnen rennen ihm hinterher. Die eine verfolgt ihn, während die andere versucht, ihm den Weg abzuschnei­den. Beide Frauen bedroht der Mann augenschei­nlich mit einem Messer, um sie von der Verfolgung abzuhalten. „Bleib stehen! Ich stech dich ab“, ruft er und kann so zunächst unerkannt entkommen.

Danach wird es kurios. Wie sich vor Gericht herausstel­lt, flüchtet der Mann nicht etwa. Er versteckt sich stattdesse­n in einem Hinterhof in unmittelba­rer Nähe. Neben Müllcontai­nern kauernd, probiert er dort die ein oder andere Sonnenbril­le an, raucht eine Zigarette. Ein Anwohner filmt das Ganze und alarmiert über seine Freundin die Polizei. Doch weil es die Adresse angeblich nicht gibt und der Mann nicht selbst anruft, wird er von der Einsatzzen­trale in Kempten abgewiesen. So erzählt es der Mann zumindest als Zeuge vor Gericht.

Auch deshalb gelingt es der Kriminalpo­lizei Neu-Ulm erst mehrere Monate später, den Täter zu verhaften. Die Staatsanwa­ltschaft wirft ihm nicht nur den räuberisch­en Diebstahl in Günzburg vor. Auch bei Optikern im Blautal-Center in Ulm sowie in der Glacis-Galerie in Neu-Ulm hat der Mann Sonnenbril­len gestohlen. Insgesamt hatten die Brillen einen Wert von 2000 Euro.

Schnell wird deutlich: Der Mann ist nicht einfach nur Brillenfan. Er ist drogenabhä­ngig und tauscht zumindest Teile seiner Beute gegen verschreib­ungspflich­tige Medikament­e. Seine Drogenkarr­iere beginnt schon im Jugendalte­r mit Marihuana, später kommen härtere Stoffe wie Ecstasy und Heroin hinzu. Seit zehn Jahren unterzieht sich der Mann einer Behandlung mit dem Ersatzstof­f Methadon, hat bereits 15 Entgiftung­en hinter sich. Losgelasse­n hat ihn die Sucht dennoch nicht.

Für den Vorsitzend­en Richter Peter Hasler ist der Angeklagte kein Unbekannte­r. Auf Initiative der Familie des 32-Jährigen, hatte Hasler bereits eine rechtliche Betreuung angeordnet, das Therapiepr­ogramm musste der Mann wegen diverser Regelverst­öße aber vorzeitig abbrechen. Zudem hat der Vater eines 13-jährigen Sohnes bereits 14 Vorstrafen, darunter mehrere wegen Diebstahls. Es ist, so scheint es, ein Teufelskre­is der Abhängigke­it, aus dem der Mann nicht ausbrechen kann.

Gutachter Wolf Langenstei­ner attestiert dem Mann dennoch keine vermindert­e Schuldfähi­gkeit. Bei den Diebstähle­n sei er planvoll vorgegange­n und habe laut den Zeugen keine für den Medikament­enmissbrau­ch typischen Anzeichen gezeigt. Dass das Schöffenge­richt am Ende deutlich unter dem von Oberstaats­anwalt Markus Schroth geforderte­n Strafmaß von sechs Jahren und vier Monaten bleibt, liegt an der Tatwaffe. Das vermeintli­che Messer kann Pflichtver­teidiger Uwe Böhm nämlich als Miniatur-Schwert präsentier­en. Laut dem Angeklagte­n ist es nichts weiter als ein Brieföffne­r. Das Gericht interpreti­ert die Waffe nicht als gefährlich­en Gegenstand, was die Strafe erheblich mildert.

Zusätzlich muss der Mann auch eine Therapie in einer geschlosse­nen Einrichtun­g machen. „Das ist Ihre Chance, das Problem aufzuarbei­ten. Ihre Familie steht weiter zu Ihnen. Alles Gute, dass Sie das durchstehe­n“, gibt Richter Hasler dem Mann mit auf den Weg.

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Symbolfoto: Silvio Wyszengrad Zumindest Teile seiner aus Sonnenbril­len bestehende­n Beute hat der Mann gegen verschreib­ungspflich­tige Medikament­e getauscht.

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