Mittelschwaebische Nachrichten

Warum es im Zweifel oft gegen den Bewerber läuft

Der Personalbe­rater Christian Könitzer erklärt, warum es Kandidaten trotz des Mangels an Fachkräfte­n schwer haben und wie sie vermeiden, sich selbst im Weg zu stehen

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Warum ist es im Landkreis Günzburg so schwer, qualifizie­rte Fach- und Führungskr­äfte zu finden? Christian Könitzer: Auswertung­en der Bundesanst­alt für Arbeit zufolge lag die Unterbesch­äftigungsq­uote – das ist die Zahl der Arbeitslos­en im Verhältnis zu den offenen Stellen – im Kreis Günzburg im Mai nur bei 2,7 Prozent. Im Vergleich aller ausgewerte­ten 96 kreisfreie­n Städte und Landkreise in Bayern liegt Günzburg damit auf Rang sieben, also ziemlich gut. Anders als die Arbeitslos­enquote, die im Kreis Günzburg sogar bei nur 1,9 Prozent lag, ermöglicht eine Unterbesch­äftigtenqu­ote ein möglichst umfassende­s Bild vom Defizit an regulärer Beschäftig­ung in einer Volkswirts­chaft. Unternehme­n, die keine Produkte für Endverbrau­cher herstellen, kommen da nur schwer an passende Kandidaten. Bekannte Markenunte­rnehmen ziehen Bewerber magisch an. So genannte „Hidden Champions“, oft gar Weltmarktf­ührer ihrer speziellen Nische, haben dabei genau so das Nachsehen wie beispielsw­eise Zulieferer. Von beiden gibt es einige hier in der Region.

Aber warum sollte man sich bei einem oft kleinen Mittelstän­dler bewerben? Könitzer: Insbesonde­re mittelstän­dische Unternehme­n haben entscheide­nde Vorteile gegenüber großen Konzernen. Neben flachen Hierarchie­n sind das vor allem größere Verantwort­ungsbereic­he, in die man schnell hineinwach­sen kann. Hinzu kommt, dass im Mittelstan­d auch Bewerber mit unkonventi­onellen Lebensläuf­en gute Karrierepe­rspektiven haben. Große Markenunte­rnehmen, die hunderte Bewerbunge­n am Tag erhalten, haben meist eigene Softwarepo­rtale, mittels derer Bewerber ihre Daten standardis­iert eingeben müssen. Der Computer sortiert dann die meisten aus und versendet automatisi­erte Absagen.

Wie erklärt sich die Not der Unternehme­n hier in der Region, passende Mitarbeite­r zu finden, noch? Könitzer: Stark umworbene Kandidaten haben es nicht nötig, sich über kleinere Unternehme­n abseits der größeren Städte zu informiere­n. Hier kommt der Personalbe­rater ins Spiel. Er sucht mittels Inseraten in Print- und Onlinemedi­en, über sein persönlich­es Netzwerk, in speziellen Datenbanke­n oder auf Social-Media-Plattforme­n nach geeigneten Kandidaten, die nicht von selbst auf die Firma aufmerksam würden. Auch die oft kleinen Personalab­teilungen in mittelstän­dischen Unternehme­n können so entlastet werden. Nehmen wir mal die andere Perspektiv­e ein. Warum ist es für manche Stellensuc­hende im Landkreis Günzburg trotz historisch geringer Arbeitslos­igkeit so schwer, eine adäquate Anstellung zu finden? Könitzer: Trotz vieler offener Stellen hier im Landkreis gibt es Bewerber, auch Akademiker oder Techniker, die teilweise sehr lange und intensiv nach einer passenden Position suchen müssen. Der klassische Weg zu einer Anstellung führt in der Regel über Praktika und Abschlussa­rbeiten. Ist in diesen Unternehme­n dann keine passende Stelle vakant, wird es oft schwierig. Viele Arbeitgebe­r gehen nämlich davon aus, dass der Kandidat dort nicht überzeugen konnte. Hinzu kommt, dass die sogenannte Generation Y teilweise nicht mehr bereit ist, ihr Leben zu sehr an die Bedürfniss­e der Arbeitgebe­r anzupassen. Obwohl „flexible Arbeitszei­ten“hier in der Region bereits vielfach üblich sind, befürchten manche Arbeitgebe­r, dass sich Projekte und Kundenauft­räge bei zuviel „Work-Life-Balance“verzögern. Auch gegenüber einem „Home-Office“gibt es manche Vorbehalte, da Unternehme­nskulturen oft noch nicht darauf angepasst sind. Die Entscheide­r auf Unternehme­nsseite gehören meist einer völlig anderen Generation an und sind ge- genüber der Generation Y vielfach skeptisch.

Das klingt angesichts des viel diskutiert­en Fachkräfte­mangels paradox. Könitzer: Das ist richtig. Gerade die Diskussion zum Thema „Fachkräfte­mangel“lässt bei Berufseins­teigern jedoch falsche Vorstellun­gen und überzogene Erwartunge­n entstehen. „Fachkräfte­mangel“bedeutet aus Unternehme­nssicht meist, dass niemand gefunden wird, der idealerwei­se zwei bis fünf Jahre Erfahrung mitbringt und zwar genau in dem Fachbereic­h, für den das Unternehme­n gerade jemanden sucht. Dabei sollte er oder sie in die bestehende Gehaltsstr­uktur passen. Die Gehälter müssen nämlich auch gezahlt werden, wenn es nicht so gut läuft wie in der aktuellen Hochkonjun­kturphase.

Bewerber mit viel Berufserfa­hrung sind also im Vorteil? Könitzer: Nicht unbedingt. Problemati­sch sind auch Bewerber mit oft wechselnde­n Arbeitgebe­rn. Diesen Kandidaten wird gerne mangelndes Durchhalte­vermögen und fehlende Frustratio­nstoleranz unterstell­t. Kommt noch fortgeschr­ittenes Alter hinzu, wird zudem mangelnde Anpassungs­fähigkeit angenommen. Ob das im Einzelfall zutrifft, ist nebensächl­ich. Die Vermutung reicht aus. Anders als im Strafproze­ss gilt nämlich im Bewerbungs­prozess: „Im Zweifel gegen den Bewerber.“

Vor wenigen Wochen haben Sie einen Vortrag vor einer Frauengrup­pe des Vereins Deutscher Ingenieure (VDI) zum Thema „Bewerbung und Karriere“gehalten. Haben es Frauen besonders schwer? Könitzer: Das Rollenbild von Frauen und Männern hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt, nicht zuletzt dank Elternzeit­gesetz und besser werdenden Betreuungs­möglichkei­ten. Erziehungs­aufgaben werden auch zunehmend zwischen den Eltern aufgeteilt. Immer mehr Frauen sind daher in anspruchsv­ollen Positionen tätig. Vielfach kann man jedoch eine Unsicherhe­it von Frauen im Bewerbungs­prozess feststelle­n. Erfüllt ein männlicher Bewerber circa 50 Prozent der geforderte­n Voraussetz­ungen, schickt er seine Bewerbung los. Bewerbunge­n von Frauen passen meist zu über 80 Prozent auf das Stellenpro­fil. Im Umkehrschl­uss bedeutet das aus meiner Sicht, dass sich Frauen häufig nicht bewerben, aus Angst, nicht alle Anforderun­gen zu erfüllen. Das wurde mir auch schon von Frauen im individuel­len Beratungsg­espräch bestätigt. Interview: Till Hofmann

 ?? Foto: Bernhard Weizenegge­r ?? Christian Könitzer hat sich im vergangene­n Jahr zum Personalbe­rater (IHK) weiter gebildet. Sein Büro hat er in Kötz.
Foto: Bernhard Weizenegge­r Christian Könitzer hat sich im vergangene­n Jahr zum Personalbe­rater (IHK) weiter gebildet. Sein Büro hat er in Kötz.

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